Recherche-Doku zu Neonazis in Westbrandenburg [2014]

Braune Netzwerke - Neonazistische Organisierung in Westbrandenburg 2014

Für das westliche Brandenburg, genauer gesagt für die Landkreise Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Havelland und Potsdam-Mittelmark sowie für die kreisfreien Städten Brandenburg an der Havel und Potsdam, wurde heute eine Informationsbroschüre zu neonazistischen Organisationen, Aktivitäten und Übergriffen veröffentlicht. Die Dokumentation umfasst 196 Seiten und liegt als PDF in einer Größe von 17,9 MB vor.

Sie kann hier frei heruntergeladen werden: http://workupload.com/file/YQMj4dO9

Die Verfasser*innen ziehen als Fazit ihrer Analyse, dass die Etablierung neuer neonazistischer Netzwerke, das Auftreten neuer neonazistischer Aktionsgruppen, die steigende Zahl aktiver Neonazis, die deutliche Zunahme neonazistischer Aktivitäten und letztendlich die gleichbleibend hohe Gewalt gegen Geflüchtete im Jahr 2014 zeigt, dass die Herausforderung des organisierten Neonazismus mindestens mittelfristig ein bleibendes Thema in Westbrandenburg bleiben wird. Es gibt dort ein erhebliches Potential an gefestigten Kadern, welche sich berufen fühlen, das Milieu vor allem durch Aktionismus, insbesondere durch Veranstaltung von Aufmärschen und Kundgebungen, bei Laune zu halten und gleichzeitig Anknüfungspunkte an rassistische, völkische oder antisemitische Strömungen in der Gesellschaft zu suchen.
Diese Menschen sind auch für die bundesweit agierende NPD interessant, welche diese gerne für parteipolitische Zwecken einsetzen oder zu Abgeordneten in Parlamenten aufbauen will.

NPD

Im Jahr 2014 gelang es der nationaldemokratischen Partei vor allem ihre Sitze in den Kommunalparlamenten Westbrandenburgs von zwei auf neun zu erhöhen. Des gleichen erfolgreich war die NPD auch bei der Europawahl, bei der ihr Kandidat Udo Voigt schließlich auch mit Westbrandenburger Wähler*innenstimmen einen Abgeordnetensitz im Europäischen Parlament errang. Bei den Brandenburger Landtagswahlen konnte die Partei hingegen nicht überzeugen und musste sich im direkten Vergleich der rechtskonservativen „Alternative für Deutschland“ (AfD) geschlagen geben.
Doch auch für das radikale „freie“ Spektrum hat die Politik der NPD nur noch einen untergeordneten Stellenwert. Die Partei  wird in diesem Teil des Milieus nur für die Anmeldung von Versammlungen benötigt, da ihr Parteienprivileg relativ gut vor möglichen Veranstaltungsverboten schützt.

„Freie Kräfte“

Die wichtigsten „freien“ Netzwerke in Westbrandenburg sind die seit 2009 aktiven „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ und die erst 2014 in dieser Form bestehende Gruppe um Maik Eminger. Beide Gruppen fielen 2014 durch zahlreiche Aktivitäten auf. Die „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ führten beispielsweise einen größeren Aufmarsch in Wittenberge sowie mehrere kleinere Kundgebungen, die in der Mehrheit den so genannten „Tag der Deutschen Zukunft“ (TDDZ), eine für den 6. Juni 2015 in Neuruppin geplante neonazistische Großveranstaltung, bewarben, durch.
Die Gruppe um Maik Eminger (Zwillingsbruder von NSU Unterstützer André Eminger) versuchte hingegen vor allem gegen Geflüchtete und Geflüchtetenunterkünfte zu hetzen. Insbesondere unter der Bezeichnung „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“ ist die Gruppierung auch bundesweit, vor allem im Kontext der so genannten „PEGIDA“-Märsche aktiv. Darüber hinaus führte sie auch eigene Veranstaltungen, wie beispielsweise einen Spontanmarsch im Norden Brandenburgs, durch. Weiterhin trat die Gruppe auch als „Gefangenenhilfe“ in Erscheinung und nahm unter dieser Bezeichung ebenfalls bei Veranstaltungen, u.a. bei einer größeren, von der NPD angemeldeten Kundgebung in Brandenburg an der Havel, teil. Zudem existieren Beziehungen zu der neonazistischen Kleinpartei „Der dritte Weg“ in Süddeutschland.
Neben den drei überregional aktiven Netzwerken, also der NPD, den „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ und der Gruppe um Maik Eminger, gibt es in bestimmten Orten in Westbrandenburg  aber auch noch bemerkenswerte Strukturen lokal agierender Neonazis.
In Lanz (Landkreis Prignitz) trat die neonazistische Wählerinitiative „WIR von HIER“ im Mai 2014 erstmals zu einer Kommunalwahl an, gewann auf Anhieb zwei Abgeordnetensitze und bildet in der Gemeinde nun sogar eine Abgeordnetenfraktion. Dies war der NPD oder anderen neonazistischen Organisationen in Westbrandenburg bisher noch nirgendwo gelungen.
In Wittstock/Dosse (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) traten vor allem ab Herbst 2014 gleich drei Aktionsgruppen in Erscheinung, die hauptsächlich gegen Geflüchtete polemisierten. Zwei der Gruppen, die „Nationalen Sozialisten Wittstock/Dosse“ und die „Aktionsgruppe Nord-Ost“, setzen sich klar aus Neonazis zusammen, die auch an überregionalen Aufmärschen teilnahmen. Mitglieder aus allen drei Gruppen marschierten zu dem gemeinsam im Dezember 2014 in Wittstock/Dosse auf.
In Karstädt (Landkreis Prignitz) gibt es ebenfalls eine von Neonazis gesteuerte Initiative gegen Geflüchtete. Diese nennt sich „Karstädt wehr dich“ und wird maßgeblich von einem neonazistischen Versandhändler, der im Ort wohnt, gesteuert.

Konsequenz

Die Entwicklung des organisierten Neonazismus im Jahr 2014 hat verdeutlicht, dass sich der Einfluss der NPD im neonazistischen Milieu zu Gunsten  der „freien Kräfte“ verschoben hat. Dieser Trend wird sich auch im Jahr 2015 fortsetzen.
Mit den „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ ist nämlich bereits eine feste Organisationsstruktur entstanden, die mit dem Selbstbewusstsein eines Vereines auftritt und kontinuierlich an einem überegionalen, parteiunabhängigen neonazistischen Netzwerk in Westbrandenburg arbeitet.  Diese Struktur dürfte milieuintern auch durch die Ausrichtung des „Tages der deutschen Zukunft“ im Juni 2015 eine bundesweite Aufwertung erfahren. Es droht so nicht nur die Gefahr permanenter Großversammlungen, sondern auch eine, mit wachsendem Selbstbewusstsein zunehmende Radikalisierung zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen, die immer größere Drohkulissen gegen Geflüchtete oder politische Gegner*innen erzeugen könnte. Die ersatzlose Auflösung der  „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ ist deshalb mehr als nötig.
Doch auch das Verbot der NPD sollte gerade jetzt weiter vorangetrieben werden. Die Partei hat sich nämlich in den letzten Jahrzehnten immer wieder von Krisen erholt und sich dann wiederholt an die Spitze des neonazistischen Milieus gestellt. Das momentane Tief der NPD könnte sich erfahrungsgemäß bereits zu den nächsten Wahlen zu einem Hoch umschlagen.

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