Sachsens Landräte proben den Asylaufstand

Erstveröffentlicht: 
20.02.2015

Die Landräte der zehn Kreise in Sachsen erwarten angesichts des Flüchtlingsansturms vom Freistaat schnelle Änderungen im Umgang mit den Asylbewerbern. Sie reagierten damit auf die Aussagen von Innenminister Markus Ulbig bei einem gemeinsamen Treffen am Mittwoch. Der Kreischef von Nordsachsen, Michael Czupalla, forderte heute stellvertretend für seine neun Amtskollegen von der Staatsregierung eine verbindliche Vereinbarung zu Grundsätzen der Asylunterbringung.

 

Bessere Organisation und mehr Kommunkation bitte!

 

Zu diesen Grundsätzen gehören nach Ansicht der Landräte vor allem eine bessere Kommunikation zwischen den Behörden, rechtzeitige Information über Herkunft und Familienstrukturen der aufzunehmenden Flüchtlinge, mehr Geld für Unterkünfte und Versorgung, fachliche Unterstützung beim Einrichten neuer Asylunterkünfte sowie eine deutlich höhere "Rückführungsquote". Asylbewerber aus Serbien, Mazedonien oder dem Kosovo, über deren Anträge kurzfristig entschieden werden kann, sollten gar nicht erst auf die Kreise verteilt werden, sondern gleich in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben.

 

Die sächsischen Landräte erwarten eine verbindliche Vereinbarung mit dem Freistaat zu folgenden Grundsätzen:
Verteilung: Struktur der Aufgabenzuständigkeit einhalten
  • Die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern erfolgt entsprechend der den jeweiligen Aufgabenträgern zukommenden rechtlichen und tatsächlichen Aufgaben. Demnach:
  • - werden keine Asylbewerber an die Unterbringung verteilt, über deren Antrag kurzfristig entschieden werden kann. Dies ist für Personen aus Serbien und Mazedonien als "sichere Herkunftsstaaten" sowie für Personen aus dem Kosovo (Antrag "offensichtlich unbegründet") der Fall.
  • - werden Asylbewerber nur mit entsprechender Aktenanlage (Eröffnung des Asylverfahrens durch das BAMF) verteilt.
  • - werden Asylbewerber nur dann verteilt, wenn für sie eine Gesundheitsprüfung durchgeführt wurde und das Ergebnis dem Gesundheitsamt der Unterbringungsbehörde zeitgleich (spätestens am selben Tag) zur Verfügung gestellt wird.
  • - wird die Zuteilung der Unterbringungsbehörde unter Nennung der Herkunftsstaaten und Familienstrukturen mindestens 14 Tage vor der Verteilung zur Verfügung gestellt.

Erforderliche Finanzierung sicherstellen
Aufgrund des erheblichen Zuwachses der Asylbewerber und den damit verbundenen steigenden Investitionskosten ist die festgelegte Unterbringungspauschale bei weitem nicht ausreichend. Da auch der Freistaat über entsprechende Erfahrungen zu Preissteigerungen bei der Erstaufnahmeeinrichtung verfügt, bitten die Landräte den Freistaat um Unterstützung bei der Diskussion um die Asylbewerberfinanzierung gegenüber dem Landtag. Die Pauschale ist um einen "Investitionszuschlag" zu erhöhen oder die Investitionskosten sind den Landkreisen mittels einer Investitionspauschale auszugleichen.

 

Unterstützung bei der Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten in den Gemeinden
Die Landräte erwarten vom Innenminister Unterstützung bei der Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten in den Gemeinden durch entsprechende rechtliche Instrumente. Zudem muss das Baurecht und Vergaberecht in der Weise angepasst werden, das erforderliche Nutzungsänderungen und entsprechende Betreiberverträge kurzfristig möglich gemacht werden, bzw. nicht einseitig verhindert werden können.

 

Rückführungskonzept vorlegen - Rückführungsquote verbessern
Die Landräte erwarten vom Freistaat eine deutliche Steigerung der Rückführungsquote. Ein Verweis auf den noch niedrigeren Standard anderer Bundesländer kann hier nicht zielführend sein.
Die Landräte erwarten die Vorlage eines Rückführungskonzeptes und eine entsprechende Bereitstellung der benötigten polizeilichen Kräfte.

 

Offene, regelmäßige und ehrliche Kommunikation


Die Landräte erwarten vom Innenminister eine offene, regelmäßige und ehrliche Kommunikation über die prognostizierten Zugangszahlen, die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die tatsächlichen Belegungszahlen sowie zu den beabsichtigten Einrichtungen von Erstaufnahmekapazitäten in den Landkreisen.

 

(Quelle: Landratsamt Nordsachsen)

 

Freistaat und Kreise plagen die gleichen Sorgen


Sachsens Innenminister Markus Ulbig hatte erst am Mittwoch bei einem Treffen mit den Landräten erklärt, Sachsen müsse bei der Erstaufnahme Flüchtlinge auch weiterhin teilweise in Notunterkünften unterbringen. Nur so könne der Ansturm bewältigt werden. Inzwischen existieren landesweit verteilt mehrere Interims-Erstaufnahmen.

