Gegen nationalistischen und rassistischen Wahn - Für einen emanzipatorischen Anti-Faschismus

Faschismus zerschlagen

Der Neo-Faschismus ist nicht nur in Deutschland sondern auch in Europa weiter auf dem Vor­marsch. Keine staatliche Maß­nahme, keine Aktion der Anti-Rassisten bzw. Anti-Faschisten hat diese bedrohliche Entwicklung aufhalten kön­nen. Es werden viele verschiedene Versuche unter­nommen, die jedoch nicht fruchten oder die das Problem sogar verschärfen. Nehmen wir z. B. die verschiedenen Kampagnen zum Verbot neo-faschistischer oder anti-semitischer Organisationen oder Gruppen. Kein Verbot hat bisher den Erfolg gebracht, den die Verbotsbefürworter in ihre Ab­sichten intendiert haben. Im Ge­genteil. Die Neo-Nazis sind danach stärker und effektiver. Also, was läuft falsch im Staate Deutschland beim Kampf gegen die neue Barbarei.

 

Die anti-faschistische Verbotsphilosophie hat eine lange Geschichte, die zurück reicht in die 1920er Jahre, als staatlicher­seits versucht wurde, mit Verboten das Aufkommen der NS-Fa­schisten zu stoppen. Hitler wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wo er seine Schmierschrift „Mein Kampf“ schrieb und die NSDAP wurde kurzzeitig verboten. Als die Weltwirt­schaftskrise Ende der 1920er Jahre bedrohliche Aus­maße annahm, steigerte sich ihr Zuspruch sowohl was ihre Mitgliederzahl anging als auch die Stimmen die für sie bei Wahlen abgeben wurden. Das Ergebnis der staatlichen Repression gegen die deutschen Faschisten ist hinlänglich bekannt. Nach 1945 setzten beide deutsche Staaten die re­pressive Linie gegen Fa­schisten und ihre Or­ganisationen fort. Die NSDAP, von den alliierten Sie­germächten verbo­ten, blieb auch durch die deutschen Behörden verboten. Nachfolgeorganisatio­nen die sich im Westen gründeten, wurden verboten oder zerschlagen. In der DDR wurde die NDPD zugelassen, ge­dacht als Auffangbecken für ehemalige Funktionäre und Soldaten des Nazi-Staates. Ende der 1960er Jahre erlaubten die Behörden in West-Deutschland die Gründung der NPD, die schnell Zulauf registrieren konnte. Gegenwärtig geht es immer noch um das Verbot dieser NPD. Ein Verbotsantrag der rot-grünen Bundesregierung, unter Federführung des BMI Otto Schily beim Bun­desverfassungsgericht scheiterte, weil die Regierung nicht bereit war, die Namen ihrer Geheim­dienst-Agenten, die in der NPD für sie arbeiten, offen zu legen. Danach haben anti-faschistische Gruppen eine Kampagne entfaltet, die auf ein Verbot der NPD zielt. Dafür wurden in einem mehr­mo­natigen Ablauf mehrere tausend Unterschriften gesammelt. So – und nun. Was soll werden? Die NPD ist noch immer da, und ein Verbot ist in ganz weite Ferne gerückt. Ich kritisiere diese per­spektivlose Strategie, deren alleiniger Inhalt in der Unterdrü­ckung neo-nazistischen Organisationen oder Parteien liegt.


Nach den demoskopi­schen Erhebun­gen über die Ausdehnung nationalistischer und rassistischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung, von den Schülern angefangen bis zu den Rent­nern, eine solche weite Verbreitung gefunden haben, dass die Ver­botsversuche gegen eine kleine Partei drohen ins Leere zu stoßen. Bis zu zwei Drittel der Deutschen, egal ob katho­lisch, evangelisch, nord-deutsch, süd-deutsch oder west-deutsch, sie sind sich einig in ihrer Ablehnung von Ausländern und Juden. Diese zwei Drittel der Deutschen haben politische Bewertungen, wie sie von der NPD seit ihrer Gründung Ende der 1960er propagiert werden. Doch die Verbotsbefürworter wollen eine schnelle Lösung dieses monströsen Problems, sie wollen diese am Horizont aufziehende Barbarei verbieten. Dem entspricht eine in Deutsch­land lange gehegte autoritäre Bewusstseinstruktur, die sich in einer Verbotsphilosophie wie­der findet. Der optimale Weg zu einer Gesellschaft ohne Ras­sismus und Autoritarismus kann nur begründet werden, wenn die un­gerechten so­zialen und politi­schen Ver­hältnisse in Deutschland einer radikalen Kri­tik unter­zogen wer­den. Diese Entwicklung zielt auf eine basis-demokratisch verfasste Gesellschaft, in der Männer und Frauen und Kinder sich ohne Ausbeutung und Unterdrückung wiederfinden können. Die Massenarbeitslo­sigkeit der letzten Jahre hat Mas­senverarmung und -ver­elendung, nicht nur bei Kindern und Jugend­lichen, her­vor ge­bracht. In Deutschland leben über eine Million Kinder von So­zialhilfe, in manchen ost-deut­schen Re­gionen sind das etwa 25 % aller Kinder, und die Prognosen gehen von einer deutli­chen Steige­rung dieser Kin­derarmut in den nächsten Jahren aus. Diese Verarmung wurde her­vorgeru­fen durch die Gesetz­ge­bung und die Folgen, ge­rade bei den sozial benachteilig­ten Kin­dern und Ju­gendlichen, sind u. a. Häufungen krankhafter Ver­haltens- oder Sprachstörun­gen, und insbe­sondere Erkrankun­gen wegen fal­scher Ernäh­rung oder mangelnder Körper­be­wegungen. Frauen und Männer werden zu Tä­tig­keiten ver­pflichtet, ja man kann sagen sie werden zu einer Ar­beit gezwun­gen, für die sie einer­seits nicht adäquat, d. h. weit unter den ortsüblichen Tarifen, entlohnt werden, und die ande­rerseits ihren berufli­chen und schulischen Qualifi­kation nicht im Min­desten ent­spre­chen. Wird ei­ner sol­chen Verpflichtung nicht nach­ge­kommen, dann droht die Kürzung oder gar die Streichung der fi­nanziel­len Leistungen. Die Erhöhung des An­rech­nungszeit­raums bei arbeitslosen Ju­gendlichen bis zum 25. Lebensjahr bedeutet für sie, als Teil der el­terli­chen Be­darfsge­mein­schaft, Verlust ihrer per­sönlichen Au­tono­mie. Wer bisher den sozia­listischen Theorien von Karl Marx, Fried­rich Engels, Rosa Lu­xemburg oder Wil­helm Reich skeptisch oder gar ablehnend gege­nüber­stand, kann hier kon­kret gesell­schaftli­che Auswirkungen kapitalistischer Aus­beu­tungsver­hält­nisse studieren.


