Autonome Antifaschisten sprechen über ihre Organisierung in den 1980er Jahren der Bundesrepublik – und über die Gründe ihres Scheiterns
Pkw und Busse, die Neonazis zu ihren Aufmärschen brachten, wurden
zerstört, rechte Druckereien und Verlage angezündet und einschlägige
Versammlungsorte mit Buttersäure unbetretbar gemacht: Militante Angriffe
auf die Infrastruktur von Neonazis waren in den 1980er Jahren gang und
gäbe. Hinter vielen dieser Aktionen steckten organisierte
Antifaschisten. Niels Seibert lud zwei dieser Antifaschisten zum
Gespräch ein. Sie werfen Streitfragen auf, die auch für heutige
linksradikale Organisierungsversuche wichtig sind: die gemeinsamen
politischen Strategien, die öffentliche Wirkung und Wahrnehmung, Fragen
von Bündnisarbeit und Militanz sowie zum notwendigen Gleichgewicht von
legalen und illegalen Aktionen.
Was war die nachhaltigste Aktion der militanten Antifaschisten?
Ottenheimer: Was nachhaltig ist, lässt sich schwer beziffern. Ich
glaube nicht, dass man von einer Aktion, die am nachhaltigsten war,
sprechen kann. Es gab bestimmte Initialzündungen wie zweifelsohne der
militante Angriff auf den NPD-Bundesparteitag im niedersächsischen
Fallingbostel 1983. Nachhaltig war erst die Summe der Aktionen und die
Verzahnung legaler und illegaler Aktivitäten über einen relativ langen
Zeitraum. Und dass sich eine Struktur entwickelt hat, die konsequent
Aktionen gegen Nazis durchgeführt hat – und es bis heute weder eine
Verurteilung noch Verrat gab. Das ist die Besonderheit der militanten
Antifa aus den 1980er Jahren.
Langer: Für mich war die Organisierung das wesentliche Moment. Es gelang, gemeinsam, verlässlich tätig zu werden und dabei auch ideologische, inhaltliche Diskussionen zu führen. Die Antifa hat sich damals nicht nur über den Anti-Nazi-Kampf definiert. Es ging uns um Imperialismus – so haben wir es damals genannt. Ich weiß, heute ein Unwort, aber so hat man sich damals die Welt erklärt: Kampf dem Faschismus hieß Kampf dem imperialistischen System.
Warum war der Protest gegen den NPD-Parteitag in Fallingbostel im Oktober 1983 eine Initialzündung?
Langer: Fallingbostel war die erste große Aktion des
»Norddeutschen« – das ist eine Bezeichnung für eine Koordination, die im
Nachgang des »Rock gegen Rechts« 1979/80 in Frankfurt am Main
entstanden ist. Verschiedene Kräfte – vor allen Dingen der
Kommunistische Bund (KB) – haben versucht, linke Gruppen in einer
gemeinsamen Bewegung zu sammeln. Sie hieß erst »Treffen Frankfurter und
norddeutscher Gruppen«, später dann »Norddeutsches Antifa-Treffen« oder
kurz: das Norddeutsche.
In Fallingbostel gab es einen militanten Angriff auf die Polizei und deren Absperrungen um den Tagungsort der NPD. Das brachte den autonomen Antifaschismus – das entschlossene Vorgehen zur Verhinderung der Treffen der Nazis – zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein. Nach Fallingbostel entstanden viele Antifa-Gruppen überall im Bundesgebiet. Es gab dann auch ein nordrhein-westfälisches Antifa-Treffen.
Warum haben sich um 1983 überall antifaschistische Gruppen gegründet?
Ottenheimer: Das geschah nicht gleichzeitig. Die norddeutsche und
die nordrhein-westfälische Antifa waren die ersten, die süddeutsche kam
erst 1985 dazu. Es war eine Zeit, in der es auf Seiten der Nazis viele
militante Organisationen gab. In das Oktoberfestattentat 1980 war die
Wehrsportgruppe Hoffmann verwickelt. Die ANS/NA (Aktionsfront Nationaler
Sozialisten/Nationale Aktivisten) war seit Ende der 1970er unterwegs.
Manfred Roeders Aktionsgruppen zündeten Flüchtlingsheime an etc. Im
Rahmen der aufkommenden Punk- und Skinhead-Bewegungen kamen in den
Städten auch viel Nazi-Skins hoch, und es gab mit denen Konfrontationen.
