/Über 2.000 angestellte LehrerInnen in Berlin beteiligten sich am Dienstag am Warnstreik für bessere Entlohnung
"Es hört sich vielleicht absurd an, aber wir streiken eigentlich für die Schüler." Thomas Baumann, Lehrer am Französischen Gymnasium in Berlin-Mitte, ist einer von über 2.000 angestellten LehrerInnen in Berlin, die am Dienstag die Klassenzimmer verließen und sich an einem Warnstreik beteiligten, um Gleichstellung mit ihren verbeamteten KollegInnen zu fordern. Es war der 13. Streiktag in den letzten zehn Monaten – was für SchülerInnen und Eltern immer wieder Belastungen bedeutete. Doch am Französischen Gymnasium haben die Streikenden bei den Elternabenden und mit der GesamtschülerInnenvertretung viel Aufklärungsarbeit geleistet. "Wir streiken nicht, um Kaffee zu trinken", erklärt Baumann und weist auf den grauen Himmel und den kalten Nieselregen – da wäre jeder Mensch tatsächlich lieber im Unterricht. Die SchülerInnen und Eltern an seiner Schule haben dadurch viel Verständnis, sagt der Englisch- und Italienischlehrer.
Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) bleibt allerdings stur: Die Forderungen der LehrerInnen seien nicht an den Berliner Senat, sondern an die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) zu richten, so seine Argumentation. "Verstecken sie sich nicht hinter der TdL, Herr Nußbaum!" rief Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin, als die LehrerInnen mit Regenschirmen und Trillerpfeifen die Abschlusskundgebung am Potsdamer Platz erreichten. Sie erinnerte daran, daß die TdL die GEW schon sieben Jahre lang hinhalte, ohne je ein ernsthaftes Angebot für eine bundesweite tarifliche Regelung unterbreitet zu haben. Deswegen wende man sich jetzt an die Berliner Regierung.
In einem Sternmarsch ging es von drei verschiedenen Punkten aus zur Abschlusskundgebung des Streiks. Trotz des schlechten Wetters und der Diskussionsverweigerung der Gegenseite ist kein bisschen Resignation zu spüren. "Das wird noch eine Weile dauern", so ein Grundschullehrer, der anonym bleiben möchte. "Die wollen das aussitzen, aber es werden immer mehr Angestellte, und andere Bundesländer werden auch noch mitziehen." Eine andere ergänzt: "Die Frage ist, ob die GEW nun einen Erzwingungsstreik wagt."
Es geht aber nicht nur um Geld. Der häufigste Spruch auf selbstgemachten Plakaten lautet: "Gleiches Geld für gleiche Arbeit!" Den meist jungen LehrerInnen geht es ums Prinzip. "Viele reduzieren die Streiks auf das Geld", so Nadine Lukanek, Lehrerin an einer Grundschule in Berlin-Schöneweide. "Sie sagen dann, dass Lehrer genug verdienen." Die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) spricht in der Presse von einem Einstiegsgehalt für Lehrer von 4.700 Euro – aber an einer Grundschule sind es sowieso 800 Euro weniger. Um Unterstützung der Eltern zu gewinnen, verteilt die GEW Briefe. Aber ihren achtjährigen SchülerInnen musste Lukanek den Hintergrund des Arbeitskampfes selbst erklären: "Ich habe gesagt, daß ich einen Chef habe und daß er mich anders bezahlt und anders behandelt als andere Lehrer. Die Kleinen waren schon empört", berichtet die Lehrerin mit Schwerpunkt Deutsch und Sport.
Noch haben die BeamtInnen nicht mitgestreikt, obwohl sie auch von Arbeitszeitverlängerung betroffen sind. Durch das europäische Recht gibt es jetzt juristische Möglichkeiten für Beamtenstreiks. "Weniger nachvollziehbar" als die vorangegangenen fand hingegen Leonie Mader vom LandesschülerInnenausschuss den Streik vom Dienstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Fraglich ist, ob die Gymnasiastin, die schon vergangene Streiks der LehrerInnen abgelehnt hatte, für mehr SchülerInnen als sich selbst spricht. Auf der Demonstration schlugen andere SchülerInnen mit einem Flyer eine gemeinsame Versammlung mit den LehrerInnen vor dem nächsten Streik am 21. Oktober vor. Ganz am Ende der Versammlung gab es auch einen kurzen Aufruf zur Solidarität mit den Protesten der LehrerInnen in Mexiko.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt am 25.9.