Was 900 syrische Flüchtlinge denken

Erstveröffentlicht: 
14.10.2015

Newsletter von Adopt a Revolution https://www.adoptrevolution.org/ vom 14.10.2015

Was für Tage! Letzte Woche haben wir unsere Umfrage unter fast 900 syrischen Flüchtlingen vorgestellt. Alle Medien haben berichtet, selbst Angela Merkel hat am Abend in der Talkshow Anne Will unsere Zahlen zitiert. Statt ständig über Flüchtlinge zu sprechen, haben wir einfach mit ihnen gesprochen: Was waren ihre Fluchtgründe? Wie stellen sie sich ihre Zukunft vor? Und: Was sollten wir jetzt tun? Lest die Ergebnisse der Befragung!

 

Liebe Leserin, lieber Leser,


eigentlich ist die Idee naheliegend, dennoch haben uns und viele andere die Antworten überrascht! Während viel über Flüchtlinge aus Syrien gesprochen wird, haben wir direkt mit den Menschen gesprochen - und bei fast 900 SyrerInnen nachgefragt: Wovor flieht ihr genau? Welche Perspektiven seht ihr? Was sollte die internationale Gemeinschaft tun?

 

Letzte Woche konnten wir zentrale Ergebnisse der ersten umfassenden Umfrage unter syrischen Flüchtlingen präsentieren:


1.) Vor dem Assad-Regime fliehen etwa doppelt so viele der Befragten wie vor ISIS.
2.) Mehr als 90% der syrischen Flüchtlinge wollen zurückkehren - aber mehr als die Hälfte nur in ein Syrien ohne Assad.
3.) Eine Flugverbotszone könnte am ehesten verhindern, dass noch mehr Menschen aus Syrien vertrieben werden, glauben die Befragten.

 

Vor der Bundespressekonferenz haben wir die Daten vorgestellt - und wurden vom Medienecho geradezu überrollt! Von der Tagesschau über Süddeutsche Zeitung und Deutschlandfunk bis zur Englischen BBC berichteten die Medien. Am Abend zitierte dann sogar Angela Merkel unsere Zahlen in der Talkshow bei Anne Will. Wir freuen uns, dass den SyrerInnen so viel Gehör geschenkt wird, und wollen euch an den Ergebnissen teilhaben lassen.

 

Hier lest ihr, was syrische Flüchtlinge denken!


Wir haben noch eine große Bitte an euch: In nur neun Tagen haben viele freiwillige HelferInnen mit angepackt, um die Umfrage umzusetzen. Bislang konnten wir die Daten nur kurz auswerten - aber wir sind sicher, dass sie viele weitere spannende Informationen enthalten. Doch für die weitere Analyse brauchen wir dringend etwas Geld. In den nächsten Wochen wollen wir eine kurze Studie veröffentlichen, um noch mehr Menschen mit den Meinungen und Stimmen der syrischen Flüchtlinge zu erreichen. Könnt ihr etwas dazu beitragen?

 

Helft mit, die Studie zu erstellen!


Falls ihr lieber unsere Arbeit direkt in Syrien unterstützen möchtet: Heute vor zwei Woche bombardierte die russische Luftwaffe das erste Mal Ziele in Syrien. Dabei wurde auch Talbiseh bei Homs angegriffen. In dem Ort betreiben unsere Projektpartner ein unabhängiges Medienzentrum. Sie konnten als Erste berichten, dass Russland in Syrien nicht nur ISIS angreift - und damit die Weltöffentlichkeit erreichen. Wir wollen den AktivistInnen nun ermöglichen, vor Ort ein Filmprojekt gegen Dschihadisten umzusetzen.

 

Ermöglicht das Vorhaben in Talbiseh!


Was noch alles bei Adopt a Revolution passiert, findet ihr unten in unserem Nachrichtenteil.

Mit herzlichen Grüßen
Ferdinand Dürr
für das Team von Adopt a Revolution

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Stellenausschreibung: Öffentlichkeitsarbeit stärken

Wir wollen die Kampagnenarbeit von Adopt a Revolution stärken - und deshalb suchen wir Verstärkung. Hast du  Kampagnenerfahrung, kannst motivierend schreiben und arbeitest gerne in einem jungen, transnationalen Team? Oder kennst du jemanden, der zu uns passen könnte?

Dann schau dir unsere Ausschreibung an!

