Sitzung der NSU-Enquete in Baden-Württemberg am 14.07.2014

Tatort Theresienwiese

Bericht von der Sitzung der Enquete-Kommission „Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU)/Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg – Handlungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilgesellschaft“ am 14. Juli 2014.

 

Am 14. Juli 2014 fand in Stuttgart die erste öffentliche Sitzung der vom baden-württembergischen Landtag eingesetzten Enquete-Kommission zum NSU statt. Es handelte sich dabei bereits um das zweite Zusammenkommen der Kommission. Das erste konstituierende Treffen am 24. Juni 2014 fand in nicht-öffentlichem Rahmen statt.

Vorsitzender der Kommission: Willi Halder (Bündnis 90/Die Grünen)
Stellvertretender Vorsitzender: Karl Zimmermann (CDU)


Mitglieder der Kommission: Thomas Blenke (CDU), Arnulf Freiherr von Eyb (CDU), Sabine Kurtz (CDU), Winfried Mack (CDU), Matthias Pröfrock (CDU), Petra Häffner (Bündnis 90/Die Grünen), Daniel Andreas Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen), Alexander Salomon (Bündnis 90/Die Grünen), Christoph Bayer (SPD), Thomas Reusch-Frey (SPD), Nikolaos Sakellariou (SPD), Sabine Wölfle (SPD), Dr. Ulrich Goll (FDP/DVP)

Sitzungsbeginn: 10.15 Uhr
Sitzungsende: 12.07 Uhr

1. Thema: Vorstellungsrunde der externen und stellvertretenden externen Kommissionsmitglieder:

Lothar Frick: Direktor der „Landeszentrale für politische Bildung“, er sei u.a. Mitarbeiter der CDU-Bundesgeschäftsstelle gewesen und beschäftige sich seit vielen jahren mit dem Thema „Rechtsextremismus“, 1989 habe er eine Publikation über die „Republikaner“ (REP) veröffentlicht, er sei bemüht, die „Werbetrommel für unsere Demokratie zu rühren“ und „Begeisterung für unser Land auch über den Fußball hinaus“ zu wecken

Dr. Rudolf van Hüllen: Politikwissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen, promovierte in Bonn, ab 1987 beim „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV), dort im Bereich Linksextremismus, nach 19 Jahren Tätigkeit im Jahr 2006 auf eigenen Wunsch ausgeschieden, als Publizist tätig, er gibt an es gebe durchaus Verbesserungsbedarf bei den Behörden

Friederike Hartl: Politikwissenschaftlerin und Ethnologin, tätig in der Präventionsarbeit mit Jugendlichen sowohl im Bereich Islamismus als auch Rechtsextremismus, „Kompetent vor Ort für Demokratie – Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“ und „Team Mex“

Gerhard Dinger: Sozialpädagoge, arbeitete in Ludwigshafen mit rechten Jugendlichen, seit 7 Jahren Fachstelle Rechtsextremismus im Rems-Murr-Kreis, Aussteigerberatung und Präventionsarbeit, er bemerke eine Verunsicherung der Zivilgesellschaft durch staatliches Handeln und hofft, dass die Enquete-Kommission einen Beitrag dazu leisten kann, wieder Vertrauen herzustellen

Birgit Kipfer: war 21 Jahre lang Mitglied des baden-württembergischen Landtags (SPD), seit 15 Jahren engagiert im Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ , aktuell als Sprecherin in Baden-Württemberg

Nikolaus Landgraf: verhindert, Vorsitzender des DGB-Bezirks Baden-Württemberg

Ralf Michelfelder: Präsident Polizeipräsidium Aalen, war vorher Leiter der Polizeidirektion Waiblingen

Ruhan Karakul: Rechtsanwältin, im Landesvorstand der Alevitischen Gemeinde zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, sie schildert, dass die Morde des NSU sie und die Alevitische Gemeinde sehr betroffen gemacht haben, verweist außerdem darauf, das Thema Rechtsextremismus nicht nur aus deutscher Perspektive zu beleuchten (Graue Wölfe etc.)

