Freital, wo alle nur "besorgte Bürger" sein wollen

Erstveröffentlicht: 
29.07.2015

Viele Freitaler fühlen sich von den Medien als Neonazis diffamiert, weil sie das Flüchtlingsheim ablehnen. Die Asylbewerber selbst spüren die Ablehnung im Ort deutlich. Besuch an einem Brennpunkt.

 

Freital hat andere Probleme als rechtsradikale Demonstrationen vor dem Asylbewerberheim oder rassistische Parolen auf Versammlungen "besorgter Bürger" im Stadtzentrum. Die sächsische Gemeinde zehn Kilometer vor Dresden hat andere Sorgen als den Sprengstoffanschlag auf das Auto eines Asylaktivisten und Linke-Stadtrats.

 

Das eigentliche Problem ist nach Ansicht vieler Freitaler fremd, teuer, kriminell, und sein Epizentrum liegt auf dem Hügel über dem Städtchen im ehemaligen Hotel "Leonardo", das als sächsisches Erstaufnahmezentrum etwa 380 Asylbewerber beherbergt. So nehmen es in verschiedenen Schattierungen 15 von 20 Gesprächspartnern wahr.

 

"Eigentlich sind wir hier, weil wir die Heimbewohner vor den Rechtsradikalen schützen sollen. Es kommt aber seit Wochen kein Rechtsradikaler. Stattdessen müssen wir im Heim die Schlägereien und Messerstechereien schlichten. Im Supermarkt wird geklaut, das bringt schon keiner mehr zur Anzeige", sagt ein Polizist, der regelmäßig 14-Stunden-Schichten vor dem Heim schiebt. In den umliegenden Supermärkten wissen die Angestellten nichts von einem sprunghaften Anstieg des Diebstahls.

 

Eine Angestellte im Spielcasino regt sich auf: "Wir Deutschen bezahlen im Supermarkt. Die nicht! In der Bahn nach Dresden fahren die schwarz, und wenn der Schaffner kommt, zeigen sie die leeren Taschen, und die Kontrolleure schauen weg. Die Asylanten haben Kleider, die haben meine Kinder nicht an", sagt die 45-Jährige. Sie sei einmal in Nürnberg im Kaufhaus gewesen; da habe sie nur noch "Kopftuchfrauen" gesehen, sofort habe sie das Kaufhaus wieder verlassen. "Insgesamt ist es schon so, wie der Sarrazin sagt: Deutschland schafft sich selber ab." Außerdem gibt sie zu Protokoll: "Wir sind immer noch ein besetztes Land, Merkel ist nur eine Marionette der Amerikaner."

 

Ein Sanitäter des Deutschen Roten Kreuzes berichtet: "Wenn man die Medien sieht, denkt man, hier toben die Nazis. Das ist völliger Quatsch. Wir bekommen ja mit, wenn hier jemand verletzt wird. Es gab hier seit Jahren keinen Fall, bei dem ein Ausländer behandelt werden musste, weil er von einem Deutschen verletzt wurde. Umgekehrt erleben wir das öfter." Sein Kollege raunt: "Der Krieg kommt zu uns nach Hause. Vorhin haben mich drei kleine Jungs im Markt gefragt, wann der Krieg beginnt." Ukraine, Türkei, Islamischer Staat – es sei nur eine Frage der Zeit, bis es "wieder richtig kracht".

 

Gekracht hatte es jedenfalls am Montag beim Fraktionschef der Linkspartei im Freitaler Stadtrat, Michael Richter. "Es gab schon mehrere Morddrohungen gegen mich, bevor das Auto explodierte", erzählt Richter, während er sich auf den Weg zur Polizei macht. Die ermittelt wegen des mutmaßlichen Anschlags gemeinsam mit dem für Extremismus zuständigen Operativen Abwehrzentrum. Der Aktivist der Organisation Pro Asyl fürchtet "weitere Aggressionen gegen mich und alle anderen, die sich in Freital für die Flüchtlinge einsetzen".

