Wahlquark in Rostock

Unabhängige Bürger unterstützen Demonstrationsverbote

In Rostock fanden erstaunlichem Umfang im Kontext der gleichzeitig stattfindenden Europa- und Kommunalwahl kreative Interventionen demokratisch unbefugter Personen oder Personenkreise statt. Weil diese Aktionen teilweise interessante Aspekte thematisierten oder in der Art und Weise ihrer Durchführung auch nonkonform zum sonstigen wahrgenommen Szeneleben war, soll hier der Versuch einer Dokumentation unternommen werden. Diese Dokumentation erhebt explizit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die AutorInnen dieses Beitrags sind genauso wie alle anderen Menschen auch beeinflusst durch die Beschränktheit ihrer Wahrnehmungsmöglichkeiten in Raum, Zeit und Gesellschaft. Deshalb finden hier nur Aktionen Beachtung, die entweder medial vermittelt oder direkt im Alltag in das Bewusstsein der am Text Beteiligten drangen. Deshalb möchten wir alle Lesenden bitten, im Falle möglicher Ergänzungen die Kommentarspalten zu nutzen.

 

Plakat-Verfremdungen

Das erste mal aufmerksam wurden wir, als am 13. Mai 2014 die Ostseezeitung mit großem Bild über „Anschläge auf Wahlplakate“ berichtete. Als Beleg für einen derartige „Anschlag“ posierte ein Kandidat des Oberbürgermeister-Wahlbündnisses der „Unabhängigen Bürger für Rostock“ (UFR) vor einem Wahlplakat, auf dem ihm von Unbekannten der treffende Satz „Wählt mich, denn ich bin ein weißer reicher Mann, der vorgibt, eure Interessen zu vertreten!“ mittels Überkleber in den Mund gelegt wurde.

 

Link zum Artikel „Anschlag auf Wahlplakate der Ostseezeitung vom 13.5.2014 http://www.ostsee-zeitung.de/Region-Rostock/Rostock/Anschlag-auf-Wahlplakate und ohne Paywall: https://linksunten.indymedia.org/de/node/113719

 

Statement und Bilder bei indymedia

Bei Indymedia findet sich zudem ein Statement zu der Aktion. Ungewöhnlich ausführlich begründet nimmt in diesem „Erklärbärentext (sic!)“ ein „ Kunst-Kommando „Wahlen ändern nichts außer den Gesichtern“ der Billboard Liberation Front Department Rostock-City Rules“ Stellung zur Aktion. Darin wird mittels Veränderung von Wahlplakaten eine Rückeroberung des öffentlichen Raumes postuliert. Interessant hieran ist vor allem die konsequente Absage an Demokratie, die als Herrschaftssystem betrachtet und abgelehnt wird.

Link zum Artikel „ Unbekannte KünstlerInnengruppe verbessert Wahlplakate“ vom 13.5.2014 auf Indymedia: https://linksunten.indymedia.org/de/node/113719

 

Gefälschtes Schreiben des UFR im Namen des Oberbürgermeisters

Anlässlich des zeitlich in den Wahlkampf fallenden Protests gegen Nazi-Demos am 1. Mai sah sich das UFR mit einer perfiden Wahlkampftaktik ihrer GegnerInnen konfrontiert. Unbekannte verteilten laut Ostseezeitung vom im Stadtgebiet ein gefälschtes Schreiben. In dem Schreiben werde dem OB eine Nähe zum Rechtsextremismus und ein autoritäres Regime unterstellt. Artikel „Wählerbündnis UFR empört über gefälschte Flyer“ in der Ostseezeitung vom 20.5.2014: http://www.ostsee-zeitung.de/Region-Rostock/Rostock/Waehlerbuendnis-UFR-empoert-ueber-gefaelschte-Flyer und ohne Paywall als pdf: http://bisuedstadt.files.wordpress.com/2014/05/14-05-20-aufstand-gegen-bauplc3a4ne-oz.pdf

 

Nicht „rechtsextrem“?

Durch örtliche Recherchen gelang es, einen der ominösen Zettel aufzutreiben. Und siehe da: Das Schreiben enthält das glatte Gegenteil der öffentlichen Verlautbarung. Der OB nimmt Stellung zum Vorwurf, dem Rechtsextremismus nahe zu stehen und anhand aktueller Beispiele belegt der vermeintliche OB diese Position über das aktuelle lokalpolitische Geschehen. Leider kann eine kritische LeserIn anhand der ausgewählten Beispiele zu exakt dem gegenteiligen Schluss kommen. Kein Wunder, dass das UFR nicht ausführlicher Stellung in der Presse bezieht. Ein Scan des Schreibens findet sich in der Bildergalerie dieses Artikels.