Doch auch die Kreise haben immer mehr Probleme, die nach der Erstaufnahme von der Landesdirektion zugewiesenen Flüchtlinge unterzubringen. Sie müssen teilweise selbst Notunterkünfte einrichten, wie zuletzt die Turnhalle in Großröhrsdorf im Kreis Bautzen. Dort gab es zudem - auch aufgrund der Wohnumstände - Auseinandersetzungen zwischen den Asylbewerbern. Generell stößt die Einrichtung provisorischer wie auch regulärer Asyleinrichtungen ab einer bestimmten Größe häufig auf Widerstand in der Bevölkerung, zum Beispiel in Leipzig, Bautzen und Schneeberg. Die Stadt Bad Düben entschied am Donnerstag, kein großes Asylbewerberheim einzurichten, sondern die Flüchtlinge in mehreren Häusern in derzeit leerstehenden Wohnungen unterzubringen.

 

Czupalla: Alle müssen mithelfen


Unabhängig von diesen Forderungen steht Czupalla zufolge schon jetzt fest, dass die bisherigen Prognosen der Asylbewerberzahlen für dieses Jahr Makulatur sind. Ende 2014 habe sein Landkreis Nordsachsen noch mit 600 neu unterzubringenden Asylsuchenden gerechnet, inzwischen gehe man mindestens von der doppelten Zahl aus - zuzüglich zu den schon hier lebenden mehr als 1.000 Asylbewerbern. Czupalla forderte deshalb die Kommunen auf, weiteren Wohnraum, in Frage kommende Immobilien für Gemeinschaftsunterkünfte aber auch Flächen aufzuzeigen, die bebaut werden könnten. "Die Kommunen und der Landkreis arbeiten hervorragend zusammen. Doch es müssen sich alle Kommunen darauf einstellen, kurzfristig weitere Asylsuchende unterbringen zu müssen", betonte der Landrat.

 

Werden Asylbewerber zu ungleichmäßig übers Land verteilt?


Die Einwohner einiger Kommunen kritisieren aber auch, ihre Gemeinde werde übermäßig mit Asylbewerbern "belastet". Dazu sagte Ingolf Ulrich von der Landesdirektion dem MDR SACHSEN, es liege in der Verantwortung der Kreisverwaltung, wo sie die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge unterbringe. Das Land verteile die Asylbewerber nach einem festgelegten Schlüssel, der sich an der Einwohnerzahl der Kreise und kreisfreien Städte orientiere. Das bedeutet: Je mehr Einwohner, desto mehr zugewiesene Flüchtlinge. Ulrich zufolge kommt es durchaus gelegentlich vor, dass ein Kreis wegen großer Kapzitätsengpässe um kurzfristige Schonung bitte, ein anderer dafür mehr Flüchtlinge aufnehmen könne, weil gerade neue Unterkünfte fertiggestellt wurden. Das gleiche sich aber über das ganze Jahr gesehen aus, so dass der Schlüssel letztendlich eingehalten werde.

 

 

Verteilungsschlüssel für Asylbewerber im Freistaat Sachsen (Quelle: Landesdirektion Sachsen, Stand: 19.02.2015)
Landkreis/Kreisfreie Stadt  Zugeteilte Asylbewerber in Prozent
Dresden 13,01
Leipzig (Stadt) 12,96
Erzgebirgskreis 8,74
Zwickau 8,12
Mittelsachsen 7,81
Bautzen 7,65
Görlitz 6,51
Leipzig (Kreis) 6,39
Sächsische Schweiz - Osterzgebirge 6,08
Meißen 6,04
Chemnitz 5,98
Vogtlandkreis 5,81
Nordsachsen 4,89
Gesamt: 100

 

Wenn Erstaufnahme- und "verteilte" Flüchtlinge am gleichen Ort leben


Dennoch trifft es einige Regionen nicht nur gefühlt härter als andere. Der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Colditz verwies im Gespräch mit dem MDR SACHSENSPIEGEL auf seinen Wahlkreis im Erzgebirge. Hier habe der Kreis in Aue 700 zugewiesene Asylbewerber in einer regulären Einrichtung und einer Notunterkunft untergebracht, im knapp sieben Kilometer entfernten Schneeberg habe der Freistaat mehr als 1.000 Menschen in der regulären Erstaufnahme-Außenstelle und einer Notunterunterkunft einquartiert. Diese hohe Konzentration von Flüchtlingen in der Region sei inakzeptabel und nicht nachvollziehbar.

Der Landesregierung warf Colditz Wortbruch vor, weil die zugesagte Höchstauslastung in Schneeberg weit überschritten worden sei. Er kritisierte zugleich die teils unwürdigen Bedingungen. Statt die Flüchtlinge in Turnhallen auf dem Land zu pferchen, sollte Sachsen lieber Wohncontainer in den Großstädten aufstellen, wo ohnehin die künftigen Erstaufnahmeeinrichtungen ernstehen würden. Zumindest der Freistaat streut inzwischen seine Interimserstaufnahmen weiter über die Landesfläche. Eine gleichmäßigere Verteilung der zugewiesenen Asylbewerber ist Aufgabe des Kreises.