Stadt Dortmund reagiert: Bürger-Informationen: Nazis müssen draußen bleiben

Erstveröffentlicht: 
08.01.2015

Dortmund. Sie schüchterten Bürger ein und schufen ein Klima der Angst. Hinzu kommt ein brutaler Angriff auf einen Polizisten. Jetzt zieht die Stadt Dortmund die Reißleine: Nazis dürfen nicht wieder an einer Informations-Veranstaltung über Flüchtlingsunterkünfte teilnehmen.

 

Es war ein bizzares Bild, dass in Eving zu erkennen war: Erst schufen etwa 25 Neonazis ein bedrohliches Klima in der evangelischen Segenskirche an der Deutschen Straße. Dann folgte vor dem Gotteshaus ein brutaler Angriff auf einen Polizisten. Damit nicht genug: Nach dem Angriff gegen den Kopf eines 24-jährigen Polizisten durch einen 39-jährigen Nazi demonstrierten die Rechtsextremisten gegen angebliche Polizeiwillkür. Die angegriffene Staatsgewalt musste die Spontandemo obendrein noch schützen. Im Einsatz waren 30 Polizisten.

 

Besucher der Bürger-Information über den Aufbau einer Flüchtlingsunterkunft in der früheren Hauptschule in Eving trauten sich nach Ende der Veranstaltung nicht, die Kirche durch das Hauptportal zu verlassen. Sie wählten die Hintertür. Dr. Frank Claus, der Moderator der Info-Veranstaltung, einen Tag später: "Das ist eine klare Einschüchterungstaktik der Neonazis." Wie bei "Besuchen" an Privatanschriften Dortmunder Bürger wollten die Neonazis auch am Mittwoch in Eving ein Klima der Angst schaffen. "Die Taktik ist aufgegangen", sagt der Moderator.

 

Immer näher zur NSDAP

 

Strategie und Taktik sind klar: "Die Partei ,Die Rechte‘ demaskiert sich. Sie rückt immer näher an ihren ideologischen Vorgänger, die NSDAP, heran. Sie zieht Andersdenkende in die Öffentlichkeit, bedroht sie und schüchtert sie ein." Sagt Polizeisprecher Kim Freigang. Das alles erinnere an die Zeit in den 1930er-Jahren, als die Nationalsozialisten die politischen Gegner in die Öffentlichkeit zerrten und diffamierten. Mit Provokationen würden die Rechtsextremisten den Druck ablassen, der permanent gegen sie aufgebaut würde.

 

Viele Niederlagen machen die Nazis gefährlich

 

Ob Demonstrations- oder Konzert-Verbote durch Polizei und Stadt, schwindende Teilnehmerzahlen bei Kundgebungen, Widerstand durch Gegenproteste oder die politische Bedeutungslosigkeit im Rat der Stadt Dortmund und in Bezirksvertretungen - es sind die vielen Niederlagen, die diese Nazi-Partei so gefährlich machen. Um aufzufallen - wennauch negativ -, greifen sie, wie in Eving, die Freiheit der Andersdenkenden an. "Was wir in Eving erlebt haben, war beängstigend. Die Nazis haben zu viel Raum bekommen", berichtete eine Besucherin. Ein weiterer Gast spricht von einer "sehr beklemmenden Situation."

 

Extremisten filmten friedliche Bürger

 

Denn Rechtsextremisten filmten die Besucher in der Segenskirche. Sie beleidigten vor vielen Zeugen Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner ("Judenhure") und verhöhnten Bürger, die für Flüchtlinge das Wort ergriffen hatten. Die Nazis wollten den Eindruck erwecken, dass Flüchtlinge ein Sicherheitsproblem auslösen würden - dabei verbreiteten sie sie selbst, ausgerechnet in einer Kirche, menschenverachtenden Hass und Aggressionen. Oliver Stens hätte den Nationalsozialisten den Zugang in das Gotteshaus der evangelischen Kirche verweigern können. Doch nach den "Erfahrungen" in Wickede, Brünninghausen und Hörde ließ sich auch der SPD-Politiker in seiner Rolle als Bezirksbürgermeister und Gastgeber auf öffentliche Diskussionen mit Neonazis ein, um die politische Auseinandersetzung nicht abzuwürgen. Die Folge: Mit einer längst bekannten und erprobten Wortergreifungsstrategie wollten die Extremisten die Meinungshoheit erlangen. Unbemerkt konnte sie im Dezember in Wickede andere Meinungen unterdrücken: "Ich sage hier doch nicht meinen Namen, wenn Nazis da sind", flüsterte eine Frau.

 

Bürger sollen sich frei äußern können

 

Damit soll jetzt Schluss sein. "Wir wollen die Bürger über Flüchtlingsunterkünfte informieren, ihnen zuhören und ihnen die Ängste nehmen. Bei solchen Veranstaltungen muss es den Bürgern möglich sein, sich angstfrei zu äußern", sagte Sozialdezernentin Birgit Zoerner am Donnerstag (8.1.2014) mit Blick auf die nächsten Termine. Denn diese Termine wird es geben. In Eving, weil dort wegen des großen Andrangs nicht alle Bürger einen Platz gefunden hatten. Und auch in weiteren Stadtteilen, weil die Stadt Dortmund weiter nach Flüchtlingsunterkünften suchen muss.

 

Gewalt als Teil der Ideologie

 

Auch Friedrich Stiller vom Arbeitskreis Rechtsextremismus und der Fachhochschul-Professor Dierk Borstel erkennen in dem Auftreten der Dortmunder Neonaziszene eine Radikalisierung. "Die Gewaltbereitschaft ist extrem hoch", stellte Stiller fest. Dierk Borstel: "DieseGewalt ist Teil der Ideologie und der Lebenswelt der Rechtsextremisten." Zu spüren bekam das am Mittwochabend in Eving auch der 24-jährige Polizist. Ein 39-jähriger Neonazi schlug ihn mit einer Flasche nieder. Der Polizeibeamte ist dienstunfähig. im Jahr 2013 meldeten Dortmunder Neonazis 33 Demonstrationen an. 2014 waren es 77. Die Kundgebungen richteten sich gegen Politiker, Nazi-Gegner und die Polizei. Der harte Kern der Naziszene besteht aus 25 Personen.

Peter Bandermann