 

Grüne Dissidenten?

Mit dem vermeintlichen UFR-Zettel stießen wir auch auf ein leicht sonderbares Schreiben der Rostocker Grünen. In dem auf den 25.4.2014 datiertem Schreiben beziehen sich die Grünen auf eine Aktion einer Gruppe namens „Grüne Dissidenten“. Diese AbweichlerInnen erklären am 17.4.2014 bei Indymedia in dem Artikel „ Anpassung ist unsere Stärke.“, dass sie mit der Wahlwerbung ihrer Partei unzufrieden seien. Die Partei habe seit Jahren pragmatische Realpolitik gemacht und in wirklich jedem Politikfeld ihre Prinzipien gegenüber der Durchsetzung von herrschaftsförmigen Interessen zurückgestellt. Deshalb vertue die Grüne Partei massive Chancen, neue WählerInnenschichten anzusprechen, wenn sie immer noch mit den üblichen, langweiligen, pseudo-linken Möchtegernparolen hausieren ginge. Um auf die wirkliche Stärke der Grünen hinzuweisen, hätte die Dissidenten-Gang deshalb rund um die Grüne Geschäftsstelle am Doberaner Platz alle Plakate der Grünen um den Slogan „Anpassung ist unsere Stärke“ ergänzt.

 

Link zum Artikel „Anpassung ist unsere Stärke“ auf Indymedia vom 17.4.2014: https://linksunten.indymedia.org/de/node/111062

 

Sonderbares Schreiben der Grünen

Auf diese Aktion nimmt nun das besagte Schreiben der Grünen vom 25.4.2014 Bezug. Laut dem Text nehmen Kreisverband und Fraktion Stellung zu den Vorschlägen der „Grünen Dissidenten“. Nach reiflicher Überlegung seien die Rostocker Grünen zu der Überzeugung gelangt, dass die Kritik berechtigt sei. „Anpassung ist wirklich unsere Stärke“ heißt es. Und um den neuen Mut zum Pragmatismus zu unterstreichen, werden die BürgerInnen der Hansestadt aufgerufen, doch einfach auf die Plakate zu schreiben, was mensch wolle. Und um das barrierefrei zu managen, könnten Vorschläge auch per Mail an die grüne Zentrale geschickt werden. Die Ausdrücke könne man sich dann zum nächstmöglichen Termin abholen. Ein Scherz? Die Grünen dementierten nie und bereits am 19.3.2014 ruft die Kandidatin Simone Briese-Finke via Facebook zu einer ganz ähnlichen Aktion auf: https://www.facebook.com/briesefinke und https://www.facebook.com/photo.php?fbid=655447284502541&set=a.2251432875...

 

Weitere Plakatveränderungen

In der Woche vor der Wahl finden sich noch einmal veränderte Wahlplakate mindestens in der Innenstadt. Hierbei fallen zwei Dinge auf. Zum einen sind wieder die Großplakate aller Parteien betroffen. Und auch das UFR steht mit dem Slogan „Unabhängige Bürger unterstützen Demonstrationsverbote“ wieder in der Kritik. Ein BekennerInnenschreiben, gibt es leider zu dieser Aktion nicht. Die Veränderungen sind lediglich mittels Fotos bei Indymedia dokumentiert. Indymedia-Artikel: „HRO: Noch mehr Adbustings zur Wahl“ vom 25.5.2014: https://linksunten.indymedia.org/de/node/114815

 

Farbe beim „Bürger-Treff“ des UFR

Der Stellenwert der Kritik an der Rolle des UFR wird auch in einer Intervention in der Nacht vor der Wahl deutlich. In klassisch militanter Manier sprühten Unbekannte die Slogans „UFR = rassistisch“, „UFR = autoritär“ und „UFR = Nation“ an die Außenwände des Vereinslokals des WählerInnenbündnisses im Friedhofsweg. Die in den Fenstern hängenden Wahlplakate wurden zudem mittels Sprechblase mit dem Graffiti in Dialog gesetzt. „Alltags-rassistisch? ...Wir doch nicht“, „Autoritär? ...Wir doch nicht?“, „Korrupt? ...Wir doch nicht!“ und „Sexistisch? ...Wir doch nicht!“ wurde den KandidatInnen in den Mund gelegt. Diese gelungene Interpretation des Umganges des OB und des UFRs mit öffentlicher Kritik konnten PassantInnen den gesamten Wahlsonntag bewundern, da der Putztrupp erst am Montag anrückte. Statement „Rostock: UFR-Zentrale markiert“ auf Indymedia vom 25.5.2014: https://linksunten.indymedia.org/de/node/114815

