Von den Unzulänglichkeiten bei der Konstruktion eines Narrativs zur Kolonialiserung der Toten

Ein Bündnis aus dem Spektrum der Berliner Gruppen linksradikaler, antifaschistischer Provenienz wird am kommenden Sonnabend eine Demonstration im Berliner Stadtteil Marzahn durchführen. In diesem Kontext wird an "zwei rassistische Morde" erinnert. Dieser Text soll auf die teils frappierenden Schwächen der Analyse hinweisen.

 

Ein Bündnis aus dem Spektrum der Berliner Gruppen linksradikaler, antifaschistischer Provenienz wird am kommenden Sonnabend eine Demonstration im Berliner Stadtteil Marzahn durchführen.

 

In diesem Kontext wird an "zwei rassistische Morde" erinnert, die unter anderem in einer Veröffentlichung beschrieben werden. (Alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diese.)

 

Dieser Text soll kein Debattenbeitrag um Fragen des Gedenkens und antifaschistischer Strategien sein, wenn er auch Andeutungen dazu enthält. Es ist anzuerkennen, dass die Gruppen auf einen blinden Fleck deuten. Dass die im Aufruf zur Demonstration formulierte Forderung "unsere liebgewonnenen Handlungsweisen zu überdenken"[1] selbst nicht eingelöst wird, machen im Kontrast etwa die Kampagnen für einen militanten Humanismus des Zentrums für politische Schönheit deutlich. Wie sehr die Organisator_innen hadern zu überdenken, bewiesen bereits die Ignoranz gegenüber Silvios Umfeld und lokaler Gruppen an anderen Orten in den vergangenen Jahren.

 

Dieser Text soll lediglich auf die teils frappierenden Schwächen der Analyse hinweisen, die sich im Text offenbaren. Dass nicht wenige Teile des Textes aus selektiven, nicht gekennzeichneten Zitaten bestehen, sei zumindest bemerkt. Für die akademische Eitelkeit eines Plagiats-Wikis fehlen die Zeit und der Sinn.

 

 

Ein Mord, der keiner war

 

Die Tat des Tino W. am 6.8.2008 als Mord zu kategorisieren ist haltlos. Zunächst ist festzuhalten, dass die Einordnung W.'s als Rassist fragwürdig, und - so dieser Begriff einen rassistischen Ideologen benennen soll - nicht valide ist. Wer, wie Tino W., eine Liebesbeziehung zu einem nicht-weißen Menschen führt, ist das wahrscheinlich nicht. Indizien, die darauf hindeuten würden, sind auch nicht bekannt.

Unstrittig ist, dass in den Psychoseinhalten des Täters rassistische Zuschreibungen eine Rolle spielten. Die Einordnung der vom Gericht bestellten Gutachter_innen, dass W. zum Tatzeitpunkt und in den Tagen zuvor einen psychotischen Schub hatte, ist angesichts seiner Biographie, der Zeug_innenaussagen vor Gericht und den dokumentierten Aufzeichnungen des Notrufs plausibel nachvollziehbar.

Doch dieser Aspekt spielt offenbar für die Autor_innen keine Rolle. Die paranoide Schizophrenie des Täters wird als "psychischer Zustand" abgetan. Die vom Gericht angeordnete, zeitlich unbestimmte Sicherheitsverwahrung wird verschwiegen, stattdessen sich über einen Freispruch wegen Schuldunfähigkeit echauffiert. Das ist übrigens nicht dasselbe wie eine beschiedene Unschuld. Und dass die Strafprozessordnung diese Möglichkeit der Schuldunfähigkeit vorsieht, muss als zivilisatorische Errungenschaft anerkannt werden.

 

Es mag arg moralisch klingen und es birgt die Gefahr der Relativierung: Nguyen Tan Dung war vor allem Opfer einer Gesellschaft, die ihn marginalisierte und schutzlos ließ. Einer Gesellschaft, in der in weiten Teilen rassistische, objektiv falsche Zuschreibungen reproduziert werden. Einer Gesellschaft, die permanent soziale Deprivation Nicht-Neurotypischer gebiert und das Wegschließen nach einer Katastrophe einer angemessenen Unterstützung vorzieht. Zur Erinnerung: W. hatte mehrfach angekündigt sich zum Ordnunghüter aufzuschwingen und war bereits psychiatrisch diagnostiziert. Eine adäquate therapeutische Begleitung hätte Nguyens Tod verhindern können. Was die Autor_innen davor scheut den Begriff Totschlag für die Katastrophe zu verwenden, bleibt unerörtert. Eine Tötungsabsicht ist weder konkret dem Täter noch abstrakt der deutschen Gesellschaft nachzuweisen.

