Deutsche Rechtsextreme nutzen Südelsass als Rückzugsort

Extremistische und antisemitische Schmierereien am Skater-Platz in Huningue.
Erstveröffentlicht: 
06.06.2014

Rassismus im Sundgau

Antisemitische Impulse im Südelsass nehmen sichtbar zu. So versammelten sich am 20. April mehr als 200 Neonazis in Oltingue, um den 125. Geburtstag Hitlers zu feiern.

 

Was ist los im Südelsass? Im April versammelten sich 200 Neonazis in Oltingue, einem kleinen Ort im Sundgau zwischen Ferrette und Leymen; Anfang Mai wurden antisemitische Schmierereien in Huningue und Saint-Louis entdeckt; in den Garten der 1907 in St. Louis gebauten Synagoge werden regelmäßig Steine geworfen: Antijüdische und antisemitische Impulse im Südelsass nehmen sichtbar zu.

"In Krisenzeiten wird immer ein Schuldiger gesucht und Minderheiten sind ein ideales Ziel", erklärt Jean-Alain Kiefe die Entwicklung. Der Vizepräsident der historischen Gesellschaft von Saint-Louis und Mitglied der jüdischen Gemeinschaft hat in den letzten Jahren eine spürbare Zunahme antisemitischer Affekte bemerkt: "Steine werden in die Synagoge geworfen und Personen, die den traditionellen Anzug tragen, verbal attackiert", schildert er. Kiefe ist zudem verantwortlich für die jüdischen Friedhöfe im Südelsass und auch dort stellt fest er, dass manche Leute mitunter wenig Respekt zeigen: In Hegenheim etwa habe er eine Dame gesehen, die ihren Hund frei im Friedhof laufen ließ. Eine solche Entwürdigung gebe es, da ist er sicher, auf einem christlichen Friedhof nicht.

Unauffällig auf fremdem Terrain

"Es ist ein Rassismus, der hauptsächlich auf alten Ideen basiert ist", analysiert Kiefe weiter. Gerade die vergangenen zwei Monate seien leider dicht besetzt gewesen mit solchen an der Vergangenheit orientierten Ereignissen. So versammelten sich am 20. April mehr als 200 Neonazis in Oltingue, um den 125. Geburtstag Adolf Hitlers zu feiern, darunter der Sänger von Blue Eyed Devils, einer amerikanischen Neonaziband, einige Schweizer, aber vor allem deutsche Rechtsextreme; gerade diese weichen zunehmend ins Elsass aus, da es dort (noch) einfacher ist ein Lokal zu mieten als hierzulande, und sie bewegen sich auf dem fremden Terrain dann eher unauffällig.

In Oltingue jedenfalls wurden keine Störungen gemeldet, geschweige denn jemand verhaftet. Was allerdings auch mit der Präsenz der Gendarmerie zusammenhängen kann, die vor Ort war, um Probleme zu verhindern.

Rund drei Wochen später, am 8. Mai, also just dem Tag, an dem die Welt des teuer bezahlten Sieges über das deutsche Nazi-Regime gedenkt, wurden antisemitische Schmierereien in Huningue und Saint-Louis entdeckt. Da wurden in Huningue Sprüche wie "Anti Antifa" (Gegen die Antifaschischten) und "Juden raus" auf den Boden des Skaterplatzes gesprüht; zudem wurden in der Weiler Partnerstadt, aber auch im benachbarten St. Louis an sechs verschiedenen Orten Davidsterne und Symbole der Waffen SS als Tags und Graffiti aufgesprüht. Das alles deutet auf rechtsextreme Hintergründe hin.

Mit Neonazi-Ausrüstung

Anfang des Monats, exakt am 1. Juni, wurden in Mulhouse denn auch zwei Jugendliche, ein 16- und ein 18-Jähriger verhaftet. Sie hatten Exemplare von Hitlers "Mein Kampf" dabei, Fahnen mit Hakenkreuzen und keltischen Runen sowie T-Shirts mit Nazi-Slogans. "Eine perfekte Neonazi-Ausrüstung", beschreibt Bertrand Muesser, Kommandant der Polizei von Saint-Louis. Inzwischen haben die beiden auch zugegeben, verantwortlich für die Schmierereien zu sein.

Doch die rassistischen und fremdenfeindlichen Affekte beschränken sich nicht auf die jüdische Gemeinde. Imam Abou Ammar aus Mulhouse beobachtet ähnliche Aggressionen gegenüber Muslimen. "Moscheen werden beschmiert und der Rassismus wird immer mehr spürbar". Gerade der Islam werde immer wieder mit Terrorismus in Verbindung gebracht, dabei sei die islamische Religion genau das Gegenteil, meint er.

"Front national" gesellschaftsfähig

Auch die Bewegung gegen Rassismus und für den Frieden zwischen den Völkern (MRAP) beobachtet seit 2010 eine Zunahme antisemitischer und rassistischen Handlungen. Inzwischen gebe es im Elsass mehrere rechtsextremistischen Bewegungen. Das korrespondiert einerseits mit der seit 2010 in Frankreich immer spürbareren Krise. Andererseits existieren im Südelsass neben der nach der Europawahl fast schon gesellschaftsfähigen "Front national" von Marine Le Pen seit rund 20 Jahren regionale Formen des Rechtsextremismus wie Alsace d’abord (Elsass zuerst) und später mit dem Mouvement régionaliste alsacien (Elsäsische Regionalbewegung). Inzwischen haben sich Anhänger dieser Bewegungen dem "Bloc identitaire" angenährt. Dieser destilliert seine Ideologie nach Erkenntnissen der MARP teilweise direkt aus Wurzeln des deutschen Nationalsozialismus der 30er Jahre, wie etwa das 2005 verbotene Elsass Korps.

Unkenntnis und Intoleranz als Nährboden

Eine Lösung aber ist, wie immer in diesen Fällen, leicht beschrieben, aber schwer umzusetzen, vor allem wenn sich Vorurteile und – angesichts der wirtschaftlichen Lage – Perspektivlosigkeit und reale Ängste vor sozialem Abstieg verbinden. "Die Unkenntnis der Religionen und Intoleranz sind der ideale Nährboden für diese Gewalttätigkeiten", weiß Jean-Alain Kiefe. Dagegen helfen Aufklärung und Erziehung. "Das ist der beste Weg gegen den Fremdenhass", sagt er. Aber in der Regel ist das eben auch ein Weg, der Zeit und Geduld braucht.