Der Kampf gegen die neuen Rassisten ist auf allen Ebenen zu führen und er muss mit Argu­menten versehen sein, die Wirkung zeigen können. Deshalb müssen die Auseinandersetzun­gen mit den Neo-Nazis mit einer Kritik der politischen Ökonomie, d. h. mit einer kriti­schen Analyse der Ursa­che der gegenwärtigen ökonomischen und politischen Probleme ver­bunden werden. Zu kritisieren ist auch eine unreflek­tierte Argumentation, bei der die Ideolo­gie der Neo-Na­zis als „Ge­dan­ken­gut“ bezeichnet und damit unterbe­wusst unterstellt wird, Ge­danken der Nazis seien „gut“. Ähn­li­ches ist dort zu betrachten, wo Bundes- und Landesre­gie­rungen Pro­gramme fi­nanzieren, die am Ende zu ei­ner Stärkung der Neo-Nazis führen, z.B. mit der indi­rekten Finanzie­rung neo-faschisti­scher Struktu­ren durch die „ak­zeptierende“ Ju­gend- oder Sozial­arbeit. Die NPD wird vom deutschen Staat finan­ziert, einmal direkt durch die Wahl­kampfkos­tener­stattung und zum anderen indi­rekt, durch exor­bi­tante Ho­norare für Spitzel­dienste von NPD-Funktionären, die gleich­zeitig Agenten des Ge­heim­dienstes oder der Polizei sind. Im Konzept der staatli­chen Re­pres­sion des Rassismus stel­lt die Po­li­zei eine ge­wich­tige Macht dar, und von ihrer in­neren, geistigen Verfas­sung hängt die langfris­tige Wir­kung der Un­terdrückungs­maß­nahmen ab. Analysiert man ihre Ak­ti­vitäten, z. B. im Bun­des­land Sachsen-Anhalt, so kommen doch be­rechtigte Zweifel auf, über die anti-fa­schisti­sche Ernsthaf­tig­keit von Teilen der Polizei. Ein Abteilungs­leiter der Po­li­zei­direktion in Dessau, hat von seinen Un­tergebenen ver­langt, sie sollten „nicht al­les“ sehen. Wenn zu viele neo-fa­schisti­sche Straftaten in der Sta­tistik erschei­nen, dann würde das Anse­hen der Polizei­direk­tion Dessau darunter leiden. Ein anderes Beispiel ist ein Poli­zeibe­amter, Spezialist für die In­for­mations-Tech­nologie (IT) der Polizei von Sachsen-An­halt, der bei einer Veranstaltung von Neo-Faschisten lo­gis­tisch tätig war. Die inter­nen Untersu­chungen der Poli­zei dauerten Jah­ren an und es ist we­nig förderlich für ihre Glaubwür­digkeit, wenn die Poli­zei ihre eigenen neo-faschisti­schen Po­tentiale nicht erkennen kann oder will.  Ein Untersuchungsausschuss des Land­tags sollte u. a. auch die Vor­komm­nisse in der Poli­zeidi­rek­tion Dessau beim Tod des Schwarzafrikaners Oury Jalloh be­leuchten und er sollte auch klären, wie Polizis­ten bei der Ver­folgung neo-faschis­tischer Straf­taten vorge­gangen sind. Ins­ge­samt wurden sechs Vorfälle un­tersucht werden, dar­unter auch das Verhalten von Polizisten nach einem Überfall neo-fa­schistischer Schläger auf Schau­spieler in Halber­stadt, wo Tä­ter, unmittelbar nach der Tat, von der Polizei laufen ge­lassen wurden. Ein weiteres Beispiel bein­haltet mut­maßliche Schieß­übun­gen von Neo-Nazis in einem Wald bei Witten­berg. Ein Spaziergänger hat be­reits im April 2007 die Polizei-Di­rektion Dessau über seine Beo­bach­tun­gen un­terrichtet, doch nichts ist geschehen.[1]