 

Fazit

Was bringt nun so was? Haben Adbustings neben dem hedonistischen „Fun-Faktor“ auch eine politische Relevanz? Kann reiner Symbolismus, wie zum Beispiel durch „verbesserte“ Wahlplakate, ein Beitrag zu einer emanzipatorischen Politik sein? Wir werden versuchen, uns dieser Frage mit einer Diskursanalyse anhand der in der OZ veröffentlichten Texte zu nähern. Das Verändern von Wahlplakaten war im Wahlkampf exakt dreimal Thema: In einem großen Artikel mit Kommentar am 13.5.2014 von Andre Wornowski und zweimal in den Wochenrückblick-Glossen von Chef der Lokalredaktion Frank Pubantz am 17.5.2014 („Wahlkampf? Schwamm drüber!“) und am 24.5.2014 („Die Vernunft sei mit uns“). Zugegeben, viel Material ist das nicht, aber wir probieren's mal.

 

Besonderes Kommentar

Das Kommentar von Andre Wornowski am 13.5.2014 war der Redaktion offensichtlich so wichtig, dass es zusätzlich zu den üblichen Kommentaren direkt im Lokalteil eingefügt wurde. Darüber hinaus scheint der Inhalt des Kommentares so relevant gewesen zu sein, dass es direkt in das Layout des Artikels eingebunden wurde. Die Ostseezeitung achtet bei anderen Themen sonst zumindest optisch relativ strikt das journalistische Gebot von der Trennung zwischen Meinung und Berichterstattung. Das diese Regel hier aufgeweicht wurde, ist mindestens ungewöhnlich.

 

„Hin und wieder amüsant“

Inhaltlich kommt auch Wornowski nicht um den Druck der Straße herum. Er schreibt: „Wahlplakate überkleben ist wie Graffiti an Wände sprühen. Gut gemacht, sparsam eingesetzt und mit Witz inszeniert können solche „Kunstwerke“ bei aller Illegalität hin und wieder amüsant sein“. Wornowski scheint aufgefallen zu sein, dass geschätzte 90% der Leute von Wahlwerbung so genervt sind, dass sie das Verändern von Wahlplakaten erstmal lustig und zumindest interessanter als das Original finden. Aber die Einschränkung steckt schon im zweiten Satz. Derartige Einmischungen in den herrschaftsförmig gestalteten Diskurs sollen bitte „sparsam“ eingesetzt werden. Die Vorstellung, dass die BürgerInnen den Parteien optisch ihre Meinung aufzwingen und nicht umgekehrt, ist für den professionellen Meinungsmacher der Ostseezeitung unerträglich.

 

Witzig?

Und witzig sollen die Veränderungen sein. Das ist witzig, denn wären die Hintergründe der Veränderungen ernst, könnte man sie nicht einfach mit einem „Haha!“ wieder aus dem Bewusstsein schieben. Ähnliches sieht man im Kabarett oder bei den Känguru-Chroniken. Hier lässt sich jede noch so unbequeme Wahrheit einfach weglachen, weil sie schön eingezäunt auf der Spielwiese des Humors stattfindet. Dementsprechend verteufelt der Lokalredaktionschef Frank Pubantz in seiner Glosse vom 17.5.2014. die Adbustings: „Böse wird’s, wenn jemand politische Gegner offen diskreditiert - wie geschehen bei Anschlägen auf diverse Wahlplakate in dieser Woche. Wer so viel kriminelle Energie hat, sollte wieder abkühlen: Ja es geht hier um politischen Einfluss in der Stadt. Es geht um die Besetzung von Ehrenämtern. Da ist ein solcher Angriff auf Konkurrenten weit unter der Gürtellinie.“ Jenseits von der Frage, das diese Sätze sematisch teilweise miteinander zutun haben, geht für Herrn Pubantz es bei den Kommunalwahlen um die Verteilung des politischen Einflusses und das sei viel zu wichtig für solche Scherze.

