Kritiker der Kanzlerin machen mobil

Erstveröffentlicht: 
20.01.2016
Protestbrief gegen die Flüchtlingspolitik – aber Zahl der Unterzeichner hält sich noch in Grenzen

Von Jörg Blank

 

Berlin. Es wird nicht mehr nur gestritten, jetzt werden Unterschriften gesammelt. Angela Merkels Kritiker in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion machen mobil, die Befürworter ihres Kurses in der Flüchtlingspolitik ebenso. Alles läuft halboffiziell ab. Angeblich, heißt es, haben die Merkel-Kritiker nur weniger als 50 der insgesamt 310 CDU/CSU-Bundesparlamentarier auf ihre Seite gezogen. Die Merkel-Befürworter hätten in etwa ähnlich viele.

 

Genaues weiß derzeit kaum jemand, klar ist nur: In der Bundestagsfraktion der Union brodelt es. Kritik an Merkels Linie, offen gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien zu sein, gibt es schon länger. Nach den Vorfällen in Köln aber, die Zuwanderer in ein schlechtes Licht rücken, fühlen sich die Wortführer einer harten Linie herausgefordert. Sie verweisen auf drei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg Mitte März sowie auf die Gefahr, dass konservative Wähler zur rechtspopulistischen AfD abwandern könnten, und sie greifen zum ungewöhnlichen Mittel eines Protestbriefes. Deutet das darauf hin, dass man in der Unionsfraktion nicht mehr offen über alles diskutieren kann?

 

Kernpunkt des Protestbriefes ist die Forderung nach strikter Anwendung des Dublin-Abkommens. Das heißt: Flüchtlinge, die an der deutschen Grenze ankommen, sollen zurückgeschickt werden nach Österreich oder in das EU-Land, in dem sie zuerst angekommen waren. Nach dem Dublin-Abkommen müssen Asylbewerber in dem EU-Land ihr Verfahren durchlaufen, in dem sie zuerst angekommen sind. Dieses Verfahren klappt allerdings wegen der Massen an Flüchtlingen nicht mehr – und eine EU-weite Verständigung auf Alternativregeln, etwa feste Aufnahmequoten für jedes EU-Land, lässt weiter auf sich warten.

 

Direkt wird die Forderung nach Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze in dem Brief nicht aufgestellt, es ist verklausuliert von der „Rückkehr zur strikten Anwendung geltenden Rechts“ die Rede. Vermutlich aber bleibt die Unterstützerriege für den Brief dennoch überschaubar, da die politische Lage brisant ist – und der Brief unabhängig vom Inhalt als Misstrauensvotum gegen Merkel gewertet werden kann. Prominente Fürsprecher gibt es kaum, unter den Innen- und Wirtschaftspolitikern stechen Wolfgang Bosbach, Clemens Binninger und Carsten Linnemann hervor. Viele von ihnen sind bekannt als Abgeordnete, die immer wieder mal durch kritische Stellungnahmen auffallen.

 

Allerdings braut sich auch in der CSU etwas zusammen. Mehr als 30 bayerische CSU-Landtagsabgeordnete fordern in einem Brief eine Kurskorrektur von Merkel, und als erstes Mitglied der Bundesregierung ist Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt dabei. Um Grenzschließungen, sagt er, komme man nicht umhin.

 


 

Nachgefragt ... Michael H. Spreng, Politikberater.
„Kanzlerin steckt im Dilemma“

Interview: Ulrike Demmer

Geht Angela Merkels Kanzlerschaft zu Ende?


Entweder sie bekommt die Flüchtlingskrise in den Griff, oder aber sie ändert ihren Kurs. Wenn sie das nicht tut, könnte sich die Lage so zuspitzen, dass sie im Bundestag die Vertrauensfrage stellen muss.


Wie entscheidend sind die Landtagswahlen im März?


Die Wähler urteilen zum ersten Mal über die Flüchtlingspolitik. Wenn das Ergebnis für die CDU desaströs wird, könnten die innerparteilichen Kritiker nicht mehr beherrschbar sein. Die Frage ist aber: Was machen die Kritiker dann wirklich? Die CSU hat bisher ein Ultimatum nach dem anderen gestellt, aber keine konkreten Schritte unternommen.


Was passiert, wenn Merkel ihren Kurs ändert?

 

Dann verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. In diesem Dilemma steckt sie: Entweder sie verliert ihre Macht oder ihre Glaubwürdigkeit.


Tritt sie irgendwann zurück?


Natürlich kann der Punkt kommen, wo der Autoritätsverlust durch die permanente Kritik aus den eigenen Reihen so groß wird, dass sie sich sagt: Das ist nicht mehr mein Land, das ist nicht mehr meine Politik und nicht mehr mein Amt.