Es war notwendig, sich mit dem Thema Antifa zu beschäftigen.
Langer: Ich will dir nicht widersprechen, es gibt aber noch einen anderen Grund für die Entstehung der Antifa. Die Autonomen, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre politisch tätig wurden, haben gesellschaftliche Zustände, die zuvor nicht so viel Aufsehen erregten, anders wahrgenommen. Dazu gehörte auch der Konflikt mit der alten Generation, insbesondere mit den alten Nazis, die überall zu finden waren. In Süddeutschland gab es beispielsweise eine große militante Demonstration, die könnte man mit Fallingbostel vergleichen: Nesselwang 1985. In Nesselwang fand ein SS-Veteranentreffen statt. Solche Treffen hatte es auch schon früher gegeben. Die HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS) ist ab den 1950er Jahren überall aufgetreten. Dagegen gab es hier und da Proteste, aber nie militanten Widerstand. Das änderte sich mit der Generation der Autonomen. In Nesselwang gab es die typische DGB-Demonstration »Wir sind gegen die Nazis, aber marschieren irgendwo, wo man denen nicht in die Quere kommt.« Aber auch die Autonomen aus Süddeutschland, ich meine der Infoladen München spielte da eine Rolle, riefen auf, nach Nesselwang zu kommen. Und dann gab es vor dem Tagungshotel »Krone« großes Remmi-Demmi. Die Autonomen lieferten sich eine längere Straßenschlacht mit der Polizei, das war bundesweit in der Presse und sogar in der Tagesschau. Das gab es vorher noch nicht. Ab diesem Zeitpunkt hat man auf die SS-Veteranen einen Blick geworfen. Das ist auch mit der Entstehung der Antifa verbunden.
Was hat die Antifaschisten von den Autonomen unterschieden?
Ottenheimer: Wir haben uns ganz groß den Antiimperialismus auf
die Fahne geschrieben. Das hat der gemeine Autonome nicht so gerne
gemacht. Wir haben versucht, gesamtgesellschaftliche Fragen aufzuwerfen,
die Verhältnisse zu erklären, Begriffe politisch zu definieren und,
soweit das möglich ist, darüber einen gemeinsamen Konsens in den
Antifa-Bewegungen zu finden. Das haben die Autonomen nicht gemacht. Wir
hatten Arbeitsgruppen, die sich jahrelang mit Faschismus und seiner
Definition beschäftigt haben: Was ist Faschismus? Woran erkennt man ihn?
Ist es eine Ausdrucksform des Kapitalismus? Gibt es einen Automatismus?
Was sind die unterschiedlichen Merkmale des Faschismus? Wie muss man
die einsortieren?
Es gab Gruppen, die haben sich mit Geschichte auseinandergesetzt. Und
es wurden auch inhaltliche Kampagnen gemacht. Es gab zum Beispiel, von
Süddeutschland ausgehend und vom Norddeutschen unterstützt, eine
Kampagne zu Asyl, als die Debatte aufkam, 1985/86. Von all dem ausgehend
haben wir versucht, einen Klassenkampf oder einen sozial-revolutionären
Kampf zu forcieren, den Kapitalismus und den Imperialismus anzugreifen.
In diesem Kontext haben wir den antifaschistischen Kampf gesehen. Wir
haben immer gesagt, wir führen den Kampf gegen die Nazis, aber dahinter
steht das Kapital. Diese sind Handlanger des Kapitalismus, der sie zu
verschiedenen Zwecken benutzt. Das war eine Analyse aus den 1980ern, und
wenn man sich in der Welt umschaut, dann scheint es doch wirklich so,
dass in Krisenzeiten der braune Bodensatz wieder nach oben geschwemmt
wird. In der Ukraine wütet der faschistische Mob derzeit ja ganz offen
gegen Kommunisten oder Gewerkschafter.