Skandalösen Vorfälle in der Mitte der deutschen Gesellschaft zum Thema Nazismus ist An­lass um dar­über nach zu den­ken, in wel­cher geis­tigen Verfassung sich die Mitte der deutschen Gesellschaft be­findet. So hat die ehe­ma­lige Spreche­rin der Tagesschau der ARD, Eva Herman, bei einer Pres­se­konferenz in Ber­lin, Hitler als einen „völlig durch geknallten Po­liti­ker“ be­schrieben, aber die sozi­alen Verhält­nisse im Hitler-Reich gelobt: „Es gab da­mals auch was, was gut war. Mütter, Fami­lien, Zu­sammen­halt“. Daraufhin trennte sich der NDR von ihr. Ein Fall geisti­ger Brandstiftung, ist eine weitere „Entglei­sung“ des Kölner Erz­bi­schofs, Joachim Kar­dinal Meisner, der in einer Rede zur Ein­wei­hung des Kölner Diözesanmu­seums, von ei­ner „Entar­tung der Kultur“ sprach. Er be­diente sich damit eines Begriffs, der von den Nazis, u. a. zur Ab­wertung der mo­dernen Kunst, einge­setzt wor­den war.[2] Zu guter Letzt sehen wir auf Josef S., 53-jähriger Jurist und ranghoher Beamte im Bun­des-Mi­niste­rium für Verkehr. Er hat jahrelang auf der Home­page der neo-nazistischen, deut­schen „Staats­briefe“ und in der ebenfalls neo-nazisti­schen, öster­reichischen Zeitschrift „Die Aula“ unbe­helligt geschichtsrevi­si­o­nistische Texte ver­öf­fent­licht. Sogar das „Bundesamt für Verfassungs­schutz“ erwähnte ihn in ihrem Jahrsbericht 2003. Doch erst nach der Veröffentli­chung dieser Fak­ten in der Presse im Monat September 2007 ist der Regierungsrat mitt­ler­weile vom Dienst suspendiert worden.[3] Alle diese Beispiele belegen eindeutig, was wir be­reits seit langem vermu­ten konnten, der sogenannte Rechtsex­tremismus ist keine Gefahr mehr die sich al­lein am rechten Rand der Ge­sell­schaft entwi­ckelt, nein, diese Gefahr kommt jetzt aus der Mitte der etab­lierten, bür­ger­lichen Gesell­schaft, wo Anhän­ger aller Parteien, Kirchen und Gewerkschaften be­troffen sind. Und wie auch schon im vergan­ge­nen Jahr­hundert, so sind auch gegenwärtig ras­sistische und anti-semitische Gruppen oder Par­teien eu­ro­paweit im Vormarsch. Eu­ropäi­sche Fa­schisten sind auf den Stra­ßen und in Parla­menten nicht nur in Ita­lien, Frank­reich oder Deutsch­land, sondern, was wir nach 1990 schmerz­haft lernen mussten, auch in Ost-Eu­ropa zu fin­den, wie z. B. in Russ­land, Polen, Un­garn oder Tsche­chien.


Nach 1945 hat es in allen Teilen Deutschlands, also auch in der SBZ/DDR, unge­zählte neo-faschis­tische bzw. rassistische Vorfälle gege­ben.[4] Der ras­sisti­sche Mob in der DDR konstituierte sich spon­tan und setzte sich, ab den 1970er Jahren, wie in West-Deutschland ebenfalls, aus „Fa­schos“, Skin­heads und Hoo­li­gans zusam­men. So konnte der rassistische Mob der Pog­rome von Mü­geln (2007) bis Rostock-Lich­tenha­gen (1992) und Hoyers­werda (1991), auf dem auf­bauen, was sich zu­vor in der DDR entwi­ckelt hatte, ich wo bis heute ca. 7.000 neo-nazistische und rassistische Propa­ganda- und Gewalttaten nachweisen konnte, bei denen es mindestens zehn Tote gegeben hatte und eine unbestimmte Zahl von Verletzten.


