Neonazis gehen am Wincklerbad baden

Erstveröffentlicht: 
04.08.2014

In Bad Nenndorf ging der diesjährige braune „Trauermarsch“ im lautstarken Protest unter. Die Teilnehmerzahl der Marschierenden sank. Erneut standen Anwohner und angereiste Gegendemonstranten erfolgreich zusammen.

 

Von Andreas Speit

 

Er hielt keine Rede, er gab keine Anweisung. Am Ende des „Trauermarschs“ in Bad Nenndorf konnte Thomas Wulff aber nicht auf eine Selbstdarstellung versichten. In der niedersächsischen Kurstadt stellte sich der NPD-Vorsitzende aus Hamburg alleine vor den lautstarken Gegendemonstranten hin, hielt ein kleines Schild hoch, auf dem stand „Grausames Britannien“, und abgemagerte Häftlinge abgebildet waren. Der anwachsende Lärm der Demonstranten direkt am Wincklerbad wegen seines Auftritts schien Wulff wie das Klicken der Fotografen um ihn sehr zu gefallen. Der Marsch des „Gedenkbündnisses Bad Nenndorf“ um Sven Skoda und Marco Borrmann dürfte am vergangenen Samstag aber nicht alle Aktivisten begeistert haben.

Kurz vor 12.00 Uhr waren an diesem 2. August die ersten Teilnehmer am Bahnhof zum alljährlichen Marsch nach dem Wincklerbad angekommen. Seit acht Jahren marschieren vor allem Kader aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften zu dem „Bad“, das die britische Armee vom 1945 bis 1947 als Internierungslager nutzte. Die dort teilweise auch stattgefunden Misshandlungen von Häftlingen nutzt die Szene, um die Verbrecher des Nationalsozialismus zu verharmlosen und das Leid der deutschen Opfer zu betonen. In einem Mobilisierungsvideo für den Marsch in diesem Jahr bringt es der Szene-Rockstar „Lunikoff“, Michael Regener auf den Punkt: „Damit mal klar ist, wer die wirklichen Verbrecher sind.“

Gut eine Stunde vorher um kurz vor 11.00 Uhr war am jüdischen Gedenkstein in der Kurstraße in Bad Nenndorf lauter Applaus aufgekommen. „Wir haben auf euch gewartet. Herzlich Willkommen“, schallte es über den Lautsprecherwagen. Hier kamen die Gegendemonstranten zusammen. Vor ein paar Tagen war gerade erst der Gedenkstein mit Hakenkreuzen geschändet worden. Äußerst freundlich empfingen Anwohner die angereisten Gegendemonstranten. „Sie sind uns alle willkommen“, sagte Gudrun Olk vor den rund 1200 Protestierenden. Nicht willkommen wären aber, schob die Bürgermeisterin nach und stockte: „Ja, wie soll ich sie nennen?", „Arschlöcher“ wurde aus dem Publikum gerufen. Erneut starker Applaus. „Heuchler, die die Geschichte verdrehen“, fuhr Olk lächelnd fort.
„In der rechtsextremen Szene wird über den Marsch gestritten“

Vor einem Jahr waren die Demonstranten gegen den damals angekündigten braunen „Trauermarsch“ noch nicht so locker und freundschaftlich miteinander umgegangen. In der Kurstadt nahe der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover sorgten sich Anwohner wegen der „zugereisten Chaoten“, der „linken Autonomen“. 2013 gelang es aber Anwohnern und Autonomen, Mitgliedern des VFL Bad Nenndorf und Akteuren von Anti-Rechts-Initiativen gemeinsam, den Zielort des rechtsextremen „Gedenkbündnisses“, das Wincklerbad, gewaltfrei zu blockieren. Erstmals seit 2006 musste der rechte Tross umkehren – verärgert und verstimmt. Der Erfolg von 2013, friedlich den Neonazis eine Niederlage bereitet zu haben, wirkte 2014 nach – und hatte Nachspiele. In der Kurstraße waren nicht bloß Plakate gegen Rassismus, Revanchismus und Nationalismus zu sehen. Viele Demonstranten, gut gekleidete Damen und auch bunte angezogene Jugendliche trugen ein gelbes Plakat um den Hals: „PMK. Politisch motivierte/r Kriminelle/r. Tatort. 03.08.2013 Bad Nenndorf“. Mehr als bloß eine Anspielung auf die später eingeleiteten Verfahren gegen die gewaltfreien Blockierenden. Sie sind auch ein Zeichen, so darf Jürgen Uebel vom „Bündnis Bad Nenndorf ist bunt“ verstanden werden. Jetzt steht der Protest zusammen, lässt sich nicht kriminalisieren, trennen zwischen „guten“ und „bösen“ Demonstranten. „Und dieser Protest wirkt“, sagt der Vorsitzende des Bündnisses. „Denn in der rechtsextremen Szene wird über den Marsch gestritten.“

Kapp vor 14.00 Uhr bestätigt sich am Bahnhof dann die Aussage, dass 2014 der Neonazi-„Trauermarsch“ unter der Teilnehmerzahl von 2013 bleibt. Statt damals knapp 270 sind dem Aufruf nun 190 Aktivisten von der NPD, der Partei „Die Rechte“, Freie Kameradschaften und der „Düütschen Deerns“ gefolgt. Unter den Marschierenden: Dieter Riefling, Freier Nationalist aus der Region Hildesheim, Jan-Steffen Holthusen von der NPD Hamburg, Manfred Börm von der NPD Niedersachen, Sven Krüger, ehemaliger NPD-Kommunalpolitiker aus Mecklenburg-Vorpommern. Auf der Mobilisierungswebseite hatte Skoda noch die szeneinterne Kritik, statt des Gedenkmarschs eher aktuelle Themen aufzugreifen, versucht abzuwehren: „Bad Nenndorf ist keine Schlacht von gestern, sondern Munition in der Schlacht von morgen!“.