Stefan Gläser: Jurist, arbeitete u.a. im Finanzministerium Baden-Württemberg und im Staatsministerium Baden-Württemberg

Hermann Wieland: Vorsitzender des Staatsschutzsenates in Stuttgart, verweist auf seine Erfahrungen in verschiedenen Verfahren gegen terroristische Vereinigungen im Bereich türkischer Extremismus und früher Rote Armee Fraktion (RAF), er hoffe vor allem bei der Suche nach Antworten mitwirken zu können auf die Frage, warum Menschen zu Extremisten bzw. Terroristen werden

Sarah Kleinmann: verhindert, Trainerin bei „Courage – Netzwerk für Demokratie und Courage“, „Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“

Annika Bohn: Ethnologin und Religionswissenschaftlerin, aktiv bei „Courage – Netzwerk für Demokratie und Courage“ , „Amadeu Antonio Stiftung“ und in der Opferberatung, sie berichtet von ihrer Erfahrung bei der Betreuung der Opfer des rassistischen Überfalls in Winterbach 2011 und möchte versuchen, die Perspektive der Betroffenen einfließen zu lassen

Prof. Thomas Grumke: Politikwissenschaftler, seit 20 Jahren Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus, arbeitete in Berlin für eine NGO und später beim „Landesamt für Verfassungsschutz“ (LfV) in Nordrhein-Westfalen, jetzt Professor an der „Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW“, er gibt an vor allem beleuchten zu wollen, wie die Sicherheitsbehörden in Zukunft „noch effizienter“ arbeiten können

Anton Maegerle: verhindert, Journalist mit Kenntnissen im Bereich Rechtsextremismus

Prof. Ulrich Stephan: Jurist, pensionierter Beamter des Landes Baden-Württemberg, zuletzt Leiter der Abteilung Öffentliches Recht/Privatrecht im Justizministerium in Stuttgart, früher tätig an der Hochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen, jetzt in NRW wohnhaft

Dr. Oskar Sarak: Jurist, promovierte im Bereich Kriminologie, ist in einer Stuttgarter Anwaltskanzlei tätig, er äußert den Wunsch nach einer parteiübergreifenden Arbeit in der Kommission

2. Thema: Anträge der Kommission und Öffentlichkeit der Sitzungen

1.Antrag: Dabei handelt es sich um einen Antrag der Abgeordneten Pröfrock (CDU), Blenke (CDU), von Eyb (CDU), Kurtz (CDU), Mack (CDU), Zimmermann (CDU), Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen), Halder (Bündnis 90/Die Grünen), Häffner (Bündnis 90/Die Grünen), Salomon (Bündnis 90/Die Grünen), Sakellariou (SPD), Bayer (SPD), Reusch-Frey (SPD), Wölfle (SPD) und Goll (FDP/DVP).
Es geht in dem Antrag um die „Bestandsaufnahme zu den Strukturen des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg und den Auswirkungen auf die Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft in Baden-Württemberg“.
Laut dem Antrag soll die Kommission die Landesregierung ersuchen, eine Bestandsaufnahme vorzulegen. Diese soll u.a. über die Auswirkungen der NSU-Mordserie auf die Sicherheitsbehörden, den Mord an Michèle Kiesewetter und die rechtsextremistische Szene in Baden-Württemberg berichten. Ebenfalls soll die Landesregierung den Bericht der „EG Umfeld“, die Ermittlungsberichte zum Mordfall Kiesewetter und den Bericht zum Ku-Klux-Klan in Baden-Württemberg vorlegen.

Es besteht weitgehend Einigkeit über den Antrag. Lede Abal, Sakellariou, Pröfrock und Goll diskutieren über sprachliche Feinheiten. Es geht um eine Formulierung im Antrag, die von der Landesregierung auch eine Stellungnahme zu „Anzeichen rechtsextremistischer Einstellungen von an der Strafverfolgung beteiligten Behörden und Nachrichtendiensten“ verlangt. Die Kommissionsmitglieder einigen sich darauf, das Wort „von“ durch das Wort „in“ zu ersetzen.

Der Antrag wird in dieser geänderten Form einstimmig angenommen.

2.Antrag: Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Antrag der Abgeordneten Pröfrock (CDU), Blenke (CDU), von Eyb (CDU), Kurtz (CDU), Mack (CDU), Zimmermann (CDU), Lede Abal (Bündnis 90/Die Grünen), Halder (Bündnis 90/Die Grünen), Häffner (Bündnis 90/Die Grünen), Salomon (Bündnis 90/Die Grünen), Sakellariou (SPD), Bayer (SPD), Reusch-Frey (SPD), Wölfle (SPD) und Goll (FDP/DVP).
Es geht in dem Antrag darum, dass die Kommission die nicht öffentlichen Protokollauszüge des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags und des Thüringer Untersuchungsausschusses anfordern soll.