Dieser ost-deutsche rassistische Nach-Wende Mob gleicht dem rassis­tische Mob im west-deut­schen Rheinland-Pfalz (2007), in Mölln (1992), in Solingen (1993) und in Lübeck (1996), der auf brutale Aktivitäten aufbauen konnte, die bereits zu­vor in West-Deutschland ge­schehen sind.[5] Die Verei­ni­gung der ost- und westdeut­schen Neo-Nazis und Rassisten zu einer gemeinsamen ge­sell­schafts­politi­schen Kraft führte, zu­sammen mit dem Anti-Se­mitismus der fa­schistischen Islamisten, zu ei­ne qua­litativ und quan­tititativ ge­steigerten Gefahr, deren dy­nami­sche Entwick­lung au­ßeror­dent­lich ist und in West- und Ost-Europa eine Spit­zenstel­lung ein­nimmt.[6] Seit dem Bei­tritt der DDR zur BRD, also seit 1990, wurden in Deutsch­land, nach offi­ziel­len Zah­len des Schäuble Mi­nisteri­ums (BMI) über 100.000 neo-fa­schis­ti­sche, anti-se­miti­sche oder rassisti­sche Strafta­ten re­gistriert.[7] Über hun­dert Tote und tau­sende Ver­letzte sind seit her zu bekla­gen.[8] In den ost­-deut­schen Bundes­län­dern gibt es, im Ver­hältnis zur Be­völkerungszahl gese­hen, eine zwei- bis dreifach höhere Zahl neo-fa­schisti­scher bzw. ras­sis­tischer Straftaten und diese Dif­ferenz zwi­schen Ost und West bedarf ratio­naler Erklärun­gen. Ver­gleicht man lang­fris­tig, also über Jahrzehnte hinweg, die Entwicklung der of­fi­ziel­len Zahlen (von 1986 bis 2006), so ver­steht man die Entwicklung, die die neo-fa­schisti­sche Be­wegung in West-Deutschland, bis zum An­schluss der DDR und darüber hin­aus genom­men hat. So gab es im letzten Jahr der BRD, also 1990, ca. 1.850 Vor­fälle. Im ersten gemein­sa­men Er­he­bungsjahr 1991, ver­dop­pelte sich die Zahl der neo-fa­schisti­schen Vorfälle auf über 3.800 und im Jahr 1997 stieg die offi­ziell registrierte Anzahl auf fast 12.000. In den Jahren 2000 und 2005 wur­den jeweils ca. 16.000 Vor­fälle ge­zählt. 2006 wurde dieser Höchst­wert übertrof­fen und befin­det sich nun bei über 18.000 neo-nazisti­schen Strafta­ten. Im Ver­gleich zum höchsten Wert in der alten BRD, haben sich die of­fiziellen Zahlen bis heute verzehnfacht.  Diese dy­nami­sche Entwick­lung ist au­ßeror­dent­lich und nimmt daher in West- und Ost-Europa eine Spit­zenstel­lung ein­.[9] Angesichts der ökonomi­schen und sozi­alen Krise der Ge­sell­schaft, und durch Massen­arbeits­losigkeit und pre­käre Arbeits­verhältnisse verur­sachte Mas­senarmut und –ver­elendung in breiten Schichten des Pro­letariats, mu­tiert Ras­sismus und Anti-Semi­tismus in eine ge­fährliche Dimension. Die staats­tra­gen­den Parteien und die ih­nen nahe ste­henden gesell­schaftlich mäch­tigen Grup­pen dre­hen sich offen­sichtlich mit ihren Ar­gu­men­ten und Akti­vi­täten im Kreis, wenn sie der neo-faschisti­schen Ent­wicklung, be­wusst oder unbewusst, nicht noch Vor­schub leisten. Ein Beispiel ist die Hetzjagd auf acht Inder durch etwa 50 Deutsche in der sächsischen Ge­meinde Mügeln. Zwar hat es Schlägereien bei öffentlichen Festen im­mer ge­geben, das ist schon wahr, denn seit Jahrhun­derten ge­hören Schlä­gereien zu Festen. Aber in Mü­geln ging es einmal mehr darum, dass eine äußerlich erkennbare, schutzwürdige Minder­heit mit brachialer Gewalt von einem deutschen Mob angegriffen wurde. Die Hetz­jagd, die Schau­lustigen die nicht einschreiten, das späte Eintreffen der Polizei und dann die Ab­schwä­chungen der Be­hörden – das sind Merk­male ein- und der­selben Kultur des Ras­sis­mus, die mit dem Bild vom Eis­berg bestens wieder­ge­geben wird. Es werden Vorgänge und Einstellungen sichtbar, die auf ein immer grö­ßer werdendes un­sichtbares, weil untergründi­ges Problem hin­weisen, und das die Voraus­setzung bildet, für die brutalen Übergriffe auf Men­schen, die aus an­deren Län­dern und Konti­nenten nach Deutschland gekommen sind. Das in Ritu­ale ge­formte Schei­tern der Etablierten zeigt sich regelmäßig nach rassistischen An­griffen, wenn Verant­wortung zurück gewie­sen wird und die Ursachen ge­leugnet werden. „Die Medien“ oder gar „die Auslän­der“ seien selbst schuld und Bürgermeister oder an­dere Politi­ker sorgen sich nach solchen Übergriffen, vor al­lem um das Image ih­rer Gemeinden.[10]

Um Einsichten in die geisti­gen Ab­gründe der Deut­schen zu be­kommen, ver­wende ich die Ergeb­nisse von drei re­präsen­tativen, de­moskopi­schen Untersu­chun­gen, deren wissenschaftliche Seriosität ernst­haft nicht zu bezweifeln ist. Es handelt sich hier um eine Erhebung, die seit 1990, re­gel­mäßig alle zwei Jahre, im Auftrag der „Volks­soli­darität“ von Ber­li­ner So­zial­wissen­schaftlern erstellt wird. Die Verfas­ser stellen fest, dass „rechts­ex­tremes Gedan­kengut“(!) breite Teile der ost-deutschen Be­völ­kerung erfasst hat. Die Er­geb­nisse sind an dramati­scher Radi­kalität kaum zu überbieten, zeigt sich hier ebenfalls, dass neo-faschistische und rassistische Ein­stellun­gen nicht re­duzier­bar sind al­lein auf männliche Jugend­liche oder Jung-Er­wach­sene. Sie verteilen sich auf alle Alters­gruppen - allein beim Ras­sismus wird eine wachsende Zu­stim­mung von älteren und al­ten Men­schen festge­stellt. In den neuen Bundesländern zeigt sich Neo-Faschis­mus vor allem in ras­sis­tischen und na­tio­nal-chauvinisti­schen Motivationen ge­gen Ausländer und ob­wohl der Anteil von Migranten in Ost-Deutschland ver­gleichsweise ge­ring ist, werden sie in ei­nem ideologi­schen Sinn als Sün­denbock, also als „Ur­sache“ für die sozia­len Probleme verantwort­lich ge­macht. So befürwor­ten entweder „vollständig“ oder „teil­weise“ fast drei­viertel (72 %) der Be­fragten eine Redu­zie­rung der Ausländer in Deutschland und erhof­fen sich davon eine Lösung sozia­ler Prob­leme, wie z. B. bei der Suche nach Woh­nungen und nach Arbeitsplätzen. Die Hälfte der Be­fragten (51 %) stimmt der Be­hauptung zu, die meisten Ausländer wären Krimi­nelle. Bei der Be­trach­tung ein­zelner Bun­deslän­dern ist zu sehen, dass in Meck­lenburg-Vor­pommern mit 55 % und in Thü­ringen mit 50 % die höchs­ten Zahlen zu finden sind, die der Be­haup­tung „vollständig“ zu­stim­men, es gäbe zu viele Auslän­der.[11]


