„Wir sind das Volk“ - Politiker-Schelte auf Leipziger Politik-Forum

Erstveröffentlicht: 
21.05.2016

Der in Berlin ansässige Deutsche Gesellschaft e.V. diskutiert auf Regionalkonferenzen über den Ruf „Wir sind das Volk“. Bei der Diskussion im Zeitgeschichtlichen Forum in der Leipziger City sprachen nicht nur die Experten auf dem Podium Klartext.

 

Leipzig.  Unverständnis, Enttäuschung und sogar Wut brachen sich bei der Podiumsdiskussion Bahn, die der Deutsche Gesellschaft e.V. am Donnerstag im Zeitgeschichtlichen Forum organisiert hatte. Es ging es um den Slogan „Wir sind das Volk“ und um die Frage, wer das Volk ist – besonders mit Blick auf die Demonstrationen von Pegida und Legida, die den Wende-Ruf für sich reklamiert haben.

 

Zur Überraschung der reichlich hundert Zuhörer waren sich die Experten im Podium schnell einig: Pegida und Legida seien ohne Zweifel Teil des Volkes, hieß es – aber „natürlich nicht das Volk“, das naturgemäß „keinen Gemeinwillen“ besitze, sondern „unterschiedliche Positionen“ habe. „Deshalb sollten Politiker niemanden ausgrenzen, weil er eine andere Position hat“, erklärte der Chemnitzer Politikwissenschaftler Professor Eckhard Jesse. „Eine offene Gesellschaft muss mit anderen Positionen klarkommen.“

 

Auch Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, sieht dies so: Beschimpfungen wie „Nazis in Nadelstreifen“ oder „komische Mischpoke“ seien ungerechtfertigt und hätten zu einer Verhärtung geführt, so der Dresdner. Die Alternative für Deutschland (AfD) repräsentiere aktuell etwa 13 Prozent der Wähler, die ohne Frage ein nicht geringer Teil der Bevölkerung darstellen. Richter: „Deshalb verbietet sich das böse Wort Dunkeldeutschland, auch wenn das Bundespräsident Joachim Gauck gesagt hat.“ Die Politik müsse die Botschaften ernstnehmen und berücksichtigen, dass sich in Deutschland „eine Konsensgesellschaft“ entwickelt haben, „in deren stickiger Atmosphäre kaum offene Diskussionen“ möglich seien, ergänzte Jesse.

 

Leipzigs Nach-Wende-Kulturbürgermeister Georg Giradet sagte, „die ganze Entwicklung“ sei vorhersehbar gewesen. „Die CDU ist sehr stark in die Mitte gerückt und hat rechts von ihr Platz gelassen.“ Zwei große Koalitionen auf Bundes- und Landesebene sowie eine schwache Opposition hätten dann dazu geführt, dass sich dieser Freiraum mit Unzufriedenen füllt. „Dadurch hat sich etwas gebildet, was völlig normal ist – ob man das mag oder nicht“, so der Leipziger. Die Politiker hätten die Sorgen der Unzufriedenen „nicht nur verstehen, sondern entkräften“ müssen. „Weil dies nicht geschehen ist, ist der Frust gewachsen.“

 

Viele Zuhörer hielten diese Diagnosen für unzureichend. Es werde eine „therapeutische Debatte“ geführt und im Podium fehle ein Vertreter der Unzufriedenen, hieß es. Für den Frust der Demonstranten sei eine Politik verantwortlich, die die Wähler „missachtet und missbraucht“. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Enteignung „ehrlicher Sparer durch die Null-Zins-Politik“ seien Beispiele. „Auch für das Freihandelsabkommen mit den USA wäre bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit undenkbar“, hieß es. „Die Arroganz hat einen Namen und der lautet Merkel“, rief ein erboster Zuhörer unter Applaus. „Keiner will sie, aber sie ist immer noch da.“ Hinzu komme „die Arroganz und Ignoranz der Leute, die sich ein warmes Pöstchen gesichert haben“, so ein anderer Zuhörer. „Wo sind die Politiker und die Landtagsabgeordneten, die den Wählerwillen durchsetzen? Die haben gar kein Interesse, die Probleme aufzunehmen und in die Politik zu bringen.“

 

Auch die Flüchtlingsdebatte werde „schräg“ geführt. Ausgespart würden Kriminalität und die Folgen für die Sozialsysteme. „Wir haben etwas zu verteidigen, weil wir Tag und Nacht arbeiten und uns etwas aufgebaut haben“, rief ein Mann aus Plauen und prophezeite, dass die CDU „beim Abgang von Merkel auf 20 Prozent Wählerstimmen“ geschrumpft sein werde. Denn der Gegenprotest bestehe weitgehend aus Studenten, „die aus dem Westen zu den Linksautonomen nach Connewitz strömen, um sich auszuleben“. „Die Einwanderer bezahlen wir – nicht die Studenten“, so ein Mitvierziger.

 

Von Andreas Tappert