"Die Stimmung ist momentan sehr gut"

Erstveröffentlicht: 
25.09.2015

Ein Besuch in der Messehalle 4: Nur kleinere Rangeleien - aber immer noch fehlende Privatsphäre

 

VON JOSEPHINE HEINZE


Leipzig. Seit 16 Tagen leben Flüchtlinge in der Messehalle 4 in Leipzig. Die Erstaufnahmeeinrichtung ist eins von 31 Objekten, das die Landesdirektion Sachsen betreibt. Gestern öffnete die Unterkunft ihre Tore.


Orientalische Musik dröhnt aus Lautsprechern über die Freifläche vor der Messehalle. Auf Bierbänken stehen Menschen, klatschen, jubeln, wollen einen Blick auf das Geschehen erhaschen. Sie sind jung und alt, haben verschiedene Hautfarben, sprechen unterschiedliche Sprachen. Und sie sind Flüchtlinge, untergebracht in der Erstaufnahmeeinrichtung auf der Neuen Messe. "Mitarbeiter vom Verdi-Kongress haben eine Akrobatik-Show für die Leute hier in der Halle organisiert", erklärt Doreen Rößler. Sie ist Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuz (DRK) und als Campmanagerin für die Unterkunft zuständig.


Ende letzter Woche war Kritik an der Einrichtung laut geworden. Die Flüchtlinge prangern unter anderem eine schlechte Essensversorgung, zu wenige Sanitäranlagen und mangelnde medizinische Hilfe an. Unterstützt von zwei Leipziger Initiativen hatten die Bewohner deswegen am Mittwoch ein Protestcamp errichtet. Neben den Mängeln bei der Unterbringung war dabei vor allem ein Kritikpunkt laut geworden: der große Verzug bei der Registrierung der Flüchtlinge und damit verbundene Ratlosigkeit und Resignation.


"Soweit ich weiß, ist derzeit noch keiner der hier lebenden Menschen registriert", erklärt Jana Klein von der Landesdirektion. Grund ist, dass diese Registrierung sachsenweit bisher allein in Chemnitz möglich ist. Die Verhandlungen dazu laufen, ab Mitte Oktober soll es im Klinikum St. Georg eine weitere Erstaufnahmestelle geben. Der Freistaat sei regelrecht überrollt worden, so Klein. Dadurch gerate man in Verzug. "Wir sind froh, dass wir den Menschen ein Dach über dem Kopf anbieten können."


In der 20000 Quadratmeter großen Halle leben momentan 1800 Menschen. Damit ist die Unterkunft mit etwa 100 Personen überbelegt. Nicht alle haben einen Platz in einer der rund 200 Kabinen bekommen, die für die Menschen der einzige Rückzugsort sind. "Das wollen wir so schnell wie möglich ändern", erklärt die Campmanagerin. Auch Spielbereiche für die 300 bis 400 in der Halle lebenden Kinder mussten neuen Schlafstätten weichen. Die Bewohner haben viele der etwa 35 Quadratmeter großen Kabinen provisorisch mit Laken oder zerschnittenen Plastiktüten verhängt, um Privatsphäre zu schaffen. Richtige Türen seien wegen des Brandschutzes nicht möglich, heißt es.


Seit Montag hat das DRK eine tägliche Ärzte-Sprechstunde in einer Art Krankenstation, dem "Medi- point", eingerichtet. Dass Flüchtlinge mit ihren Problemen allein gelassen werden, käme nicht vor. Gegenüber LVZ.de hatte ein Mann erklärt, seine Kinder wären nicht behandelt worden. "Ich war bei den Ärzten, aber sie haben uns weggeschickt", so der Syrer. Der Ausschlag war bei zwei seiner Söhne deutlich zu sehen.


"Ich kann nicht verstehen, woher diese Diskrepanzen kommen", entgegnet Reiko Pöschl, Koordinator vom DRK. "Letztlich ist es eine Entscheidung des Arztes, wie behandelt wird." Möglichen sei aber, dass es bei der Übersetzung zwischen Arzt und Patient zu Missverständnissen gekommen ist. Neben fünf festangestellten Übersetzern arbeiten Ehrenamtliche, um Farsi, Kurdisch oder Persisch zu dolmetschen.


Mehr als die Hälfte der Menschen vor Ort kommt aus Syrien. Die anderen seien vor allem Pakistani, Afghanen, Inder. Um Konflikte zu vermeiden, wurden die Bewohner in der Halle nach Nationalitäten separiert. "Die Stimmung ist momentan aber sehr gut", erklärt Rößler. Kleine Rangeleien zwischen Flüchtlingen kommen vor, größere Vorfälle habe es nicht gegeben.


Wie Messesprecher Steffen Jantz erklärt, müssen die Flüchtlinge Mitte Dezember in eine kleinteilig gegliederte Unterkunft umziehen. Auf knapp 40000 Quadratmetern Freifläche der Messe sollen temporäre, winterfeste Quartiere entstehen.