Die zweite Studie un­tersucht die „Politische Kultur im Frei­staat Thürin­gen“ und wurde vom „Insti­tut für Politikwissen­schaft“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena, im Auftrag der Lan­desregierung Thüringen, erarbeitet. Dass Deutschland durch Migranten „in einem gefährli­chen Maße über­frem­det“ sei, findet bei 53 % der Thürin­ger Zustimmung und fast ebenso Viele (50 %) stimmen der Aus­sage zu, die Ausländer kämen nur deshalb nach Deutschland um den „Sozialstaat auszu­nutzen“. Die Autoren stellen fest, der Ras­sismus er­weist sich als deut­liche Aus­prägung neo-faschistischer Ein­stellun­gen und 40 Prozent der Thüringer müssen als „aus­länder­feindlich“ charakterisiert werden. Erstaun­lich sind die Er­geb­nisse bei den Be­fragten „mit großer Nähe zur DDR“, die eine überdurch­schnittli­che neo-fa­schisti­sche Orien­tierung aufwei­sen. Neo-Faschisten und Nostalgiker alter SED-Zeiten eint ausgeprägter Auto­ritarismus und eine deutli­che Ablehnung der politi­schen und so­zialen Rea­lität Deutsch­lands.[12]


Die dritte Stu­die wurde von Sozialwissen­schaftlern der Universität Leipzig, im Auftrag der Fried­rich-Ebert-Stiftung, Forum Ber­lin, unter dem Titel „Vom Rand zur Mitte“ erstellt. Sie stellt eine umfangrei­che wissen­schaftli­che Unter­su­chung für Ost- und West-Deutsch­land dar, deren Ergeb­nisse höchste Beachtung verdient.[13] Hier wird es deutlich, dass Neo-Fa­schismus und Ras­sismus nicht auf die Anhänger von NPD oder DVU zu redu­zieren sind, weil Mit­glie­der von Kir­chen, Ge­werk­schaften und von allen etablierter Parteien, als auch von der Links­partei, ebenfalls neo-fa­schis­tische Einstellungen aufweisen, und damit die Durch­dringung der deut­schen Bevöl­kerung mit anti-hu­manen und anti-demokratischen Ideolo­gien belegt werden. Den Aus­sa­gen, eine Diktatur, ein Füh­rer oder eine einzige starke Partei wäre das Richtige für Deutsch­land stim­men ca. 50 % der Befrag­ten „überwiegend“ und „voll und ganz“ zu. Bei­nahe 37 % der er­wachsenen Deutschen stimmen der Be­hauptung zu, Ausländer würden den Sozi­al­staat auszu­nutzen. Dem entspre­chen die 35 % die be­jahen, dass Auslän­der aus dem Land ge­wiesen wer­den sollen. Man wundert sich nachgerade nicht mehr über die Zustim­mung von fast 40 % der Befragten, Deutschland sei in ei­nem ge­fähr­lichen Ausmaß überfremdet. Bei den westli­chen Bun­desländern sind die Werte für Bayern die höchsten und er­reichen die über­durch­schnittlichen Werte für Nati­onal-Chau­vinismus über 34 % und für ras­sisti­sche Einstel­lungen über 42 %. Ähn­liche Werte er­reicht in Ost-Deutschland Mecklenburg-Vor­pom­mern mit über 30 % beim nati­onalen Chau­vinismus und über 34 % beim Rassismus. Die Zu­stim­mung zum Ras­sismus in Branden­burg erreicht mit knapp 50 % den höchsten Wert in einem deut­schen Bundesland überhaupt. Schaut man auf die absoluten Zahlen, so liegt Nord­rhein-West­falen an der Spitze, gefolgt von Nie­dersach­sen. Im Verhältnis zur Ein­woh­nerzahl hält Sachsen-An­halt, schon zum zweiten Mal die Spit­zenposition (vor Brandenburg). Die neo-fa­schistischen Straf­taten ha­ben sich dort seit dem Jahr 2002 fast verdoppelt. Nach wie vor ist die Gefahr, hier als Mig­rant an­gegriffen zu werden, mindes­tens zehnmal so hoch wie in Hes­sen.[14]


Nach der „Wende“ konnten Ras­sisten aus Ost- und West-Deutsch­land ideell, materiell und perso­nell nahtlos auf ihren je­weiligen Er­fahrungen auf­bauen. Seit der Vereinigung hat sich die deutsche Politik in einer Art und Weise nationa­listisch ent­faltet und dadurch ein ras­sistisches Klima be­för­dert, dass für die Durchset­zung der Zielvor­stellung, z. B. in der Revision der Asylge­setzgebung, aus­zunutzen war. Die rassistischen Ex­zesse und Pogrome die dadurch losge­löst wurden und die sich vor­wiegend gegen weitgehend schutz­lose Minder­heiten richten, wurden und werden immer wieder ver­harmlost.