Langer: Die härtesten Auseinandersetzungen sind erst abgelaufen, als wir versuchten, große Bündnisse zu schmieden, also auf einem öffentlichen Feld taktisch-politisch vorgingen. In Göttingen gab es das Autonomen-Plenum, das wir als Willkür-Plenum bezeichnet haben, weil jeder aus der Szene kommen konnte und sagen, was er wollte. Wir saßen also 1988 alle zusammen und diskutierten über eine Bündnisdemonstration, die an einem Wohnhaus eines Nazis entlangziehen sollte. Wir, das waren in diesem Falle ein paar Genossinnen und Genossen aus Göttingen und ich, haben vorgeschlagen, wir machen eine Bündnis-Demonstration mit DGB, den Grünen usw., führen diese mit einem Schwarzen Block an, aber wir greifen das Haus aus der Demo nicht an. Nur so wäre ein solches Bündnis, das es vorher noch nicht gegeben hatte, möglich gewesen. Die meisten Autonomen haben dann gesagt, dass sie das nicht wollen. Wenn, dann müsse man das Haus auch angreifen und man müsse im Kampf gegen Faschismus auf die eigenen Kräfte vertrauen. Unser Vorschlag sei Verrat. Wirklich, das ist wörtlich so gefallen. Unsere Linie der Bündnisarbeit wurde hart bekämpft, eben wie man das in dieser Szene so machte, durch soziale Ausgrenzung, durch Flugblätter, in denen wir gezielt verunglimpft wurden usw. usf. Das sind sehr krasse Auseinandersetzungen gewesen.
Ottenheimer: Es ist völlig richtig, dass man zu wenig versucht hat, sich mit anderen zu verbünden. Aber das hatte auch einen Grund. Man muss sich in Erinnerung rufen, als es die ersten militanten Auseinandersetzungen zwischen uns und Nazis gab, war der DGB durchaus bereit, Leute von uns festzuhalten und der Polizei auszuliefern. Das hat er auch punktuell gemacht. Wenn wir nach einer Auseinandersetzung versucht haben, in der Demonstration unterzutauchen, hat der DGB Ketten gebildet um das zu verhindern. Das heißt, das Verhältnis war – durchaus begründet – gespannt, das darf man nicht vergessen.
Welche Rolle spielte Militanz?
Ottenheimer: Bei militanten Antifaschisten spielt Militanz eine so
große Rolle wie Antifaschismus. Das eine wurde ohne das andere nicht
gedacht. Es war völlig klar, mit Nazis kann man nur begrenzt reden, und
auf die Dauer bringt das nichts. Deren Meinung ist nicht
wegzudiskutieren, man ist auch gar nicht willig, an diesem Punkt zu
diskutieren. Das bedeutet aber nicht, dass die Politik auf militante
Aktionen beschränkt war.
Erklärtes Ziel war, die Struktur und die Logistik von Faschisten anzugreifen und zu zerstören, um ihre Propaganda und ihre politische Arbeit unmöglich zu machen. Und so haben wir von Anfang an gesagt, unsere Mittel müssen die ganze Bandbreite der Kampfmethoden beinhalten, vom Flugblattverteilen bis zur Militanz. Wir grenzen da ganz bewusst nichts aus. Wir waren bereit, alle notwendigen und sinnvollen Mittel strategisch, punktuell und gezielt einzusetzen, weil sie wirkungsvoll sind. Ein paar hundert Leute waren in den Strukturen der militanten Antifaschisten aktiv. Das heißt nicht, dass die alle bereit waren, konspirative Aktionen zu machen, das waren wesentlich weniger.
Langer: Und die konspirativen Aktionen hatten oft kein großes öffentliches Echo. In den Zeitungen stand zwar, was da wieder passiert war, manchmal wurde noch aus dem Bekennerschreiben zitiert. Aber man konnte damit politisch nicht weiter arbeiten, weil der legale Arm, den man dazu gebraucht hätte, nicht existierte. Im Grunde genommen war es das legale Moment, das sehr entscheidend war und das hätte entwickelt werden müssen. Aber dazu waren eine ganze Reihe von den Leuten, die vor allen Dingen klandestin arbeiten wollten, nicht bereit. Die haben ihren Ansatz, der einmal erfolgreich war, immer weitergeführt und den Sprung zu einer anderen Strategie nicht geschafft.
Für mich war die Bündnispolitik, mit anderen Leuten, mit dem DGB und mit Parteien zusammen zu den Nazis hinzugehen und damit Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen, viel entscheidender als manch großartige militante Aktion, die trotzdem großartig bleibt. Es muss aber ein ausgewogenes Wechselspiel geben zwischen legal und illegal. Heute würde ich sagen, dass das Wechselspiel zum Illegalen hin falsch gewichtet war.