 

Interviews in der Tagesschau und Beitrag im Deutschlandradio

Nur zwei von weit über 50 Medienberichten über unsere Flüchtlingsumfrage wollen wir herausgreifen: Mit einem Beitrag hat die Tagesschau knapp die Ergebnisse der Umfrage zusammengefasst. In einem sehr differenzierten und fundierten Bericht stellt Deutschlandradio die Umfrage vor und beschreibt, welche Daten weiter ausgewertet werden sollten.

Schau das Interview in der Tagesschau!

Höre den Beitrag im Deutschlandradio nach!

 

Demonstration in Berlin gegen Fassbomben

Von den Befragten unserer Umfrage gaben 73% an, dass Fassbomben eine Gefahr für ihre persönliche Sicherheit waren. Bereits seit über eineinhalb Jahren sind diese ungenauen Waffen durch den UN-Sicherheitsrat geächtet, denn sie treffen in erster Linie ZivilistInnen. Ein breites Bündnis deutsch-syrischer Vereine und Organisationen greift jetzt das Thema auf - und will am Samstag, den 17. Oktober, ab 14 Uhr in Berlin dagegen demonstrieren.

Komm' am Samstag zur Demonstration in Berlin!

 

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Kommentar von Götz Aly in der Berliner Zeitung:

 

Lüge und Statistik können nahe beieinanderliegen. Dafür lieferte vergangene Woche eine vielfach zitierte Umfrage unter knapp 900 syrischen Flüchtlingen ein Beispiel. Vor deutschen Massenunterkünften hatte eine Gruppe, die sich Adopt a Revolution nennt, zufällig ausgewählte Flüchtlinge befragt und als Ergebnis mitgeteilt: 69,5 Prozent der Befragten seien vor dem Assad-Regime und dessen Verbündeten geflohen. Schaut man jedoch genau auf die Daten,erkennt man schnell, dass deutlich mehr (82,2 Prozent) der Befragten angaben, sie seien vor den verschiedenen Milizen der Aufständischen geflohen.

In der Erhebung werden die Rebellengruppen einzeln aufgeführt – zusammengenommen bilden sie 82,2 Prozent. Weil die Befragten jeweils mehrere Fluchtgründe angeben konnten, ergibt die Summe aller konkreten Antworten nicht 100 Prozent, wie der schnelle Leser meinen könnte, sondern 151,7 Prozent. Daraus werden 178 Prozent, sofern man die Befragten miteinbezieht, die mit „ich weiß nicht“ antworteten. Letztere machen 16,3 Prozent der knapp 900 Befragten aus. Das sind etwa 145 Personen. Bleiben rund 750 Personen, die angaben, welche Parteien ihrer Meinung nach für den Bürgerkrieg verantwortlich seien.

Da ich das Urmaterial nicht kenne, unterstelle ich, dass fast alle, die Mehrfachantworten gaben, jeweils zwei Bürgerkriegsparteien als Schuldige bezeichneten. Demnach hätte die Hälfte (375 Personen) je nach geografischer Herkunft die Regierungstruppen und eine oppositionelle Miliz genannt. Bleiben 375 Personen, die sagten, die akute Lebensbedrohung sei von nur einer Konfliktpartei ausgegangen. Bestimmt gaben längst nicht alle dem Assad-Regime die Schuld an der aktuellen Lage. Anders als die Initiatoren der Studie einer unkritischen Öffentlichkeit weismachen wollen, flohen nicht fast 70 Prozent der Befragten allein wegen des Assad-Regimes aus Syrien, sondern allenfalls 20 Prozent. Etwa ebenso viele wiesen die Schuld allein den Rebellengruppen zu. Aber bis zu 60 Prozent aller Befragten erklärten, dass sowohl die Regierung als auch Gruppen der Aufständischen die himmelschreienden, zur Flucht zwingenden Zustände in ihrer Heimat verursachten. Dass deutsche Medien (Spiegel, FAZ, Anne Will usw.) die verzerrte Statistik nachgebetet haben, sagt einiges: Entweder sind die dafür verantwortlichen Journalisten unwillig, Statistiken zu prüfen, oder sie verstehen sich als Propagandisten, denen Details gleichgültig sind. Abgesehen von der Interpretation der Daten gilt es zu bedenken, dass Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, ganz überwiegend wissen, welche Antworten opportun sind und welche nicht.