Das Versagen von Polizeien, Staatsanwaltschaften und Geheimdiensten bei der Auf­klärung der ras­sistischen Mord- und Anschlagsserie der rechtsterroristischen Gruppe NSU über 13 Jahren hinweg, bedarf insofern auch einer kriti­schen Betrachtung, liegen hier doch Hinweise vor, die Auf­schluss geben, wie es um die in­nere Verfassung dieser Behörden und ihrer Mitarbeiter steht. Mit ca. 50 Be­amten war die Sonder­kommis­sion „Bosporus“ eine der größten, die es je in Deutschland gegeben hatte. Zeit­weise waren in sieben Son­derkommissionen ca. 160 Beamte aus mehreren Bundesländern an der Fahn­dung be­tei­ligt. Die Ermittlungen waren darauf ausgerichtet, die Morde im Zu­sam­men­hang von or­ganisierter Kri­minalität im Drogenmilieu zu untersuchen und in der Presse wurde von „Türken-Ma­fia“ oder „Halb­mond-Mafia“ gesprochen, was seine Entspre­chung in Na­men der poli­zeilichen Son­derkom­missionen „Halb­mond“ bzw. ab Som­mer 2005 „Bosporus“ fand. Die Ermitt­lungen wurden dann in Rich­tung Waffen- oder Drogenhandel bzw. Spiel- oder Wett­schulden ge­lenkt und vor allem sollten Nach­weise ge­funden werden, die auf Zusammenhänge zwi­schen den Ermor­deten und Dro­gen­händlern aus den Nie­derlanden hinweisen sollten. Die Soko „Bosporus“ wurde zum 1. Februar 2008 aufge­löst. Die eher zufällige Aufdeckung der Gruppe „NSU“ zeigt deutlich, dass die bezahlten Infor­manten der Geheimdienste vollständig über­flüssig sind, da offen­sichtlich kein Informant einen sub­stanziellen Beitrag zu ihrer Aufdeckung geleistet hat.


In den deutschen Medien wurde die Mordserie als „Döner-Morde“ bzw. als „Mords­erie Bosporus“ abge­stempelt und z. B. haben Bild-Zeitung, Hamburger Abendblatt und Zweite(s) Deutsche(s) Fernsehen die rassistischen Vorstellungen ausgebreitet, die Aus­län­der wären letztlich selbst an den Morden verantwortlich gewesen.


Die rassisti­sche und neo-nazistische Musikgruppe „Gigi und die brau­nen Stadtmusi­kanten“ ver­öf­fentlichte 2009 ein Lied mit dem Titel „Döner-Killer“ in dem der Täter als rassistischer Auslän­der­hasser beschrieben wird, womit der Öffentlichkeit signali­siert wurde, welche Täter für die Mords­erie verantwortlich waren. 


Durch die Aufklärungsarbeit der Untersuchungsaus­schüsse im Bundestag und in den Landta­gen in Thüringen, Sachsen und Bayern ist deutlich geworden, wie Schlampereien und mangelnde Wahr­nehmungs­fähigkeit des Personals im Sicher­heits­ap­parat zu einem verleugnenden Verdrängen der Indizien führten, die auf die rassistische Motivation der Täter hingewiesen haben. Dazu kommt, dass der BMdI Otto Schily,  am 10. Juni 2004, einen Tag nach dem ver­hee­renden Bombenattentat in der Keupstraße in Köln, in einer öffentlichen Erklärung die in der Tagesschau gesendet wurde, eine ter­roristi­sche Dimension des Anschlags nicht nur ausschloss, sondern dass er die Auf­merk­samkeit der Ermittler auf das allgemeine kriminelle Milieu lenkte. Damit gab er eine falsche Rich­tung vor und be­stätigte gleichzeitig die be­reits seit Jahr­en bestehende fal­sche Ori­entierung der Sicherheitsbehör­den. Nach diesen Aussagen hat sich Schily nicht mehr öffentlich zu den rassisti­schen Vorgängen geäu­ßert. Im Untersuchungs­ausschuss des Bundestages zum „NSU“ er­klärte er, auf Fragen des Ab­ge­ordneten Wolfgang Wieland, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, ob, wie und was in sei­nem Ministerium zu diesem Thema danach gesprochen wurde. Dieses Schweigen Schilys kommt einem Verschweigen gleich, für dessen Gründe es bisher keinerlei Hin­weise gibt. Dass er für diese verleugnende Verharmlo­sung bisher nicht zur Re­chenschaft gezogen werden konnte, zeigt auf eine Schwäche der Anti-Rassisten in Deutschland hin.


Die Verbrechen der Gruppe „NSU“ haben die ver­heerenden Konse­quen­zen des Ver­drängens des Rassismus in den gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen plötz­lich of­fen gelegt. Das deut­sche ideologische Syndrom aus Nationalismus und Ras­sismus bzw. Anti-Semi­tismus ist nach 1945 nicht verschwunden. Nicht nur Anti-Se­mitismus sondern auch Nationa­lismus und Rassismus durf­ten öffentlich nicht stattfin­den, wucherten aber sowohl auf der gesell­schaftli­chen Ebene der All­tagskultur wie auch in der Form eines institutio­nellen Rassismus fort. Dieses verleugnende Ver­drän­gen bei staatlichen Behörden, Parteien und Medien hat Methode, es ist das fleischge­wor­dene Bedürfnis solche Themen und Ereignisse bis zur Unkenntlichmachung zu verdrängen.