 

Völlig daneben liegt die Einordnung des Dokuments "Drucksache 16/11020", eine Kleine Anfrage aus der Bundestagsfraktion der Linken. Hier wird eine Formulierung, die die drei Fragestellerinnen ein halbes Jahr vor dem Gerichtsverfahren benutzten, als ein Zitat der Bundesregierung benannt. Dass ein "rassistische[r] Hintergrund der Tat [nahe] liegt"[2] stützte sich zu diesem Zeitpunkt allein auf Presseberichte und ist keine Deutung der Bundesregierung wie im Text formuliert. Dass die Bundesregierung hier von Linksradikalen als Kronzeugin hinzugezogen wird - geschenkt.

 

 

DDR - Plattenbauten - Mythen

 

Die "Plattenbausiedlungen" der DDR dienen in Debatten zuverlässig als Projektionsfläche für vereinfachte (Selbst-)Zuschreibungen, die nie den tatsächlichen Verhältnissen gerecht werden. Zur Abwechslung gelingt den Autor_innen ein paradoxer Stunt, der die Situation der vietnamesischen Arbeiter_innen in der DDR als "oft abgeschottet in den Trabantenstädten Ostberlins – Tür an Tür mit der deutschen Bevölkerung" beschreibt.

Nein, die Ostberliner Trabantenstädte waren an sich nie ein Gefängnis, in dem Menschen abgeschottet lebten oder leben.[3] Gleichwohl gibt es auch hier eine Fülle Orte der Isolation. Dazu gehörten die Wohnheime, in denen die Arbeiter_innen weitgehend segregiert lebten und nach dem Mauerfall zum leichten Angriffsziel wurden. Ein "Tür and Tür", ein unmittelbares Miteinander mit anderen Teilen der Bevölkerung war in der guten, alten DDR die Ausnahme.

 

 

Voreilige Schlussfolgerungen

 

Bezüglich der Geschehnisse am 16.2.2008 in Marzahn-Nord[4] sei zumindest folgendes korrigiert: Die drei Täter sind nicht als "einschlägige" Nazis bekannt oder nach "einschlägigen" Strafrechtsparagraphen vorbestraft gewesen. Vielmehr handelte es sich um junge, gewalt-affine Männer mit Bezügen in's BFC-Milieu und sogenannten kriminellen Laufbahnen. Bei einem der Täter wurde ein "einschlägiger" Aufkleber des NW Berlin gefunden, der an einem Terrarium befestigt war. Dieses hatte er wohl aus dem Bekanntenkreis erhalten. Daniel R. war im Vorjahr keineswegs "über eine vietnamesische Blumenhändlerin hergefallen", sondern hatte derselben, die er 2008 mit seinen Kumpanen misshandelte, eine Pflanze gestohlen und einen Zeugen des Diebstahls geschlagen.

 

 

Nicht nur semantisch verstörend ist folgender Satz am Ende des Textes: "Die derzeitige Hetze wird Tote fordern und hat dies in der Vergangenheit bereits schon getan." So richtig eine politische Erinnerung an die Toten ist, so falsch ist es eine Politik zu verfolgen, die die nächsten Toten beschwört.

 

 

Bekanntermaßen herrschte in Marzahn-Hellersdorf immer eine breite Ignoranz gegenüber dem Unwesen der Nazis und dem Rassismus in der Bevölkerung. Zur Zeit wird diese Haltung durch den Bezirksbürgermeister Komoß, der von all dem nichts wissen mag, verkörpert. Dies gilt es fundiert zu kritisieren. Interpretationen bei denen die Analyse einer determinierten Deduktion zur Legitimation der eigenen, festgefahrenen Praxis folgt, sind dabei nicht hilfreich.

 


 

Fußnoten:

1: https://www.antifa-berlin.info/news/1053-stoppt-die-rassistischen-brandstifterinnen-antifa-bleibt-notwendig-in-gedenken-an-silvio-meier

2: vgl. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/110/1611020.pdf

3: Dann wäre die Bezeichnung als Ghetto vielleicht auch haltbar. Aber das ist eine andere Geschichte.

4: vgl. https://suburbanhell.org/chronik/2008-02-16-000000/rassistischer-pr%C3%B...

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... vorbei. das wäre ein schöner redebeitrag und es wäre ein gutes zeichen für die debattenkultur.

Kann man so einen Beitrag nicht in einer Sprache verfassen die auch ein normaler Mensch versteht? Ich habe beim lesen nur "Bahnhof" verstanden.

Dieses Land hat einen Goethe, Schiller, Heinrich Heine, Bert Brecht ua. hervorgebracht und ich glaube nicht das diese Geistesgrößen sich einer solchen Sprache bedient hätten.

Bei Marx und Adorno würde Dir dann bestimmt der Kopf platzen.

Der Leser_in stellt sich hier die Frage, wer auf so absurde Ideen kommt, dass die Liebesbeziehung zu einer Person of Colour oder einer schwarzen Person die_den Täter_in immun gegen Rassismus macht.

 

Das Menschen ihre rassistischen Einstellungen nicht immer konsequent leben, sollte auch der letzen Idiot_in klar sein.

 

Das eine Ankündigung, gegen  »diese Fidschis«vorzugehen kein Hinweis auf rassistische Einstellungen sind, wird niemand in Frage stellen können. Gerade im Wissen über die rassistischen Stereotype, mit denen als "Asiaten" oder "Vietnamesen" rassifizierte Menschen belegt werden, sollte klar sein das die Motivaton Nguyen Tan Dung anzugreifen Rassismus war.