Mit zwei Trommlern voran zog der kleine Zug durch die Innenstadt zum Wincklerbad. Kader des „Nationalen Widerstands Nienburg/Weser“ trugen ein Transparent „gegen das Vergessen. Alliierte Kriegs- und Nachkriegsverbrechen“. „Es gibt Verbrechen, die das Schicksal nie verzeiht“, zierte das Transparent, das die Frauen der „Düütschen Deerns“ hochhielten. Aktivsten der „Kameradschaft Nordheim“ hatten ihr Standarttransparent mit: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Während die Neonazis schweigend marschierten, erklang über den Lautsprecherwagen Trauermusik. Auf der Route hingen unzählige Transparente gegen „Nazis“. Vielen der Marschierenden hatten weiße Hemden oder Blusen an. Eine Anspielung auf das kurze Verbot der SA 1930, die dann statt in braunen in weißen Hemden aufliefen. „Verpisst euch!“, schrie eine Frau vom  Balkon. Mit Trillerpfeifen begrüßten zwei Herren im Vorgarten stehend mit Bier in der Hand die Marschierer: „Lächerlich seid ihr, einfach lächerlich!“. Kopfschüttelnd stand ein älteres Pärchen an ihrer Hofmauer. Offenen gesellschaftlichen Zuspruch erfuhren die Neonazis nicht.

 

„Ende, ihr müsst gehen“

Kaum erreichte der Marsch das Wincklerbad, ertönte ohrenbetäubender Protest. Eine Blockade fand dieses Jahr nicht statt. Von der Kurtstraße waren die Gegendemonstranten allerdings zur Bahnhofstraße gezogen, die direkt am „Bad“ liegt. Lautstark fanden auf der Straße Feten statt. „Wegtanzen“, hatte auch Bürgermeisterin Olk wenigen Stunden vorher empfohlen. „Schlümpfe“ war ein Partymotto, die Bunten gegen die Braunen. „Das Lied der Schlümpfe“ dröhnte den Rechten aus einem Kiosk, der nun Partyraum war, entgegen. Trillerpfeifen und Vuvuzela übertönten alle Reden komplett. Selbst die im Kreis stehenden Neonazis konnten kaum hören, wie Sven Skoda von der Partei „Die Rechte“ über diesen Protest schimpfte. Matthias Drewer von der „Rechten“ bemühte sich – für die im Kreis Stehenden ebensowenig hörbar – gewohnt radikal für’s Vaterland einzutreten. Auch die Wortbeiträge der britischen Gäste Richard Edmonds, Anhänger der „National Front“ und Peter Rushton von der „Britisch People's Party“, die den Holocaust als „Peitsche“ gegen den „weißen Nationalismus“ bezeichnet, konnten nicht von allen Teilnehmern gehört werden. Fragmentarisch zu verstehen war: „Keine Befreiung“ am 8. Mai 1945 sondern von „Besatzung“, dieses „System“ aus einem „Gefängnis der Lügen“ sei nicht ihr „System“.

Punkt 15.30 Uhr wurde der Protest noch stärker. Der „Ärzte“ Anti-Nazi-Song „Ein Schrei nach Liebe“ schallte über den Platz vor dem Bad. „Arschloch“ wurde lautstark mitgesungen und gerufen: „Ende, ihr müsst gehen“. Der Grund: Bis zu dieser Uhrzeit nur war die Kundgebung erlaubt. Unter Jubel der Gegendemonstranten zogen sich die Neonazis auch schnell zum Bahnhof zurück. Sichtlich von dem lärmenden Protest angestrengt. „Einen Erfolg“, nannte Marco Borrmann den Trauermarsch dennoch. „Wir wollten zum Wincklerband, wir sind am Wincklerbad“. Im nächsten Jahr, so versicherte der frühere niedersächsische NPD-Kommunalpolitiker, kämen sie wieder. Nach der Selbstinszenierung schloss sich Thomas Wulff weiter lächelnd dem Tross an, zurück zum Bahnhof.

Die Ankündigung des braunen „Gedenkbündnisses“ wiederzukommen, überrascht Uebel nicht. „Wir werden so lange protestieren, bis sie nicht mehr kommen“, sagt er. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Helge Limburg erklärt vor Ort: „Die geringe Zahl der Nazis ist ein Erfolg des bunten, vielfältigen und kreativen Protest. Es lohnt sich auf die Straße zu gehen.“ Weitgehend friedlich, so bezeichnet die Polizei den Verlauf.