Lede Abal regt an, den Antrag zu ergänzen und auch die Lieferung der öffentlichen Protokolle der Untersuchungsausschüsse anzufordern. Mit dieser Ergänzung wird der Antrag einstimmig angenommen.

Im Anschluss daran geht es darum, wann die Unterlagen der Enquete-Kommission zur Verfügung stehen werden. Ein Vertreter des Innenministeriums sichert zu, dass die Unterlagen nach der Sommerpause vorliegen werden, eventuell käme es zu einer Lieferung in Tranchen.
Er weist auf Nachfrage darauf hin, dass der vertrauliche Bericht der EG Umfeld von den Mitgliedern der Kommission (nach Ablauf der Sicherheitsüberprüfung) nur eingesehen werden darf und nicht ausgehändigt wird.

Anschließend geht es um die Frage, ob die Sitzungen der Enquete-Kommission generell öffentlich sein sollen. Ergebnis: es wird weiterhin von Sitzung zu Sitzung entschieden, ob diese öffentlich sein soll. Es wird einstimmig beschlossen, dass die nächste Sitzung am September 2014 wieder öffentlich sein soll.
Es wird außerdem einstimmig beschlossen, dass die stellvertretenden externen Kommissions-Mitglieder rechtmäßig zur Sitzung eingeladen wurden und auch zur nächsten Sitzung am 22. September 2014 wieder eingeladen werden.

3. Thema: Schwerpunktsetzung und weiteres Vorgehen

Lede Abal schlägt vor, sich bei der nächsten Sitzung zunächst mit dem Thema NSU und dem Bericht der EG Umfeld und der polizeilichen Ermittlungen zu beschäftigen. Dafür interessiere sich momentan auch die Öffentlichkeit. Dann solle auch die Kritik daran von einer unabhängigen Seite dargestellt werden. Dazu schlägt Lede Abal vor, dass der Vorsitzende der Kommission zum nächsten Termin die Journalisten Stefan Aust und Dirk Laabs (Buch: “Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU”) einladen soll.
Pröfrock argumentiert dagegen. Er möchte die Dinge chronologisch betrachten und nicht mit dem Thema NSU beginnen, nur weil dieses im Moment die größte Aufmerksamkeit habe.
Er sehe außerdem im Moment „keinen Bedarf für eine Lesestunde“ über das Buch von Aust und Laabs.
Sakellariou spricht sich dafür aus, den Bericht der Landesregierung und den Sachverstand der Journalisten Aust/Laabs nebeneinander zu stellen. Die Journalisten sollten sich ausschließlich zu dem Thema Baden-Württemberg äußern, damit könne man verhindern, dass es eine „Lesestunde“ werde.
Goll warnt davor, zwei Buchautoren zu einer „spektakulären Lesung“ mit „verkaufsfördernden Maßnahmen“ einzuladen.
Lede Abal weist dies zurück. Es gehe nicht um eine Verkaufsveranstaltung, das Buch sei ohnehin weit oben in den Verkaufslisten und eine detailreiche und gut recherchierte Darstellung. Er hält an dem Vorschlag fest, sich zuerst mit dem NSU zu beschäftigen. So könne die Enquete-Kommission auch den Verschwörungstheorien begegnen.
Pröfrock verweist darauf, dass die Kommission vom Landtag einen klaren Handlungsauftrag bekommen habe. Es könne hier aber nicht „eine Verschwörungstheorie nach der anderen“ abgehandelt werden.
Goll schlägt vor, sich erst mit dem Bericht der Landesregierung zu beschäftigen und dann Vorschläge zu sammeln, wer einzuladen sei, evtl. sei auch der Vorsitzende des Thüringer Untersuchungsausschusses geeignet.
Wieland meldet sich zu Wort. In München finde ja gerade der NSU-Prozess statt und ihm sei nicht bekannt, dass dort Aust/Laabs eingeladen worden seien.
Sakellariou entgegnet, dass die Kommission eine andere „Zielgruppe“ habe als der Prozess, es sei ihre Aufgabe, Aust/Laabs zu widerlegen und in die Öffentlichkeit zu wirken.
Pröfrock plädiert dafür, sich im September zunächst mit dem Regierungsbericht auseinanderzusetzen und dann zu überlegen, wer im Oktober eingeladen werden soll.
Bohn sagt, es sei ihrer Meinung nach nicht sinnvoll, abzuwarten aufgrund der Terminplanung. Als „Vertreterin der Zivilgesellschaft“ möchte sie „bald Ergebnisse sehen“. Eventuell gebe es auch Alternativen zu Aust/Laabs.
Sakellariou meint, man könne ja schon einmal bei Aust/Laabs anfragen für den Termin im Oktober.
Lede Abal spricht sich dafür aus, sich mit dem Regierungsbericht zu beschäftigen und zu schauen wo die Konfliktpunkte seien. Gleichzeitig solle der Vorsitzende Harder bereits bei Aust/Laabs „vorfühlen“ und Vorbereitungen für einen Termin mit Aust/Laabs treffen.
Harder schlägt vor, sich am 22. September 2014 mit dem Regierungsbericht auseinander zu setzen und dann Anträge zu stellen. Dies wird einstimmig beschlossen.