 

Die Verteilung der Macht

Was beide verschweigen: Es geht um die Verteilung der Macht zwischen den gesellschaftlichen Eliten. Die Mehrheit der Leute ist von vornherein ausgeschlossen von der Beteiligung. Und die diskursive Verschleierung dieses Faktes wird durch Plakatveränderungen à la „Wenn Wahlen was verändern könnten...“ erschwert. Also muss gleich mal ein fetter Kommentar geschrieben werden, der die Vorgänge wieder ins rechte Bild rückt. Und so geht das Kommentar nach der Verneigung vor der Vox Populi folgerichtig weiter. „In den meisten Fällen trifft das aber nicht zu. Das gilt auch für das großflächige Verfremden der Wahlplakate in der Innenstadt am Wochenende“. Die Aktion scheint also ein Volltreffer gewesen zu sein.

 

Druck auf die Tränendrüsen statt seriösen Argumenten

Dementsprechend blöd geht die Begründung des Kommentars weiter. „Für ehrenamtliche Kommunalpolitiker sind die Plakate oft die einzige Möglichkeit, um mit ihren Botschaften die Menschen zu erreichen“. Dieses Tränendrüsengedrücke hat es in sich. Zum einen stimmt es nicht. Da Lokalzeitungen wie die OZ ihre Rolle häufig weniger als kritische BerichterstatterInnen denn als Hofschranzen der lokalen Eliten verstehen, werden z.B. die Pressemitteilungen des Bürgermeisters und der Kreisverbände deutlich überrepräsentiert gegenüber Ansichten von Subalternen abgedruckt. Dieser ungleichberechtigte Zugang zum medialen Diskurs wird hier gezielt vernebelt.

 

Postdemokratisches Infotaiment

Doch in Wornowskis Postulat steckt auch Wahrheit: Zum einen ist durch die postdemokratische Entwicklung Politikberichterstattung einem sog. „Infotainment“ gewichen. Politische Legitimation entsteht nicht aus Willensbildungsprozessen in politischen Körperschaften. Stattdessen wird Legitimation für Politik mit erfolgreicher medialer Inszenierung von einer angeblichen Handlungsfähigkeit organisiert. Es gibt auch innerhalb der Parteien kaum Diskurs von Unten nach Oben um die politische Willensbildung. Auch KommunalpolitikerInnen erfahren heutzutage die Positionen ihrer Parteien aus den Medien. Wo politische Debatte gegenüber purer Inszenierung doch sichtbar wird, schreiben Zeitungen wie die OZ dann von „Chaos-Parteitagen“. Insofern bildet die Gewichtung zwischen den politischen Ebenen durchaus die politische Relevanz der Kommunalpolitik ab: Sie hat ihre Bedeutung für die meisten Menschen verloren. Ausnahmen hiervon dürften korrupte Bauunternehmen, umweltzerstörende Dreckschleudern und ansiedlungswillige Shoppingmall-BetreiberInnen sein. Aber gerade diese Leute haben ja auch kein Interesse an einer öffentlichen Diskussion vor Ort. Und so verwundert es auch nicht, dass das Band zwischen Politik und BürgerInnen längst zerrissen ist, weil die Leute den Betrug durchaus durchschauen und sich abwenden.

 

Herrschende Zustände verteidigen

Aber anstatt diesen Samen einer Erkenntnis ernst zu nehmen und diese Probleme anzugehen, zeigt Wornowski sich als Verteidiger der herrschenden Zustände: „Werden den Kandidaten nun andere Inhalte in den Mund gelegt, ist das ein Schlag gegen die Demokratie an der Basis“. Dieser Satz verweist auf die Funktion von Wahlen im demokratischen Herrschaftssystem. Das Blabla und der damit simulierte Dissens der KandidatInnen sind zentral für die Legitimation von demokratischer Herrschaft. Freie Wahlen sind wichtig, damit man hinterher in der Legislaturperiode schalten und walten kann, wie man möchte. Ist dann ja alles demokratisch legitimiert... Dieser Trick zerrinnt, wenn Wahlplakate auf einmal die Wahrheit verkünden: „Wenn Wahlen was verändern könnten...“.