Die neo-nazisti­schen bzw. rassistischen Einstellungen in weiten Teilen der deut­schen Gesellschaft erweisen sich als stabil und es zeigt sich deutlich, dass es sich um ein Problem handelt, dass allein durch Polizei oder Geheimdienst nicht zu lösen ist. Neo-nazistische Ein­stellungen sind in allen ge­sell­schaft­lichen Gruppen und in al­len Bundesländern gleichermaßen hoch. Die Ideo­logie der Un­gleichheit, wie sie von der NPD oder auch von der DVU seit den 1970er Jahren propa­giert wor­den ist, hat sich, mit Hilfe der herrschenden Politik, in der Mitte der deutschen Gesellschaft verbrei­tet. Bei diesem Po­tential be­steht das Risiko dabei insofern, ob und wann es für anti-de­mokratische und autori­täre Parteien oder Be­wegun­gen, auf der Straße oder an der Wahl­urne, ge­wonnen wird. Des­halb ist es von ele­mentarer Bedeu­tung, dass die, die sich gegen diese neue faschisti­sche Ge­fahr wehren, mit Inhalten eines emanzi­patorischen Anti-Fa­schismus aus­gestattet sind. 

Auf dem Hintergrund der politischen und ökonomischen Krise der deutschen Gesellschaft, drohen die rassistischen und nationalistischen Verhält­nisse zur bitteren Normalität zu werden. Der weitge­hend „un­gestörte“ Abbau so­zialer Rechte und Leistungen und die damit einher ge­hende systemati­sche Verschär­fung staatlicher Über­wa­chung und Repression sind Beleg da­für.[15] Weil die bisherigen Anstrengungen der Anti-Fa­schisten, als auch die ord­nungs­rechtli­che, staatliche Repression, nicht nur in kleinen Ge­meinden und im ländlichen Raum, nicht in der Lage sind, die rassistische Dyna­mik zu stop­pen, reicht es nicht den Kampf gegen die neuen Nazis nur verstärken zu wollen, er muss auf eine neue Ebene gehoben werden. Der von den herrschen­den Politikern verbreitete Rassismus und Nationalismus ist be­reits zu einem Massen­rassismus und –nationalismus ge­worden. Männliche Jugendli­che und Jung-Erwach­sene sind als Gewalttäter sichtbare Exponenten des Neo-Nazismus und ein starker Rückhalt geht für sie von dem breiten Konsens aus, der sich in großen Teilen der deut­schen Bevölke­rung festgesetzt hat. Um aus dieser Misere heraus treten zu können, muss der anti-fa­schisti­sche Kampf zu einer inhaltlichen Aus­einandersetzung erweitert werden, in der die ein­zelnen Teile der faschisti­schen Ideologie kritisiert und letztlich aufgehoben werden. Die Ab­gren­zung von den neuen Nazis muss inhaltlich bestimmt sein und darf nicht län­ger allein re­duziert wer­den allein auf die direkte Konfrontation der staat­lichen oder gesellschaftli­chen Kräfte. Die mittler­weile rituali­sierte Bekämpfung der Nazis mit Spe­zial­programmen ist, be­rück­sichtigen wir die hohen neo-fa­schisti­schen und rassisti­schen Werte, gescheitert. Das Sündenbock Schema ba­siert im Kern auf der Ideologie der Un­gleich­wertigkeit von Men­schen und festigt und le­gitimiert und formt den gewöhnlichen Alltags-Ras­sismus.


Jede Form von De­nunziation von Arbeitslo­sen, Armen oder Obdachlosen als zu faul, als nicht leis­tungsbereit oder die De­nunziation von Transferempfängern als Betrüger oder Schma­rot­zer, schafft ein Klima der Ungleichwertigkeit, das den Nährboden für neo-faschistische Ein­stel­lungen er­gibt. Solche Stigmatisierungen schaffen eine „Hackordnung“, an deren unterstem Ende sich Migranten wieder finden. Anti-Fa­schisten ­kämpfen für die Verwirklichung der Grund- und Men­schen­rechte von Migranten, Juden, Homo­sexuellen oder Ob­dachlo­sen, nicht nur weil sie Hu­manisten und De­mokraten sind, son­dern weil sie gegen alle anti-semitischen, rassistischen und autoritären Verhält­nisse und Einstellungen kämpfen – ob beim Staat, bei Islamisten oder auch bei Linken.[16]


