Sehr geehrter Herr Biermann,

Sehr geehrter Herr Biermann,

wenn der getretene Wolf jault dann können die treuen Hunde noch was lernen. Einem müden Leittier wie Ihnen bleibt ja nur die Flucht nach vorn, damit die von Ihnen angeführte Meute die Ihnen im Nacken sitzt nicht über Sie herfällt. Als mir Ihr ebenso jämmerlicher wie liederlicher „Offener Brief nach Thüringen“ in die Hände fiel, war daher mein erster Gedanke Ihnen eine angemessene Lektion über die Verbrechen der Demokratie zu erteilen. „Freiheit oder Tod“, so lautete das Credo des Genossen Holger Meins, dessen Justizmord zu untersuchen, zu begreifen und zu verheilen Sie der Genosse Honecker seinerzeit zu uns in die imperialistische Besatzungszone schickte. Bekanntlich ist ein guter Dachdecker jedoch nicht unbedingt ein guter Personalchef. Sie sind allerdings angesichts Ihrer historischen Aufgabe immer in der Rolle des Messdieners geblieben der vor die rote Kapelle scheißt weil der graue Dekan ihn nicht loslässt. So entwickelt die faschistische Zwangsernährung halt Metastasen, derentwegen sich Che Guevara für Sie schämen muss. Die Erde hat ja sonst keine Sorgen, gell? Hauptsache Ihre rhetorische Selbstbeweihräucherung verschafft Ihnen ein Gefühl der Erlösung, dann brauchen Sie es auch mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Denn wie Sie versuchen die DDR und ihr Erbe mit „diversen Kriegen“ in Verbindung zu bringen ist angesichts eines genozidalen BRD-Militarismus schlichtweg lachhaft. Gehen Sie lieber zum Augenarzt und lassen Sie sich Farbenblindheit bescheinigen.

 

Endlich hat es die SPD geschafft mal eine andere Platte aufzulegen und, wenn auch vorerst nur klammheimlich, anzuerkennen dass die Wiedervereinigung der sozialistischen Parteien von 1946 die angemessene Antwort auf die Truman-Doktrin war. Menschlich ist es nachvollziehbar dass Hiroshima und Nagasaki nichts gemeinsam haben wollten, aber so weit war Stalin schon lange. Korea ist durch die Atomschläge ein noch drastischeres Provisorium auferlegt; die Imperialisten hatten nicht so weit voraus gedacht mit dem Finger auf der Landkarte eine Grenze zu ziehen und taten das dann im Eifer des Gefechts mit dem Lineal wie Bismarck. Selbst Stalin sah dass das auf Sand gebaut ist, aber leider hatten seine Kinder da schon zuviel Angst vor ihm und der Rest ist vom Kapital geplündert.

Da sind nun also die rotlackierten Genossen den naturroten Genossen ins Akrobatiknetz geplumpst, und dem Hungerstreikseelsorger fällt nichts Gescheiteres ein als Haushaltsnamen zu importieren um die einen wie die anderen als provinziell zu beschimpfen. Schlimm schlimm, wäre dieses Land souverän dann müsste man sie dafür alle zurück auf die Oppositionsbank schicken, nicht wahr, damit sie von dort aus eine Minderheitsregierung mittragen ohne sie zu repräsentieren? Aber es ist nicht souverän, denn der Ami spritzt in Landstuhl. Also brauchen sich die Überplumpser aus dem gendarmengaulgedüngten Radieschenbeet auch nicht für den Absturz ohne Blessuren zu schämen. Was zählt ist dass der „Genosse der Bosse“ im Kanzleramt mit seinen eitlen Trickbetrügereien alleine dasteht.

Über die Weisheit an der Sie sich unter Ihrem Joch abarbeiten – Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten – ist der Weltgeist hier schon einen Schritt hinaus. Heute heißt es: Wer verrät uns weiter – Sozialarbeiter, wenn in Amiland die von der kapitalistischen Staatsicherheit Ausgestoßenen Bambule im großen Knast machen, und Herr Obama ihnen dann erklärt dass er sie gern alle lieb hätte. Das letztere ist natürlich kein Seitenhieb gegen den Genossen Miehlke, dem die amiländischen Polizeirichter moralisch eher unter- als überlegen sind, aber dem – sofern Sie das wollen – Genossen Biermann mangelt es an Sinn für Verhältnismäßigkeiten.