Und die Tötungsabsicht im bürgerlichen Gesetzen, die Differenzierung zwischen Mord und Totschlag ist allgemein schwierig und aus emanzipatorischer Sicht nicht mitzutragen.

 

Tino W. stach zu, im Wahn, jedoch war sein Opfer nicht zufällig sondern entsprang der rassistischen Gedankenwelt so manch eines weißen Deutschen. Der Unterschied zu dem Mord 1992 ist klar, das ganze aber deswegen nicht mehr als rassistische Tat einzuordnen leuchtet nicht ein.

"Wenn ich in Wut komm, bin ich braun,
wenn mir schlecht ist, bin ich braun,
wenn ich in die Sonne komme bin ich immer noch lange braun, wenn ich tot bin bin ich immer noch braun
wenn du tot bist, biste grau,
wennde Sonne kriegst, wirste rosa,
wenn dir schlecht ist, wirste gelb
und wennde wütend oder verlegen bist,
wirste rot
und du hast die rassistische frechheit mich farbig zu nennen?"
Unbekannter Australier "Ureinwohner" gegen europäischen Kolonialstaat

Also erst einmal ein großes Lob, dass das nicht in Vergessenheit gerät.
Ich kann mich noch ganz gut an die Sache 2008 erinnern. Ich war damals sehr bestürzt von den Ereignissen. Und weil gerade Ferien waren konnte ich das auch intensiv verfolgen. Habe mir sogar einen Kurier gekauft. Die Medien haben es sich da sehr einfach gemacht. Das der Typ einfach verrückt war. Das ABM (Antifas aus Marzahn) hat damals aber nicht locker gelassen und eine Mahnwache gemacht. Gut fand ich, dass die es sich nicht einfach gemacht haben und eine differenzierte Stellung bezogen haben. Also nicht einfach gesagt haben: Das ist ein rassistischer Mord und wir wissen das genau. Ich glaube als Linke ist es auch wichtig glaubwürdige Positionen zu haben und nicht immer nur mit Schlagworten um sich werfen. Wenn ich den letzten Absatz richtig verstehe, geht's ja auch darum.

Ich weiß nicht was diese Haarspalterei soll. Mord? Totschlag? Katastrophe trifft es doch sehr gut.

Dass die NEA nicht zu sagen wir mal nicht sehr angestrengtem Denken neigt, ist in der Berliner Linken doch bekannt. Die nimmt doch schon lange keiner mehr ernst.

Das ist unsolidarische Kritik, die hier auf Indymedia verhandelt wird.

Fällt dir eigentlich nichts besseres ein, als solche weiß-deutschen Texte zu veröffentlichen? Haben wir als Antifaschist*innen in der aktuellen Situation wirklich so viel Zeit, um uns irgendwelche Pamphlete zukommen zu lassen anstatt sich mal an einen Tisch zu setzen?

Es gibt hier Menschen, die ihre komplette Zeit in Treffen, Aktionen etc. investieren, die im Randbezirk was auf die Beine stellen wollen und anstatt diese Leute mal anzusprechen, ihnen zu schreiben, auf die jeweiligen Aktionen oder in bekannte Locations zu gehen, wird alles online verhandelt. Es ist ja nicht so, als wären Menschen nicht empfänglich für Kritik. Der akademisch-abgehobene Titel weist aber schon darauf hin, dass das nicht gewollt ist.

 

Apropos: die "Silvio-Meier-Demo" wird von so ziemlich allen Berliner Gruppen dieses Jahr beworben. Auch von lokalen Gruppen aus Marzahn-Hellersdorf. Sie steht unter dem Motto, allen zu Gedenken, die von rechter Gewalt betroffen sind und dagegen an Orten zu handeln, wo es brennt! Es ist ein starkes Zeichen, endlich mal aus Friedrichshain rauszukommen und von der "alten Tradition" abzulassen.

Also mal die ganze Haarspalterei bei Seite. Es war gut und wichtig, das sich mehr als 10-20 Menschen bereit gefunden haben, nach Marzahn an die Tatorte zu gehen und ein kleines Hoffnungssignal zu setzen, dass die von Nazis tyrannisierten Menschen dort - ob MigrantInnen oder Linke - nicht allein bleiben werden. Es wäre zu begrüßen, wenn sich regelmäßig mehr praktisch als theoretisch orientierte Menschen - gruppenübergreifend - den Schlägertrupps in den Weg stellten.Und zwar dort wo diese ihr Unwesen treiben, und nicht am Rechner. Kritik berechtigt oder nicht, es ist richtig zudorthin zu gehen, wo der Abschaum sich sicher wähnt und seine Rückzugsgebiete verortet.Und zwar kontinuierlich und mit Nachdruck.Denn nur durch Präsenz läßt sich die faschistische Pestwolke der Angst durchbrechen.