Verständig gelesen ergibt die Untersuchung, dass die Mehrzahl der Befragten alle Bürgerkriegsparteien für schuldig hält. Weil die Rebellen nicht entfernt über ein gemeinsames Ziel verfügen, ist die Gefahr groß, dass Syrien völlig zerfällt und sich Zustände verfestigen, wie sie hierzulande im Dreißigjährigen Krieg herrschten. Mir erscheint es notwendig, auch mit der Regierung Assad zu verhandeln. Womöglich denken auch viele Flüchtlinge so. Die zitierte Befragung widerlegt das nicht.

Ich verstehe beim besten Willen nicht, wie Aly aus der Statistik ableitet, dass man mit Assad zusammenarbeiten soll. Nach seiner "Dekonstruktion" der Umfrage sehen also nur etwa 20% das Problem allein beim Assad Regime. Daraus schließt er, mehr oder weniger offen ("...denken auch viele Flüchtlinge so"), dass die anderen 80% einer Zusammenarbeit mit dem Assad Regime nicht entgegenstehen. Mit dem gleichen Trick könnte man auch schlussfolgern, dass die Menschen für eine Zusammenarbeit mit einer beliebigen Rebellengruppe (also auch ISIS) sind, die wurden ja auch nicht von allen als alleiniger Fluchtgrund angegeben. Hätte Aly weiter gelesen, hätte er gesehen, dass 51,5% die Absetzung des Assad Regimes fordern und gerade mal ein gutes Viertel die Versöhnung zwischen den Gruppen als Lösung sehen. Wichiger ist aber die Topforderung, der gute 2/3 zustimmen, nämlich ein Ende des Krieges. Fast 58% wissen auch schon, wie das durchgesetzt werden soll: eine Flugverbotszone. Die übrigens nur für Assad gelten kann, der Rest hat nämlich keine Kampfjets. Wie erklärt sich Aly diese 58%? Oder rechnen wir hier jetzt auch wieder einfach so die Mehrfachnennungen raus und können daraus schlussfolgern, dass der Großteil gegen eine Flugverbotszone ist?

 

"Abgesehen von der Interpretation der Daten gilt es zu bedenken, dass Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, ganz überwiegend wissen, welche Antworten opportun sind und welche nicht."

 

Und ist es dann nicht opportuner, den IS als Hauptgrund anzugeben? Vor allem in Anbetracht der Gerüchte um Dschihadist*innen unter den Geflüchteten? Im Anbetracht der medialen Präsenz von IS (=gruselige, vermummte Kopfabschneider, allen bekannt aus Funk und Fernsehen) und Assad Regime (=sone langweilige Diktatur, die bisher niemanden so richtig interessiert hat und vondenen es nur langweilige Bilder in grauen Anzügen hinter hölzernen Schreibtischen gibt gibt, wo ich schnell wegschalte, wenn ich das sehe) erzeuge ich doch mehr Verständnis, wenn ich behaupte, vom IS verfolgt zu werden. Und warum genau sollten die Geflüchteten nicht ehrlich sein, wo es doch für das Leben hier egal ist, vor wessen Waffe sie fliehen? Und wieso sollten Geflüchtete ihre Zeit damit verbringen, über solche Dinge nachzudenken, wenn sie gerade erst in Deutschland angekommen sind (die Befragung fand in Erstaufnahmestellen statt)? Gibt's da nicht gerade wichtigeres, als mich für irgendwelche Götz Alys für meine Flucht zu rechtfertigen?

 

"Entweder sind die dafür verantwortlichen Journalisten unwillig, Statistiken zu prüfen, oder sie verstehen sich als Propagandisten, denen Details gleichgültig sind."

 

Journalist*innen arbeiten, wie alle anderen Arbeitenden tendenziell auch, schnell und dafür ungenau. Es geht nur darum, möglichst viel (semi-)interessanten Output anzufertigen und nach einer Woche sind 99% der produzierten Artikel sowieso wieder vergessen. Böse Absichten, gar Propaganda, würde ich da nicht unterstellen. Eher eine Anpassung an Sachzwänge. Habe mich damit abgefunden, mit angeschaltetem Gehirn kommt man damit aber auch gut klar, das sollte auch Aly schaffen.

Es ist klar, dass die Querfront sofort die Umfrage anzweifelt. Nun, inzwischen sind einfach viele syrische Flüchtlinge in Deutschland angekommen und jeder, der das will, kann sich Kontakte zu Syriern herstellen und selbst nachfragen. Die Aussagen der Syrier, die ich bisher getroffen habe, decken sich jedenfalls ungefähr mit dem Ergebnis der Umfrage.