Der neue Faschis­mus wird ein au­toritä­rer Staat sein, in dem jede Form von Widerstand und Oppo­sition im Keim er­stickt wer­den wird, wo es den Herrschenden allein darum ge­ht, die Demokratie als formales Ereignis zu prä­sen­tieren, gegen das ef­fektiv keine emanzi­patorische Verände­rung mehr mög­lich sein soll. Es rächt sich auf grausame Weise die verfehlte De-Na­zifizie­rung, die in Wahr­heit eine Re-Na­zifzie­rung zum In­halt hatte. Der große Frieden, der in bei­den deut­schen Staaten mit Ras­sisten und Anti-Semiten ge­schlossen wurde, war ein fauler Friede und die bitteren Früchte dieser weiteren histori­schen Nie­derlage gehen in der Gegen­wart auf. Rückbli­ckend auf beide deut­schen Staa­ten und Gesell­schaf­ten zeigt die Ent­wick­lung des Neo-Nazismus deut­lich, dass beim histori­schen Wissen über massenpsycho­lo­gi­sche Ur­sachen und Folge­wirkun­gen des deut­schen Faschis­mus, Erkenntnisdefi­zite konsta­tiert werden müs­sen. Es braucht einen neuen Anti-Fa­schismus, der mit dem Kampf für konkrete sozia­lis­ti­sche und demokrati­sche In­halte und For­men verknüpft ist. Der Kampf ist unaus­weich­lich, weil Nazis, einmal an der Macht, das kapi­ta­listische Aus­beutungsre­gime radi­kali­sie­ren und ihre Gegner eliminieren. Nazis werden aber auch des­halb be­kämpft, nicht nur weil sie sich mit ih­rem Hass auf Migran­ten oder Juden als anti-humanis­tisch er­weisen, son­dern weil sie welt­weit, nach Innen wie nach Außen, für Gewalt und Krieg stehen. Für Herbert Marcuse, den revolutionä­ren Philo­sophen der Emanzipation, war es völ­lig klar, dass es im Kampf gegen den Neo-Fa­schismus darum gehen muss, die be­ste­hende bür­gerli­che Demo­kra­tie als klei­neres Übel, für eine Chance des Über­gangs zum Sozia­lismus, zu verteidigen, wäh­rend zugleich die kapitalisti­schen Funda­mente ange­grif­fen werden. Anti-Faschisten müs­sen also die politischen Formen des Kapi­ta­lismus von sei­nen ökonomi­schen Strukturen tren­nen. Diese Trennung wird durch das dialekti­sche Ver­hältnis von Form und Inhalt ermög­licht.[17] Um an dieser strategi­schen Orientierung ent­lang den anti-fa­schisti­schen Kampf ef­fek­tiv, d. h. siegreich führen zu können, braucht es ei­nen Zusammen­schluss hinter ei­ner ge­meinsamen Front der Anti-Faschisten. Sie kann, nach den augenfälligen histo­ri­schen Er­fahrun­gen, nur eine hori­zontale und dezentrale Organi­sie­rung sein, denn die Auf­ga­ben der Or­ganisierung ha­ben sich verändert. Heute verfügen wir über eine Menge an Informati­o­nen, die alle mehr oder weni­ger emanzipatorische Kampf­gedanken bein­hal­ten, und uns allen durch das In­ternet zu­gänglich sind. Subjekt der radikalen Verän­derung kann weder eine ein­zige soziale Schicht des Proletariats, noch eine feste geschlossene Organisa­tion sein. Der Begriff der Partei ist vom Netzwerk-Begriff ersetzt wor­den. Die Partei war ein Mittel zur Kom­muni­kation, und sie be­nö­tigte eine Meta-Sprache, d. h. eine Ideologie. Wir brauchen heute weder eine Ideo­logie noch eine Partei und schon gar keine Theoretiker oder Führer. Das Thema ist Selbstausbil­dung und Selbstbe­stim­mung.[18]



 

[1] Vgl. Der Tagesspiegel v. 14.09.2007; Frank Jansen: Ministerium korrigiert Polizei, in: Der Tagesspiegel v. 15.09.2007.

[2] Vgl. Der Tagesspiegel v. 15.09.07 und v. 16.09.07, hier werden in zwei Beiträgen noch weitere sexistische, und geschichtsrevisionistische „Ausrutscher“ dokumentiert. 

[3] Frank Jansen: Hoher Beamter der Regierung rechtsextrem, in: Der Tagesspiegel v. 18.09.2007.

[4] Vgl. Harry Waibel: Kritik des Anti-Semitismus, in: www.stiftung-sozialgeschichte.de.

[5] Vgl. Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus, Bonn 1996; Vgl. Harry Waibel: Rassisten in Deutschland, Frankfurt/M. 2012.

[6] Vgl. Angaben der Agentur der EU für Grundrechte. http://fra.europa.eu.

[7] Statistische Angaben seit 1990. Diese Erhebung, die ich selbst angefertigt habe, ist das Ergebnis einer Addi­tion der offiziellen Zahlen, die in jährlichen Berichten des BMdI veröffentlicht werden.

[8] Vgl. Wanderausstellung - Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland.

[9] Vgl. Angaben der Agentur der EU für Grundrechte. http://fra.europa.eu.

[10] Andreas Speit: Ob Ost, ob West …, in: jungle World Nr. 35 v. 30.08.2007, S. 4.

[11] Volkssolidarität Bundesverband e.V.: Sozialre­port 2006 – Daten und Fakten zur sozi­alen Lage in den neuen Bun­desländern - Sozialwissen­schaftliches For­schungszent­rum Berlin-Brandenburg e.V., Berlin - Dezember 2006.

[12] Michael Edinger/Andreas Hallermann/Karl Schmitt: Politische Kultur im Freistaat Thüringen – Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2006.

[13] Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin (Hrsgg.), Oliver Decker und Elmar Brähler unter Mitarbeit von Norman Geißler: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland, Berlin, 2006.

[14] Heike Kleffner: „Köpfe, Straße, Parlament“, in: Konkret Heft Nr. 9 / September 2007, S. 12-15.

[15] Lothar Galow-Bergemann: Knobelbecher und Sandalen, in: Konkret Heft 9 / September 2007, S. 20-21.

[16] Ivo Bozic: Knapp vorbei ist auch daneben, in: jungle World Nr. 35 v. 30.08.08.

[17] Herbert Marcuse: Das historische Schicksal der bürgerlichen Demokratie, in: Nachgelassene Schriften. Das Schicksal der bürgerlichen Demokratie, Lüneburg 1999, S. 163f.

[18] Vgl. Sergio Bologna: Die Rolle der Theorie in der politischen Aktion, in: jour fixe initiative berlin (Hg.): Klassen und Kämpfe, Berlin, Mai 2006, S. 58.