Hat nicht der damalige Kriegsminister Scharping einer ganzen Generation die gefälschten Bilder vor Augen gehalten zu denen die von Ihrem kindlichen Duckmäusertum nie in angemessener Tiefe ergründete Bildunterschrift gehört? Hat nicht der ehrenwerte Tito die Unabhängigkeit von Stalin, so wünschenswert sie als solche war, damit bezahlen müssen dass die Nato-Faschisten über sein Erbe hergefallen sind? Hat Wolf Biermann Tomaten auf den Augen und sieht nicht, dass es nur ein Fliegenschiss im Fressen und Gefressenwerden der multinationalen Konzerne ist, wenn die verfluchten Faschisten irgendwo eine Lenin-Statue umschmeißen? Kann der kleine Romantiker mit der großen Klappe nicht endlich mal darüber hinwegkommen dass es im atomaren Religionsunfrieden auch auf der richtigen Seite der Geschichte falsche Typen geben kann? Hannelore Kohl hätte sich für Ihr unwürdiges Einpeitschergeschwätz geschämt.

Jetzt hat Thüringen also den Versicherungsfuzzi mit dem Zwingerhund und kann sich vom Anti-DDR-Geplänkel ab- und dem Wesentlichen zuwenden, nämlich dem was unmittelbar vor der Truman-Doktrin und den davon ausgelösten Rückschlägen kam – dem Schwur von Buchenwald. Wenn es um Leben und Tod geht, und bzw. oder um Freiheit oder Tod, dann drängt sich als erstes der im Namen dieser Doktrin hinterlassene Atommüll auf, der ja nun nicht einfach am Fernbahnhof in die Gepäckaufbewahrung gegeben werden kann. Sobald davon etwas nach Thüringen kommt müssen die Leute dort aufpassen sich nicht mit falschen Zahlen zum Atomklo machen zu lassen, also ist die Berufsgruppe gar nicht so dumm ausgesucht, was übrigens auch dann gesagt werden müsste wenn der Mann von der Ahäffdeh wäre.

Wer den genauen Wortlaut Biermanns mit der richtigen Achtsamkeit und dem gebotenen inneren Abstand studiert wird darin jedoch mehr sehen als die objektive Realität einer Hilfestellung für den Demokratie-Faschismus. Der antikommunistische Ich-Erzähler entpuppt sich als heilloser Romantiker, der von den Giftgasschwaden der in der totaldemokratischen Informationsüberflutung schwelenden Zivilisationskatastrophe zum Zyniker verstümmelt wurde, und demzufolge den Balken im eigenen Auge nicht mehr wahrhaben mag. Die Sozialisten mag er schmähen, aber die Faschisten kann er nicht verwerfen. Doch das Leben ist kein Roman sondern ein Existenzkampf mit griffbereiter Maske. Wer dieses Werkzeug nicht verfügbar hat, muss damit rechnen nicht mehr zu wissen was Revolution und was Konterrevolution ist, sobald die Gehlen-Leute wieder ihr digitales Zyklon B in die Lüftungsschächte der kommerziellen Massenkultur einwerfen.

Dann hilft nur noch Ketten bilden, damit nicht schon wieder die Gegenwartskultur bis auf ganz wenige einzelne große Geister zu Recht dem Vergessen anheimfällt wie schon nach 1848, wo außer Marx und Nietzsche fast nichts von bleibendem Wert war. Monarchie ist keine Meinung sondern ein Verbrechen. Das nicht beizeiten begriffen zu haben ist der Kardinalfehler des vorletzten Jahrhunderts. Demokratie jedoch ist keine Meinung sondern eine Behinderung. Was heute in Erfurt geschieht ist ja nichts weiter als dass die von der westdeutschen Spioninvasion mehr als jede andere verletzte östliche Provinz endlich eine richtige Wundversorgung bekommt. Jetzt können die Gehlen-Faschisten in Pullach ihre Hohlköpfe gegen die Mauer dengeln bis Dimitroff ihnen von seiner Wolke ein Halleluja singt, aber ein erneutes Saalfeld wird es nicht geben, dieser Fluch über die Gewerkschaften ist nun gebannt.

Nach dem Durchbruch kommt es zuerst darauf an das Erreichte abzusichern, und zu diesem Zweck zunächst die Lebenslügen der 1989er vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das Jahr mit dem in Mitteleuropa alles anders wurde ist nicht 1989 sondern 1986. Als ich von den Schwierigkeiten mit der Ausreise hörte war das bereits eine Marginalie, denn gegen die Emissionen aus Tschernobyl half kein Grenzzaun. Die deutsche Mauer war schon immer durchlässig und so schnell vergessen wie ein abgenommener Gipsverband. Bemerkenswert nur dass die Unfallverursacher am Schluss bei dem Versuch der davon persönlich Betroffenen den aufrechten Gang wiederzuerlernen die meiste Anteilnahme heuchelten. Diese Leute scheinen sich einzubilden Reaktorschmelzen spielen keine Rolle. Das mag vielleicht für die Subjektivität einer narzisstischen Kränkung à la Bierkärrnerdrama zutreffen, aber wer auf derartige Illusionen spekuliert verspielt nicht nur die eigene Zukunft sondern auch die von anderen.