Die Umfrage ist wirklich etwas absurd, denn, wenn sie alle vor Assad fliehen, wieso sind sie vor 2011 nicht geflohen? In Wirklichkeit fliehen sie wohl, weil sie weder für Assad noch für irgendwelche islamistischen Rebellen Kanonenfutter oder Kollateralschaden sein wollen, was auch durchaus verständlich ist. Zudem ist es etwas schwieriger, aus den vom IS kontrollierten Zonen rauszukommen.

 

Steht in deiner Traumwelt die FSA immer noch kurz vor dem Sieg? Jene Teile, welche sich mit Al Qaida, oder jene, welche sich mit der YPG verbündet haben? Letztere werden wohl kaum ein grosses Interesse haben, Damaskus zu erobern und Assad zu stürzen. Also, findest du, dass die AQ und ihre islamistische Koalition besser ist als Assad? Dann solltest du dich schnellstens nach einem besseren Argument gegen Anti-Imperialisten umschauen. Oder sind definitionsgemäss immer die Anderen eine Querfront?

Wenn das einzige Argument, das dich zum Schluss "absurde Umfrage" führt, jenes ist, dass die Leute nicht 2011 schon geflohen sind, ist dir leicht weiterzuhelfen: 2011 hatte das Assadregime weder Giftgas noch flächendeckend Fassbomben gegen Wohngebiete eingesetzt. Der Aufstand hatte gerade begonnen, die Chancen, dass er schnell vorüber sein würde, standen nicht auf hoffnungslos.

Zack, so schnell ist die Studie nicht mehr absurd.

 

Da aber Antiimpspacken die Baathparteien immer noch als Organe im nationalen Befreiungskampf und damit als sozialistisch betrachten wollen, weigern sie sich einfach anzuerkennen, dass die Situation 2015 eine andere ist. Menschen, die sich gegen die Diktatur und für ein freieres Leben erheben, müssen deswegen schnell zu "Agenten des US-Imperialismus" oder Terroristen umgelogen werden. Insofern ist es für dich und für Götzi gar nicht so schlimm, dass es die Kopfabhacker vom IS gibt, erleichtert es doch zumindest den zweiten Teil eurer, naja, feinen Verschwörungstheorie. Eben deswegen ist es aber leider wesentlich schwerer, wenn nicht gar unmöglich, dir weiterzuhelfen. Bei dem Schmarn oben andererseits: Auch nicht schad drum.

Sogleich Beissreflex? Wo verteidige ich das Assad-Regime und habe gesagt, die Flüchtlinge seien '"Agenten des US-Imperialismus" oder Terroristen'? Ich bin auch kein besonderer Anhänger von Götz Aly, ich vertraue grundsätzlich "Umfragen" nicht. Die Flüchtlinge fliehen, weil Krieg ist und jede Kriegspartei zwangsrekrutiert, nicht wegen diesen oder jenen "Tyrannen". Und was bitteschön ist "ein freieres Leben"?

 

Dein umgedrehter Anti-Imperialismus gegen Moskau und Assad ist 2015 nicht intelligenter als die historische Originalversion, woraus die Antideutschen hervorgegangen sind. Niemand wird in nächster Zeit in Syrien "gewinnen", und schon gar nicht deine "Freiheitskämpfer" (meinst du bürgerliche, proamerikanische, sogenannt "Freie" Fraktionen oder die vereinzelten Trotzkisten oder Anarchisten, welche mittlerweile kaum mehr zu hören sind?)

 

Eins ist sicher: Der Kommunismus wird kein Produkt demokratischer Bomben oder russischer "Volksbefreiung" sein. Gewiss wirst du mir jetzt gleich erzählen, dass der Westen eben genau mehr hätte intervenieren sollen, ein Anfall von Chamberlainianismus halt, ja, sicher... Viel Spass bei der Gespensterjagd!

Muss das denn immer gleich so eskalieren hier? Ist ja nicht so, dass wir den Konflikt hier in der Kommentarspalte entscheiden, also kann man auch ruhig und sachlich schreiben. Nehmt euren Zorn lieber beide mit auf die nächste Demo.

 

"Die Flüchtlinge fliehen, weil Krieg ist"

 

Das wollten viele hier im Land aber nicht verstehen, möglicherweise hat AAR da für eine Verschiebung gesorgt. Die Umfrage hatte nicht den Anspruch, den einzigen "Bösen" im Konflikt zu ermitteln. Sie richtet sich in allererster Linie an die Leute in Deutschland, die Geflüchtete nicht verstehen (wollen). Die brauchen nämlich Bildung, am Besten eimerweise. Bei der Aussage, dass 90% zurückkehren wollen, hat es bei vielen dieser Menschen hoffentlich *klick* gemacht. Deshalb danke für den Tagesschauauftritt.