4. Thema: Kurzbezeichnung für die Enquete-Kommission

Van Hüllen findet es sehr unglücklich, wenn das Kürzel „NSU“ in die Kurzbezeichnung der Enquete-Kommission aufgenommen wird. Das Wort „NSU“ beschreibe eine Zelle, die „insofern vorbei ist, dass sie in dieser Konstellation nicht mehr auftreten kann“. Die Enquete solle „das Selbstverständnis einer solchen Bande“ nicht in ihren Namen nehmen, die Bezeichnung „Rechtsterrorismus/Rechtsextremismus“ sei besser und neutraler.
Lede Abal macht den Vorschlag, keine Kurzbezeichnung zu wählen, schließlich gebe es bereits einen Titel mit einem Handlungsauftrag.
Mack plädiert gegen eine Kurzbezeichnung mit dem Begriff, den die Terroristen selbst gewählt hätten.
Sakellariou schließt sich dem Vorschlag von Lede Abal an, keine Kurzbezeichnung festzulegen.
Der Vorsitzende Halder macht den Vorschlag, auf eine Kurzbezeichnung der Enquete-Kommission zu verzichten.
Pröfrock spricht sich für eine Kurzbezeichnung „Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus“ aus.
Bohn wundert sich, dass jetzt in der „Postmoderne“ auf einmal darüber gesprochen werde, ob Selbstbezeichnungen gewählt werden könnten. Es mache keinen Sinn, ausgerechnet im Fall NSU ohne Selbstbezeichnung vorzugehen, man verzichte ja auch nicht auf die Bezeichnungen „NSDAP“ oder „RAF“: „Manchmal muss man einfach über die Dinge reden, die es gibt.“
Pröfrock hält dagegen, der Bundestag habe den Namen NSU bewusst vermieden, man solle eine „Aufwertung“ des NSU durch den eigenen Begriff vermeiden.
Hans-Ulrich Sckerl (stellvertretendes Kommissionsmitglied, Bündnis 90/Die Grünen) erklärt, diese Diskussion hätte bei der Einsetzung der Enquete-Kommission geführt werden müssen. Die Taten des NSU seien ausschlaggebend für die Einsetzung der Kommission, dies entspreche dem Einsetzungsbeschlusses des Landtags.
Zimmermann sagt, bei Kürzeln wie NSU und NSA würden „die Leute nicht mehr durchblicken“, Nationalsozialistischer Untergrund wäre dann NU und NU stünde für Neu-Ulm. Die Enquete brauche aber eine Kurzbezeichnung.
Sakellariou sieht weiterhin kein Muss für eine Kurzbezeichnung.
Es kommt zur Abstimmung darüber, ob eine Kurzbezeichnung bestimmt wird: 7 Mitglieder stimmen dafür, die Mehrheit stimmt dagegen. Die Enquete-Kommission wird somit keine Kurzbezeichnung führen.

 

Tatort Theresienwiese - Initiative für die Aufklärung des NSU in Baden-Württemberg

 

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