Ottenheimer: Das war langfristig ein Fehler. Man kann nicht alleine eine Revolution machen, auch wenn man hundert Mal Recht hat.
Wie kam es, dass die militanten Antifaschisten Ende der 1980er so sang- und klanglos verschwunden sind?
Ottenheimer: Tja, »Warum verschwindet was?« ist ungefähr so schwer
zu beantworten wie »warum kommt was?«. Was ganz sicher eine Rolle
spielte war, dass diese Antifapolitik einen entscheidenden Fehler
gemacht hat. Sie hat nämlich zu sehr auf die eigenen Kräfte vertraut.
Das Element, das wir lokal praktiziert haben, strömungsübergreifend mit
Leuten zusammenzuarbeiten, hat in der bundesweiten Struktur leider nicht
dazu geführt, dass man auch bundesweit mit anderen Strömungen
zusammengearbeitet hat. Stattdessen hat man die Arroganz entwickelt, wir
sind stark genug, wir können machen was wir wollen und wir ziehen das
einfach durch, weil wir die Wahrheit gefressen und sowieso Recht haben
und keinen anderen brauchen. Das ist natürlich ein Ansatz, der ziemlich
dämlich ist, weil er dazu führt, dass man immer weniger wird. Das haben
wir nicht gesehen. Dieser Fehler hatte sich zu einem bestimmten Punkt
kumuliert und fast zeitgleich kamen einige repressive Schläge. Ob das
Zufall war, wissen die Götter. Auch die Schüsse an der Startbahn West
1987 hatten zu einer heftigen Repressionswelle geführt. Manche Gruppen
waren nicht mehr arbeitsfähig und dann lief es so aus. Es ist einfach
versandet und löste sich auf. Es gibt keine Auflösungserklärung. Der
Zusammenbruch der DDR hat sicher auch zu einer Verunsicherung geführt.
In vielen Städten wurde dann in anderer Form weitergemacht. Die Jugend-Antifa kam 1989 auf. An vielen Orten sind, durch Wahlerfolge der Republikaner bedingt, andere Formen von Antifa-Gruppen entstanden, die mit militantem Antifaschismus nichts zu tun hatten, sondern vor allen Dingen aus Schülern und Jugendlichen bestanden, die eine andere Politikform gewählt und sich anders organisiert hatten. Zum Beispiel mit Antifa-Cafés, Notruftelefonen usw.
Langer: Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die »Junge Freiheit« 1994. Wenn man liest, wie das bei denen reingehauen hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktion gewesen. Es gab auch noch weitere Interventionen. Nicht mehr so viele, klar, weil es diese Art Antifa-Organisierung und die Leute nicht mehr gab. Ich finde aber nicht, dass der Antifa-Kampf nach den 1980ern nicht mehr militant geführt wurde. Da würde ich den Genossinnen und Genossen, die bis heute viel riskieren, doch Unrecht tun. Der Kampf geht weiter.
Wirkt die Politik der militanten Antifaschisten fort?
Ottenheimer: Na ja, herausragend war, dass in den 1980ern das Thema
Nazis erstmals in dieser Dimension thematisiert wurde. Das ist bis
heute das Nachhaltigste. Es ist als Thema und politischer
Kristallisationspunkt etabliert. Heute wird es aber in anderer Form
angegangen: Heute blockieren Menschenmassen in Dresden auf der Straße
die Nazis. Das war früher nicht der Fall. Um die Treffen der alten SSler
hat sich über Jahrzehnte kein Mensch gekümmert. Wenn irgendwelche Nazis
irgendwo marschiert sind, dann kam es durchaus vor, dass Leute etwas
dagegen gemacht haben. Aber es waren nicht diese Massen, die wir heute
aus Dresden kennen. Heute rufen sogar CDU-Politiker zum Blockieren auf,
wenn auch verklausuliert. Das war in den 1980ern ein Ding der
Unmöglichkeit. Dass sich das Bewusstsein dafür, dass Faschismus eine
verbrecherische Ideologie ist, in dieser Dimension etabliert, war damals
nicht klar. Das ist ein Erfolg, den man aus den 1980ern ziehen kann.
Formen, Farben und politische Aussagen haben sich verändert ...
