Aufgeheizte Stimmung vor Asyl-Sondersitzung

Erstveröffentlicht: 
01.09.2015

Landtag debattiert heute zu Übergriffen an Heimen / Gebhardt präsentiert linke Initiative mit Seltenheitswert

 

Von Jürgen Kochinke


Dresden. Wenn sich die Abgeordneten heute zum Streitthema Asyl im sächsischen Landtag treffen, könnte die Stimmung kaum aufgeheizter sein. Erst Meißen, dann Freital, jetzt Heidenau - überall kommt es zu Übergriffen, Ausschreitungen und üblen Hasstiraden sogenannter "besorgter Bürger". Und auch dem letzten müsste mittlerweile klargeworden sein, dass es sich dabei nicht um Besorgte handelt, sondern um entfesselte Wutpöbler und Neonazi-Hooligans. Zwar gibt es Attacken auf Asylbewerberheime derzeit in fast allen Bundesländern, solche Szenen wie mehrfach in Heidenau aber eher selten bis nicht.


Das ist die Gemengelage vor der heutigen Sitzung im Landtag. Doch es gibt auch Zeichen der Hoffnung. Nach Jahren des Leugnens, Verdrängens und Totschweigens scheint Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) jetzt den Ernst der Lage erkannt zu haben. Tatsächlich spricht er nun von einer "nicht zu unterschätzenden rechtsextremistischen Szene" in Sachsen. Das ist gleich doppelt beachtlich. Zum einen ist es das genaue Gegenteil jener Losung, die CDU-Übervater Kurt Biedenkopf - "Sachsen hat kein Neonazi-Problem" - Ende der 90er-Jahren ausgegeben hatte. Zum anderen sind solche Töne in Tillichs CDU-Fraktion, bis hin zu Chef Frank Kupfer, bisher kaum zu vernehmen.


Beachtlich aber ist nicht nur der Wandel von Tillich, sondern auch der Ansatz von manchem aus der Opposition. So hat Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt vor kurzem eine Initiative gestartet, die Seltenheitswert hat. Tenor: Angesichts eskalierender Lagen bei der Aufnahme von Flüchtlingen sowie mit rassistischen Hetzern sei in Sachsen ein "parteiübergreifend organisierter Neustart" vonnöten. Dabei geht es Gebhardt um einen "praktischen Grundkonsens" beim Schlüsselthema Asyl. Denn da, so der Linke, säßen alle "in einem Boot" und müssten entsprechend gemeinsam nach Lösungen suchen - alle mit Ausnahme der rechtskonservativen AfD.


Das sind überaus rare Worte aus dem Mund eines Oppositionsführers, denn es ist ein direktes Angebot an die CDU. Konkret liest sich das bei Gebhardt so: "Ich glaube, dass selbst demokratische Sozialisten und Christdemokraten ein Stück des Weges zur Überwindung der derzeitigen untragbaren Asyl-Verhältnisse in Sachsen gemeinsam gehen können, ja sollen, ja eigentlich sogar müssen." Dabei macht der Linke eine Reihe von Lösungsvorschlägen - zum Beispiel, dass die vier beteiligten Parteien sich gegenseitig bei der Organisation einer asylpolitischen Kommunikation in den Kommunen aushelfen und unter die Arme greifen.


Dass Gebhardt dabei auf allzu viel Gegenliebe bei den versammelten Unionschristen stößt, kann allerdings nahezu ausgeschlossen werden. Zum einen sind ihnen die Linken immer noch eine Art rotes Tuch, zum anderen gilt ihnen die AfD keineswegs nur als Teufelswerk - nicht zuletzt mit Blick auf die Landtagswahl 2019. Eine punktuelle, schwarz-rot-rot-grüne Koalition der Vernunft, wie Gebhardt sie vorschlägt, geht für viele Christdemokraten schon deshalb nicht, weil dieser die AfD nicht dabei haben will.