NSU-CD beim NSC-Anführer gefunden

Transparent am 1. Mai 2009 in Freiberg. Die BRD war schneller mit der Abwicklung der NSC.

Der Fund einer Propaganda-CD in Sachsen zeigt, dass die Rechtsterroristen des NSU möglicherweise mehr Mitwisser in der örtlichen Kameradschaftsszene hatten, als bislang vermutet. Doch Behörden im Freistaat verzögern die Aufklärung oder leugnen Zusammenhänge komplett.

 

Die in Sachsen aufgetauchte Propaganda-CD mit möglichen Bezügen zum rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) wurde bei einem führenden Mitglied der verbotenen Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ (NSC) sichergestellt. Das berichtet Spiegel Online und bestätigt damit eine kürzlich bei leipzig.antifa.de veröffentlichte Recherche.

 

Demnach ist der Datenträger im März gefunden worden, Anlass war das Verbot der NSC im Frühjahr. Infolge kam es zu 16 Durchsuchungen bei etlichen Mitgliedern und in einem Treffpunkt der Organisation. Betroffen war Maik Arnold, bei dem 31-Jährigen fanden die Beamten die verräterische CD.

 

Razzienfund blieb lange liegen


Die Ausbeute der NSC-Razzien hatte das sächsische Innenministerium zwar rasch der Presse vorgeführt: Waffen, Propagandamaterial und etliche Datenträger. Doch mit deren Auswertung ließ sich das „Operative Abwehrzentrum“ sehr viel Zeit. Nach Darstellung des Innenministeriums fiel erst mehr als ein halbes Jahr nach der Sicherstellung auf, dass sich unter den Asservaten des Maik Arnold jene CD befindet, die auch Daten der so genannten „NSU/NSDAP-CD“ beinhaltet. Den Stein ins Rollen brachte erst eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Landtag.

 

Bei der auffälligen Bezeichnung der CD handelt es sich um eine der frühesten nachweisbaren Erwähnungen des NSU. In einem Begleitschreiben ist, geziert mit einem Hakenkreuzadler, wörtlich vom „Nationalsozialistischen Untergrund der NSDAP“ die Rede. Reiner Zufall? Ein Teil der enthaltenen Propagandabilder werden mit dem verstorbenen Neonazi Thomas Richter – besser bekannt als V-Mann „Corelli“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) – in Verbindung gebracht. Der hatte die CD im Jahr 2005 selbst beim Geheimdienst abgeliefert, eine Auswertung fand nicht statt. Ebenso beschwiegen wurde lange Zeit, dass „Corelli“ bereits Mitte der 1990er Jahre auf Uwe Mundlos getroffen war.

 

Bekannt mit mutmaßlichem NSU-Helfer


Noch ungeklärt ist, wie die CD-Daten zu dem in Chemnitz gemeldeten, tatsächlich aber im erzgebirgischen Lugau wohnhaften Arnold kamen. Laut NSC-Verbotsbescheid wurde er zur Leitungsebene der Kameradschaft gezählt, fungierte als Anmelder und Redner bei Versammlungen, betrieb auch ein Postfach. Fotos zeigen den unscheinbaren Mann mit Megafon bei einem Naziaufmarsch am 3. Oktober 2007 in Zwickau. Unter den Teilnehmern befand sich unter anderem Maik Eminger, Zwillingsbruder des mutmaßlichen NSU-Unterstützers André Eminger.

 

Laut Spiegel Online nahm Arnold im gleichen Jahr an einer Versammlung in Brandenburg teil, bei der ein durch André Eminger genutztes Fahrzeug festgestellt wurde. Im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen ist Arnold bisher nicht befragt worden. Das könnte sich nun ändern, denn mit der Prüfung der CD ist das Bundeskriminalamt beauftragt worden. Das ließ bereits weitere NSC-Aktivisten vernehmen, etwa dem Chemnitzer Eric Fröhlich. Auch er galt als einer der Anführer der Kameradschaft.

 

Verbindung zum NSU? „Verfassungsschutz“ wiegelt ab


Der Fund der CD stützt abermals die Vermutung, dass der NSU keine abgeschottete Zelle war, wie der Generalbundesanwalt behauptet, sondern Mitwisser hatte, in Sachsen womöglich über ein weit verzweigtes Helfernetzwerk verfügte. Auffällig ist daher, was das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen just nach dem NSC-Verbot und zur Überraschung von Szenebeobachtern bei einer Pressekonferenz mitzuteilen wusste: dass „Verbindungen zum Umfeld des Zwickauer Neonazi-Terrortrios Nationalsozialistischer Untergrund“ nicht bestünden.

 

So sicher ist das keineswegs – und die Erklärung des LfV mag eigennützig gewesen sein. Denn einige Passagen der Verbotsverfügung gegen die NSC beinhalten Insider-Informationen. Die Freie Presse hatte infolge des Verbotes berichtet, dass das Belastungsmaterial gegen die Gruppierung durch VS-Erkenntnisse „gewissermaßen aufmunitioniert“ worden sei. Das klingt unverfänglich, wirft im Rückblick aber Fragen auf.

 

Örtlicher Neonazi bald als Zeuge in München


Das BfV beispielsweise pirschte sich bereits im Jahr 2000 an den Neonazi Ralph Hofmann heran und leitete einen so genannten „Werbungsfall“ ein, um ihn als V-Mann zu gewinnen. Der Versuch war angeblich erfolglos. Der in Hohenstein-Ernstthal wohnhafte Hofmann fiel kurz darauf als Schriftführer des Vereins „Heimatschutz Chemnitz“ auf – ein Vorläufer der NSC, deren Umfeld Hofmann zuletzt noch zugerechnet wurde. Im Verbotsbescheid wurde er aber nicht namentlich erwähnt.

 

Noch im Laufe dieses Monats soll Hofmann am Oberlandesgericht München als Zeuge befragt werden. Grund: Ende der 1990er Jahre verlor er seinen Personalausweis. Wiedergefunden wurde er in der Zwickauer Frühlingsstraße, im Schutt der früheren NSU-Unterkunft. Im Jahr 1999 sollen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe das Dokument genutzt haben, um inkognito eine Wohnung in Chemnitz anzumieten. Dorthin ließ man sich unter anderem Pfeffersprays und ein Nachtsichtgerät liefern, ohne zu bezahlen. AnwältInnen der Nebenklage vermuten daher, der NSU könnte sich durch „organisierten Warenbetrug“ finanziert haben.

 

Hofmann wiegelt bislang ab, doch im Handy von André Eminger fanden Ermittler seine Mobilfunknummer. Sie war abgespeichert unter dem Deckname „Ralph Jäger“. Und auch die Adresse auf Hofmanns altem Ausweis in Chemnitz gibt zu denken. Gleich vor seiner Haustür wurde Uwe Mundlos bereits im Jahr 1994 aufgegriffen. Er wollte dort mit Kameraden den Todestag von Rudolf Heß begehen.