Langer: Ich würde einschränken: die Fahne mit dem Antifa-Logo hat sich seit den 1980er Jahren nicht verändert.
Ottenheimer: Aber man muss auch feststellen, dass sich inhaltlich heute vieles verflacht hat, weil es auf den Anti-Nazi-Kampf reduziert ist. Erich Fried hat Anfang der 1980er formuliert: »ein Antifaschist, der nicht sehr viel mehr ist als ein Antifaschist, ist vielleicht kein Antifaschist.« Dem durchschnittlichen Antifaschisten heute kommt »den Kapitalismus überwinden« nicht mehr so leicht über die Lippen. Das ist der inhaltliche Unterschied zu damals.
Heute gibt es viele unterschiedliche Antifagruppen, einige verstehen sich als antikapitalistisch, einige als antinational, andere machen nur Anti-Nazi-Arbeit. Was zeichnete im Vergleich dazu die 1980er Jahre aus, in denen es nur eine Antifa-Bewegung gab?
Ottenheimer: In den 1980er Jahren hatten wir eine völlig andere
globale Situation. Da war noch ein Ostblock bzw. ein sozialistisches
Lager. Und wenn du etwas neu erfindest – und in einer gewissen Form war
die militante Antifa eine neue Erfindung – dann gibt es natürlich erst
mal nur die, die zu deinem Verein gehören. Erst wenn alle verstanden
haben wie das neue funktioniert, können sie neue, eigene Vereine
gründen. So blöd das klingt, aber so einfach ist das in diesem Kontext.
Wir hatten damals das militante Antifa-Monopol. Das hatte natürlich
Vorteile. Aber, man muss im Vergleich zu heute auch sehen, es gab einen
völligen Wandel im gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Die Gesellschaft
war damals wesentlich politischer. Die Bereitschaft zur Partizipation,
die Bereitschaft, sich überhaupt gesamtgesellschaftlich zu artikulieren
und zu beteiligen, war extrem hoch. Wenn man bedenkt, in der BRD, damals
noch ohne die DDR, waren 500 000 Leute gegen Mittelstreckenraketen,
gegen Pershings und für den Frieden auf der Straße. Für eine politische
Sache kriegst du heute so viele Leute nicht mehr auf die Beine. Die
Beteiligung an Wahlen und die politische Partizipation, egal zu welchem
Thema, gehen runter, auch wenn das Internet punktuell was anderes
suggeriert.
Der politische Diskurs hat sich in Summe verändert. Die Welt ist wesentlich komplizierter geworden. Man hatte früher einen ganz klaren Begriff von Kapitalismus, von Imperialismus. Wenn heute Frankreich in Mali einmarschiert, dann geschieht das nach außen hin aus humanitären Gesichtspunkten. Und die meisten Leute glauben das sogar oder – viel schlimmer – interessieren sich überhaupt nicht dafür. Dass es um die Uran-Versorgung der französischen Atomkraftwerke geht und dass die eigentlich nur einen Stellvertreterkrieg auch für Deutschland führen, ist den wenigsten bewusst. Damals hatten wir weltweit Befreiungsbewegungen, die auch Siege erzielt haben, in Nicaragua und El Salvador. Es gab in Westeuropa kämpfende Gruppen und Stadtguerilla-Gruppen. Heute kann man sich nicht mehr vorstellen, dass jemand auch nur auf die Idee kommt, so was zu machen. Ob die jetzt gut oder schlecht waren, sei mal dahingestellt, aber sie existierten. Es gab dadurch einen erheblichen Widerspruch zum existierenden politischen System. Die Polarisierung war damals eine völlig andere. Und das ist ganz entscheidend für das Bewusstsein.
Warum ist heute so wenig über die militanten Antifaschisten bekannt?
Ottenheimer: Der Autonome an sich, in dieser Tradition stehen wir
nun mal, redet nicht gerne über seine Geschichte. Und wenn sie niemand
aufschreiben würde, dann würde sie gar nicht existieren. Wir beide
gehören zu den wenigen, die sagen, man muss die Sachen aufschreiben,
sonst weiß es einfach keiner mehr, sonst ist es irgendwann weg.