 

Der Getränkemarktverkäufer, der wie alle anderen angesprochenen Freitaler Bürger an diesem Dienstag nicht namentlich genannt und schon gar nicht fotografiert werden will, sagt: Er lehne zwar Anschläge ab und halte die Gerüchte über die Asylbewerber für Einbildungen der Radikalen. Aber zugleich reagiert er allergisch auf den Namen des Linke-Politikers Richter: "Was der sich geleistet hat! Mit dem habe ich kein Mitleid! Der hat uns alle beleidigt und im TV wörtlich gesagt, in Freital gibt's zu viele Chantals und Ronnys." Als Richter "mit seinen Linken vor dem Toom-Markt aufmarschieren" wollte und der Toom-Geschäftsführer dies verbot, habe der Aktivist den Markt – einen der größten Arbeitgeber Freitals – verklagt, empört sich der Verkäufer. "Und das als Stadtrat."

 

Der Security-Angestellte im Asylheim, ein Mann fürs Grobe, mit einem Schneidezahn weniger als üblich, möchte lieber nichts sagen. Er regt sich dann doch auf: Warum könne eine Detonation im Auto eines Kämpfers für ein großzügiges Asylrecht in Zusammenhang mit den Protesten gegen das Asylheim gebracht werden?

 

Unter den Anwohnern der beiden lang gezogenen Plattenbaublocks gegenüber dem ehemaligen Hotel herrscht ebenfalls eine eindeutig ablehnende Stimmung, wenn es um das Heim geht. Ein großer, schlaksiger Endzwanziger sagt: "Ich demonstriere nicht mit, aber meine Kumpels. Ich arbeite im Westen – für einen Westunternehmer. Wenn die da rausbekommen, dass ich gegen das Asylheim demonstriere, fliege ich raus." MDR, Sat.1, RTL, alle berichteten, die Freitaler seien Nazis – obwohl sie doch nur "besorgte Bürger" seien. "Hier im Block haben alle die Schnauze voll von der Lügenpresse." 

 

Die Flüchtlinge verhalten sich bewusst unauffällig


100 Meter bergab, neben dem Heim, spielen Flüchtlingskinder Fußball. Vom Haus "Leonardo" talabwärts sind Asylbewerber in Zweier- oder Dreiergrüppchen Richtung Innenstadt unterwegs oder kommen von dort. Nordafrikaner, Kosovaren, Syrer. Wer reden will und kann, berichtet von bösen Blicken und rassistischer Gewalt; gleichzeitig scheinen die jungen Männer aber auch nichts anderes zu erwarten. Insgesamt müsse man dennoch keine Angst haben. Der Marokkaner Rashid sagt auf Französisch: "Man spürt die Ablehnung. Ich bin zwar noch nicht geschlagen worden, aber mein Freund hier wurde von drei Rassisten verprügelt." Der neben ihm Stehende nickt schüchtern. Rashid sagt: "Ich bin hergekommen, weil es in Marokko keine Arbeit und kein Geld gibt. Alles Scheiße."

 

Die Asylbewerber verhalten sich vorsichtig, soweit man es beobachten kann. Niemand fällt – entgegen den vielen Beschwerden der Freitaler – durch offensives Verhalten oder aggressive Blicke auf. Zu erkennen ist stattdessen ein vorsichtiger Habitus – melancholische Blicke, platzsparende Gehwegnutzung, biedere Frisuren, kein Dicke-Hose-Style.

 

Zwei Albaner um die 40, die seit 1993 in Freital als Handwerker arbeiten, berichten: "Wir haben hier keine Probleme, weil alle uns hier kennen, aber ich merke deutlich, dass eine Nazi-Stimmung entsteht. Im Stadtzentrum hing wochenlang ein Plakat, auf dem stand in kleiner Schrift ,kriminelle' und in riesigen Buchstaben darunter ,Ausländer raus'."

 

Die Polizei Dresden weiß nichts von einem Kriminalitätsanstieg in Freital. Eine Sprecherin teilt der "Welt" mit: "Im Rückblick auf die vergangenen Jahre lässt sich feststellen, dass die Zahl der Straftaten im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge und auch in der Stadt Freital (ohne ausländerrechtliche Verstöße) leicht rückläufig ist. Dies scheint sich auch in diesem Jahr fortzusetzen."

 

Um die rechten Wogen zu glätten, gab im Juni sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor dem Freitaler Kulturhaus Auskunft zum Asyl. Draußen standen AfD-Stadtratsmitglieder, Anhänger von Pegida sowie der Initiativen "Frigida – unsere Stadt bleibt sauber" und "Nein zum Hotelheim". Die Menge rief "Wir wollen keine Asylantenheime" und hisste Transparente mit der Aufschrift "Kein Ort zum Flüchten".