 

Dumpfer Hurra-Patriotismus

Um seine Schleimspur gegenüber dem Establishment zu retten, ist alles, was Wornowski im Folgenden bleibt, stumpfer Hurra-Patriotismus plattester Sorte: „Das Engagement der Hobby-Politiker wird mit Füßen getreten. Diese verausgaben sich nach der Arbeit auf Kosten ihrer Familie für die Hansestadt“. Jaja, Arbeit, Familie, Hansestadt. Das volle, reaktionäre, typisch deutsche Programm in Reinform. Mal ganz abgesehen davon, dass die schlimmen Chaoten sich auch nach der Arbeit auf Kosten ihrer Familien ehrenamtlich für ihre Vorstellung von einer lebenswerten Stadt verausgabt haben dürften. Aber soweit denkt Herr Wornowski dank seiner Verinnerlichung reaktionärster Werte als guter, arbeitender, deutscher Hansestädtler wahrscheinlich nicht.

 

Gemeinwohl?

Als Schluss darf, wie bei allen nationalistischen Reaktionären, die Verbrämung eines angeblichen „Gemeinwohls“ nicht fehlen: „Die Täter sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Sie sollten die Mühe und Energie, die sie in das Überkleben der Plakate steckten, für das Gemeinwohl einsetzen“. Es dürfte ziemlich deutlich werden, was bei DemokratInnen der Terminus „Gemeinwohl“ meint. Hier, wie sonst auch, steht er nur für die Interessen der Eliten, die diskursiv für gesellschaftlich gut und damit wünschenswert erklärt werden. Diese haben regelmäßig nur sehr wenig mit den Interessen und Bedürfnissen von Herrschaft betroffener Subalterner zu tun.

 

Die Sprache der Macht verweigern

Abschließend stellt sich die Frage, warum ein Vertreter des Establishments wie Herr Wornowski als stellvertretendes Sprachrohr desselben angesichts des frevelhaften Verhaltens einiger ChaotInnen die Notwendigkeit sieht, sich derart zu echauffieren. Ob einer relativ kleinen Aktion, mit nur sehr wenig Sachschaden, die die meisten Menschen auch noch positiv sehen, trägt er erstaunlich dick auf. Vermutlich lässt sich dieser mentale Kurzschluss damit erklären, dass sich die AdbusterInnen der herrschenden Sprache und damit den Konventionen der Macht entziehen. Sie machen nicht wie gute, deutsche Volksherrschafts-DemokratInnen bei Wahlen mit. Vielmehr weigern sie sich, bei der großen Inszenierung von Mitbestimmung und Beteiligung mitzuspielen, wie es sich für am angeblichen Gemeinwohl orientierte, ordentliche linke, sozialdemokratische, liberale, bürgerliche NationalistInnen gehören würde. Weder stellen sie ihre Eigeninteressen zurück, noch ordnen sie sich dem „großen Ganzen“ (in diesem Fall demokratisch beherrschten) Gemeinwesen unter. Im Gegenteil, sie erdreisten sich, sich der kulturellen Grammatik zu entziehen: Mit den von ihnen veränderten Plakaten verlassen sie normative Sagbarkeitsfelder, und bringen ihre partikulären Meinungen und Positionen ungefragt in den öffentlichen Diskurs ein. Herr Wornowskis Ärger verweist darauf, dass Adbusting nicht nur den konkreten (mehr, oder weniger lustigen, oder auch geistreichen) Slogan ungefragt und unlegitimiert von demokratischer Herrschaft in den öffentlichen Diskurs transportiert. Er zeigt auch, wie sehr Adbusting das ganze Gerüst, vor dem öffentlichen Diskurs (und damit auch diskursive Herrschaft) stattfindet, dekonstruiert und damit in Frage stellt. Und sich konsequent der (Formen-)Sprache der Macht zu verweigern, ist der erste Schritt, um das Herrschaftssystem zu überwinden und vielleicht etwas neues, emanzipatorisches zu schaffen. Und dies scheint Herr Wornowski, bei aller nationalistisch-demokratischer Verblendung, zumindest zu ahnen.

 

Mehr Infos:

 

Sammlung von Adbustings:

http://wahlplakatsalat.tumblr.com/submit

 

Schöner Kleben. Tipps zum Selber machen von Adbusting-Aktionen

http://www.projektwerkstatt.de/kalender/2004/kal_kleben.pdf

 

Kritik an Demokratie:

http://deu.anarchopedia.org/Kritik_der_Demokratie