Irgendein Politikwissenschaftler hat mal analysiert, wo viele Autonome
oder viele Linksradikale von damals gelandet sind. Viele würden sich
einfach auch ihren Namen versauen. Die sind heute Lehrer oder
Geschichtsprofessor oder in einer PR-Abteilung beschäftigt, wo auch
immer. Wenn die jetzt ein Buch rausgeben würden zum Thema »Militanz im
Wandel der Zeit«, dann hätten die wahrscheinlich ein Problem. Das könnte
einer der Gründe sein, warum wenig darüber geschrieben wird.
Langer: Also mir fällt keiner aus unserer Struktur ein, der Professor geworden ist. Ehrlich. Einen Regisseur kenne ich, aber das ist schon das Höchste der Gefühle. Es ist so wenig bekannt, weil es auch nur sehr wenige waren. Außerdem sind wir klandestin vorgegangen, haben versucht, Hinweise zu verwischen und keine Spuren zu hinterlassen. Wir wollten nicht öffentlich wirken.
Ich habe damals eine Überlegung in die Diskussion gebracht: Wenn man Einfluss nehmen will, inspirierend auf andere Menschen wirken möchte, stellt sich die Frage, wie man das am Klügsten anstellt. Ich habe die These vertreten, dass wir uns einen gemeinsamen Namen geben sollten, um unseren Aktionen mehr politische Durchschlagskraft zu geben. Die einen nannten sich Revolutionäre Zellen (RZ), die anderen nannten sich sonst irgendwie, und wir könnten uns ja auch einen Namen geben. Zum Beispiel »Autonome Antifa Kommandos«, es gab ja auch einige Anschläge unter diesem Siegel. Doch das war nur eine Nebenerscheinung. Grundsätzlich wurde das berechtigte Argument gebracht, mit einem gemeinsamen Namen wäre die Repression gleich viel stärker. Das stimmt, sicher hätte der Apparat ganz anders reagiert. Von daher war unser Vorgehen vielleicht eine kluge Strategie. Man konnte lange Zeit wirken und keiner wurde erwischt, das ist ja auch ein Erfolg. Aber natürlich hat man sich damit einen Teil der Wirkung genommen. Man hat zwar was von Anschlägen gegen Neonazis gehört, aber die organisierte Kraft dahinter wurde nicht sichtbar. Die Öffentlichkeit hat von unserer Struktur praktisch nichts wahrgenommen. Das wird erst heute bekannt, weil wir jetzt darüber sprechen.
Antifa heißt Angriff
Die Geschichte der militanten Antifaschisten ist weitgehend unbekannt,
Literatur gibt es bislang keine. Der Unrast-Verlag kündigt für
Jahresbeginn 2015 das erste Buch zum Thema an. Es beruht auf Gesprächen
mit mehreren damals aktiven Antifaschistinnen und Antifaschisten. Horst
Schöppner: »Antifa heißt Angriff. Militanter Antifaschismus in den 80er
Jahren«, 200 S., ca. 14 €, Unrast, Münster.
Die Interviewten
Roger Ottenheimer, Jahrgang 1963, seinerzeit wohnhaft im Rheingau, Schreinerlehre, später Studium der Psychologie, wurde durch die militanten Auseinandersetzungen an der Frankfurter Startbahn West politisch geprägt. Er war Gründungsmitglied des Süddeutschen Antifa-Treffens. Heute arbeitet er als Therapeut im Ruhrgebiet.
Bernd Langer ist seit 1977 mit der autonomen Szene verbunden. Er
gehörte dem norddeutschen Teil der Antifa-Bewegung an. Mitte der 1980er
hat er die Initiative KuK (Kunst und Kampf) ins Leben gerufen, in deren
Rahmen zahlreiche Agitprop-Aktionen stattfanden. KuK hat das moderne
Antifa-Logo mit roter und schwarzer Fahne entworfen, das seitdem
Publikationen und Transparente vieler Antifaschisten schmückt. Sein
neuestes Buch »Antifaschistische Aktion. Geschichte einer linksradikalen
Bewegung« (264 S., 16 €, Unrast-Verlag, Münster) liefert einen
historischen Überblick zu 80 Jahren Antifaschismus in Deutschland. Zu diesen und anderen Themen ist Bernd Langer gerade auf Lesetour.
Termine: www.kunst-und-kampf.de
Die umfangreichere, vollständige Fassung des Interviews steht online: dasnd.de/antifa80er