 

Nachdem die Demonstrationen vor drei Wochen unterbrochen worden waren, sollen am Freitag die Ablehnung gegen das Asylsystem und Ausländerhass wieder vor dem Heim herausgeschrien werden. Neben den Anwohnern wird erneut die rechtsextreme Szene aus dem Umland nach Freital kommen: die Überbleibsel der zerschlagenen Skinheads Sächsische Schweiz, NPD-Funktionäre, die Freien Kameradschaften, denen die NPD zu angepasst ist. Viele von ihnen lauschten auch am Montagabend wieder den immer gleichen Reden von Pegida-Gründer Lutz Bachmann in Dresden. Der lebt in Kesselsdorf bei Freital und unterstützt die Proteste gegen das Asylheim tatkräftig.

 

Sachsen brodelt: Am Sonntag lädt der Verein "Dresdner Selbstbestimmung" alle "heimatlosen Deutschen" zur Demo gegen "Überfremdung, Frühsexualisierung, Fremdherrschaft und Mediengewalt" vor die Frauenkirche. Musikalisch begleitet wird der braune Spuk vom Neonazi-Duo A3stus. Auch vor dem Asylheim in Freital will die Band auftreten. Ihre Texte haben wenig zu tun mit Kritik an der Flüchtlingsaufnahmepraxis in Deutschland; sie ist da etwas grundsätzlicher: "Für unser deutsches Land ziehen wir heute in den Kampf! Ihr erwartet Dank, hier ziehen treue Deutsche die Waffen", heißt es in einem ihrer Rechtsrock-Ergüsse.

 

In ganz Deutschland verzeichnet das Bundesinnenministerium für das erste Halbjahr 173 rechte Straftaten gegen Asylunterkünfte – fast dreimal so viele wie im Vorjahreszeitraum, besonders viele davon in Sachsen. 80 Kilometer von Freital entfernt ging in Meißens Altstadt ein Mietshaus für Asylbewerber kurz vor dem Bezug in Flammen auf; zuvor war ein Zettel angebracht worden, der die Asylbewerber aufforderte, den Ort schnell wieder zu verlassen. 

 

"Viele Primitive in Freital"


Und immer wieder Dresden: Erst am Samstag kam es in Sachsens Hauptstadt bei einer NPD-Demonstration gegen Asylbewerber zu Ausschreitungen. Mehrere Hundert Gegendemonstranten stellten sich schützend vor die neu errichtete, mit 470 Flüchtlingen belegte Zeltstadt im Stadtteil Friedrichstadt. Etwa 200 Rechtsextreme griffen mit Knallkörpern und Wurfgeschossen an. Drei Menschen wurden verletzt. Ein Mann wurde nach Angaben der Polizei festgenommen.

 

In Freital werden die Gewalt rund um die Zeltstadt und andere ausländerfeindliche Aktionen teilweise verurteilt – aber von vielen auch kleingeredet. In den Gesprächen über rechte Umtriebe geht es nach kürzester Zeit wieder um Asylmissbrauch. So fällt etwa einem Anwohner des Heims zu dem Zeltstadt-Angriff ein, dass die "sogenannten Flüchtlinge dort immer mit iPhone 6, Galaxy und Nike-Air-Max-Schuhen herumstehen".

 

Eine 40 Jahre alte Gärtnerei-Angestellte ärgert sich über die ausländerfeindlichen Äußerungen ihrer Mitbürger. "Wir haben hier viele Primitive in Freital, die sagen, Ausländer nähmen die Arbeitsplätze weg." Zu einem habe sie schon einmal gesagt: "Du hast doch sowieso noch nie gearbeitet, wie soll man dir denn den Arbeitsplatz wegnehmen? Und dein Hartz IV bekommst du doch auch weiterhin."

 

Ihr Sohn arbeite in Stuttgart, wo seine Arbeitskollegen auf ihn herabsähen, weil er aus Freital komme. "Man muss sich mittlerweile wirklich schämen, selbst Udo Lindenberg hat neulich auf seinem Konzert vor rechtsextremen Zuständen in Freital gewarnt", findet sie. Viele Anwohner wollen davon offenbar lieber nichts wissen.