Schüsse auf Flüchtlingsheim in Hessen

Erstveröffentlicht: 
05.01.2016
23-jähriger Syrer wird bei Attacke verletzt – Staatsanwaltschaft spricht von gezieltem Angriff Von Ira Schaible

 

Dreieich. Als die Schüsse am frühen Morgen auf die Flüchtlingsunterkunft im südhessischen Dreieich abgefeuert werden, ist der Syrer Haitham Almrashli noch wach. Er habe eine vermummte Gestalt gesehen, die eine Handfeuerwaffe zog und sechs oder sieben Schüsse auf das Nachbarzimmer abgegeben habe, berichtet der 27-Jährige später mithilfe eines Dolmetschers. Ein 23 Jahre alter Asylbewerber im Haus wurde am Bein getroffen und leicht verletzt. Der Syrer sei im Schlaf überrascht worden, sagt Almrashli.

 

14 Syrer und ein Afghane leben in dem Anbau eines dreistöckigen Hauses in einem Gewerbegebiet. In dem Haus selbst sind vier Flüchtlingsfamilien untergebracht. Von dem Täter fehlt zunächst jede Spur. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt spricht von einem „gezielten Angriff“. Ob es eine scharfe Waffe war oder Luftdruck-Munition – dazu wollen die Ermittler nichts sagen, um die Untersuchungen nicht zu gefährden. Das Polizeipräsidium Südosthessen habe eine „Besondere Aufbauorganisation“ eingerichtet und arbeite mit Unterstützung des Landeskriminalamts mit einem 90-köpfigen Team an der Aufklärung der Schüsse, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).

 

Bundesweit hat das Bundeskriminalamt (BKA) im vergangenen Jahr 887 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte in ganz Deutschland registriert – von der Schmiererei bis zur Brandstiftung. Darunter waren 150 Gewalttaten, wie eine BKA-Sprecherin sagt. 792 Straftaten seien dem rechten Spektrum zuzuordnen. Die Schüsse, die am Montag um kurz vor 2.30 Uhr im Stadtteil Dreieichenhain fielen, beschreibt Almrashli so: „Es war krachend laut.“ Und weiter: „Die Angst steckt uns noch in den Knochen.“ Seine beiden Mitbewohner und er hätten sich erst mal auf den Boden geworfen. „Wir haben Angst und Furcht und wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, wenn wir als Flüchtlinge keine Sicherheit haben“, beschreibt der Mann aus Damaskus die Stimmung in der Unterkunft wenige Stunden nach der Tat. „Dass jemand gegen uns aggressiv wird, haben wir hier noch nicht erlebt.“ Über ein Motiv spekuliert er nicht: Er setze die Hoffnung in die Arbeit der Polizei und wünsche sich, dass der Täter gefasst werde und eine gerechte Strafe bekomme.

 

Insgesamt leben in Dreieich rund 430 Flüchtlinge. Es gibt zwölf größere Unterkünfte für jeweils 15 bis 30 Flüchtlinge und 50 kleinere Einheiten für bis zu sieben Menschen. „Wir sind erschüttert, fassungslos und entsetzt“, sagte der stellvertretende Bürgermeister Dreieichs, Martin Burlon (parteilos). Es habe keinerlei Anzeichen für fremdenfeindliche Stimmung in der Stadt gegeben. Die Erfahrungen im Zusammenleben mit den Flüchtlingen seien durchweg positiv, auch dank des großen ehrenamtlichen Engagements der Bürger.

 

In Hessen sind im bundesweiten Vergleich bisher eher wenige Flüchtlingsheime attackiert worden. 22 Fälle wurden von Januar bis Ende September 2015 im Land gezählt, bei denen Asylunterkünfte aus politischen Motiven Tatort oder Angriffsziel waren.


 

127 320 Flüchtlinge im Dezember

Im vergangenen Jahr sind 1 091 894 Flüchtlinge in Deutschland registriert worden. Allein im Dezember seien 127 320 Flüchtlinge erfasst worden, berichtet die „Sächsische Zeitung“ unter Berufung auf Zahlen aus dem sogenannten EASY-System („Erstverteilung von Asylbegehrenden“). Im November hatte die Zahl der registrierten Schutzsuchenden bei 206 000 gelegen.

 

Das Bundesinnenministerium äußerte sich zu der Gesamtzahl für das vergangene Jahr zunächst nicht. Diese werde in den kommenden Tagen veröffentlicht, sagte ein Sprecher in Berlin. Er erklärte, in den vergangenen Tagen seien täglich zwischen 1500 und 3000 Flüchtlinge in Bayern angekommen – und damit weniger als in den Wochen zuvor. Aus dem bayerischen Innenministerium hieß es, in den letzten Dezember-Tagen seien jeweils zwischen 3000 und 4000 Flüchtlinge angekommen.