 

"Eins ist sicher: Der Kommunismus wird kein Produkt demokratischer Bomben oder russischer "Volksbefreiung" sein. Gewiss wirst du mir jetzt gleich erzählen, dass der Westen eben genau mehr hätte intervenieren sollen, ein Anfall von Chamberlainianismus halt, ja, sicher... Viel Spass bei der Gespensterjagd!"

 

Das erste ist richtig, aber hier gehts nicht um die Einführung des Kommunismus, sondern die Abwehr von antizivilisatorischen Zuständen generell. Ich weiß, viele sehen das erst im Kommunismus so richtig verwirklicht, ich persönlich bin aber auch erstmal froh, wenn ich "scheiß Staat" sagen kann, ohne gefoltert oder aufgehängt zu werden (das ist z.B. ein "freieres Leben"). Das bekommt die PYD momentan noch am Besten hin, alle anderen kann man da vergessen. Deshalb ist das zweite halbfalsch. Aktive Intervention von außen nützt gar nichts, Bodentruppen sind irgendwann wieder weg und dann haben die Menschen dort das gleiche Elend wie gerade in Afghanistan. Die YPG zu supporten ist hier erstmal das Richtige, die bauen deutlich weniger Scheiße als alle anderen, sind transparenter in Struktur und Handeln und politisch teilweise progressiver als europäische Gesellschaften. Meiner Ansicht nach ein besserer Nährboden für Kommunismus als baath'sche Diktatur oder Mad Max'sche Dystopie wie unterm IS. Und nein, Damaskus werden sie nicht erobern, aber wer glaubt denn noch ernsthaft daran, dass Syrien nach diesem Krieg dieselben Staatsgrenzen bzw. eine einheitliche Regierung hat?

 

Über Kommunismus können wir leider erst reden, wenn Frieden ist, denn wie du selbst schreibst, wird er "kein Produkt demokratischer Bomben oder russischer "Volksbefreiung"" und wie ich hinzufügen würde, von Krieg überhaupt sein. Wie dieser Frieden in ganz Syrien (und Irak, redet da eigentlich noch jemand drüber?) erreicht werden soll, weiß ich selber nicht. Die Flugverbotszone hat in Libyen schonmal nicht geholfen. Ein starkes Rojava wird aber immerhin die Einwanderung von Dschihadist*innen und die Unterstützung der Al-Nusra durch die Türkei eindämmen, das wäre ein großer Schritt Richtung Frieden.

Hat eine*einer von euch schonmal erlebt, dass die gesamte Öffentlichkeit und der Staatsapparat sich positiv auf eure Aktivitäten beziehen?

Das war die Stelle, wo ich aufhörte zu lesen und der erste Kommentar zur Instrumentalisierung der Flüchtlinge durch AaR sagt ja dann auch alles.

Alle guten Ideen kommen von progressiven und kritischen Kräften: Menschenrechte, Arbeitsrechte, Soziale Rechte, Gleichheit, Freiheit, Demokratie, Solidarität. Manchmal dauerts Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte bis sie sich durchsetzen, manchmal eben nur Tage oder Stunden :)

Also ich habe mich mit ein paar Syrern unterhalten. Und da gibt es sehr große regionale Unterschiede. Die Leute aus Damaskus fliehen vor dem Militärdienst in Assads Armee oder vor den teilweise willkürlichen Verhaftungen, die Leute aus den kurdischen Gebieten vor dem IS, die Leute aus den Gebieten der "moderaten" Rebellengebieten vor den Fassbomben Assads (und perspektivisch vor den russischen Luftangriffen), die Leute aus den Gebieten die vom IS kontrolliert werden fliehen vor dem IS.

Aber ich bilde mir nicht ein da jetzt ein "Ranking der Bösewichte" erstellen zu können. Ist doch auch wenig zielführend. Es wird mit Assad keinen Frieden in Syrien geben, mit dem IS auch nicht. Das Land wird dauerhaft im Bürgerkrieg versinken, perspektivisch zerfällt das Land, bzw. die ganze Region.

Und die Debatte ist doch eh eine rein abstrakte. Als wenn "wir" hier irgendeinen Einfluss auf die Entwicklungen in Syrien hätten. Da gibt es glaub ich sinnvolleres mit dem mensch sich gerade befassen kann.