Wie einst im Mai, pfeifen die Singvögel aus den Ziergehölzen, nicht nur im tiefen Landesinneren wo die Partei der Bismarckgebrochenen nie Tritt fassen konnte. Kommunisten müssen sich ob der krassen Larmoyanz mit der ihnen Bekenntnisse zu einer „Unrechtmäßigkeit“ der DDR abverlangt werden ja vorkommen wie der Schausteller von dem Autogramme auf Spielgeld gefordert werden – wozu soll man diesen ganz offenbaren Unsinn quittieren wenn dadurch der irrige Eindruck erweckt werden kann bzw. könnte es handele sich um tatsächlich gedeckte Zahlungsmittel? Aber obwohl die Linkspartei-Leute ohne nach dem Sinn zu fragen die bestellten Redewendungen geliefert haben, hat dies dem missgunstgeplagten Genossen Hungerstreikseelsorger keinen Seelenfrieden verschaffen können. Der Jesuitenpfennig ist und bleibt eben die härtere Währung als der Amidollar.

Gottseidank ist der sozialdemokratische Jammerlappen nicht unser Mann in Tschernobyl. Wäre es daher nicht besser wer sich vom Atommüllproblem gevierteilt fühlt suchte sich einen leuchtenderen Hausgeist? Wem die vertrottelte Zombiepartei zu blassgrün ist und der verbitterte Biermann zu – was schon? – verbittert, der kann ja anstelle des „Halt-Hinnehmens“ bei Angela Davis über die Dialektik des Aufstands nachlesen, welche es erfordert das Neue zu schaffen während wir uns gleichzeitig derer entledigen die uns absichtlich dabei behindern (indymedia-Suchbegriff: Platz Aufstand Kommune). Dieser der Zukunft zugewandte Geist gibt die Signale die die Völker hören, nicht irgendeine totaldemokratisch galvanisierte Schießbudenfigur aus einer Fastenpredigt von Hübsch.

Grundlage dieser Erwiderung ist die in der „Frankfurter Zeitung“ abgedruckte gekürzte Fassung Ihres Briefes, in der Auslassungen nicht als solche gekennzeichnet sind. Hoffentlich ist dennoch kein Maulkorb übersehen worden und nichts Wesentliches unter den Tisch gefallen. Der Verfasser wünscht dem heiseren „Demokratie“-Fetischisten aus angemessener Distanz auch weiterhin Gefühle der Erlösung bei seinen eifrigen Markierungen des verblichenen DDR-Staates. Denn die Wahrheit ist, wäre keine völkerrechtswidrige „Bundeswehr“ aufgestellt worden dann hätten die Menschen auch keinen antifaschistischen Sicherheitszaun gebraucht. Niemand soll sich für seine erwachsenen Kinder rechtfertigen müssen, aber auch als Vater haben Sie in meinen Augen versagt, und zum Thema „Wie war das eigentlich?“ sind Ihre Worte keinen grünen Zweig wert.

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Oh bitte, nicht immer war Wolf Biermann eine solch peinliche Figur wie in den letzten Wochen. Ein bisschen Respekt für jemand, der immerhin eine für Linke äusserst hilfreiche und von ihm selbst leider nicht berücksichtigte (viele halten sich für reflektierterter als sie eigentlich sind) Hymne verfasst hat. Mögen wir alle es stets im Hezen tragen. Wie die Erinnerung an den Wolf Biermann von früher.

 

https://www.youtube.com/watch?v=RgOIYTI09qs

Auf musikalische Aspekte wird der Fairness halber nicht eingegangen, wenn gehirntote Fans unbedingt sein Badewasser saufen wollen dann nicht mit dem Verfasser. Statt dem jämmerlichen Bocksgesang bei dem sogar der Getränkeverkäufer seine Freikarte verfallen läßt hier lieber eine richtige Hymne für alle die etwas Besseres als Demokratie suchen:

https://www.youtube.com/watch?v=OjzMmyE1h70

https://www.youtube.com/watch?v=ZmebexTJSCw