Wenn Deutschland feiert, und dabei immer auch sich selbst feiert, dann kann man sich erinnert fühlen an einen Buchtitel von 1990 zur Wiedervereinigung: „Zusammen sind wir unausstehlich.“ Was genau steht an? »Der Tag der Deutschen Einheit wird 2013 in der Landeshauptstadt Stuttgart gefeiert. Im Fokus der Öffentlichkeit steht bei den zentralen Feierlichkeiten am 2. und 3. Oktober 2013 das zweitägige Bürgerfest für die ganze Familie.« (Regierungs-Aufruf zum 3. Okt.) Zwei Tage Familienfest, an welchen Deutschland sich einfach mal als einig feierndes Kollektiv in Szene setzt, damit es im Rest des Jahres wieder zugeht wie im harten Alltag: Du bist Deutschland.
Die Einladung, »die einzigartige Entwicklung Deutschlands« (Kretschmann) kräftig zu feiern, lehnen wir dankend ab. Es gibt für uns handfeste Gründe, dieses Land nicht zu lieben – z.B.: Menschen ertrinken im Mittelmeer, weil europäische Grenzen nur durchlässig sind für Menschen, die als nützlich eingestuft werden. Aber auch Einwanderer*innen, die in Deutschland angekommen sind, werden – einschließlich ihrer Kinder und Enkel – unter den Kriterien nützlich/unnütz und loyal/illoyal einer rigiden Integrationspolitik unterworfen. Gleichzeitig schützen „aufrechte Deutsche“ ihren Kinderspielplatz mit Zäunen gegen Flüchtlingskinder oder gründen rassistische Bürgerinitiativen, um Asylbewerber*innenheime in ihrer Nachbarschaft zu verhindern.
Sicherlich mag so manche*r links-liberale*r Bildungsbürger*in pikiert auf das aggressive Auftreten seiner Landsleute in solchen Fällen reagieren, dass aber „wir“ „nicht jeden aufnehmen“ können und „die“ „schon ja auch oft kriminell sind“, ist breiter gesellschaftlicher Konsens, der sich eben auch je nach sozialem Kontext unterschiedlich artikuliert.
In welchem Verhältnis stehen der Rassismus von oben und der von unten zueinander?
Warum halten Leute aus der sog. „Mitte der Gesellschaft“ ausgerechnet Einwanderer*innen für ihre größten Feinde?
Merkel versprach: Deutschland soll gestärkt aus der Krise herauskommen. Mit Niedriglohnsektor, Leiharbeit, Streichung von Sozialleistungen und einer EU-weit durchgesetzten „Sparpolitik“ sichert die deutsche Regierung dem deutschen Kapital Exporterfolge und Krisengewinne auf Kosten derer, die diesen Reichtum erzeugen.
Warum erschüttert diese Standortpolitik die Vaterlandsliebe der großen Mehrheit in keiner Weise?
»Bei dieser für Besucherinnen und Besucher kostenlosen Veranstaltung in der Stuttgarter Innenstadt stellen sich die höchsten Verfassungsorgane des Bundes, alle Bundesländer sowie das Land Baden-Württemberg als Gastgeber mit seinen Unternehmen, Verbänden und Organisationen vor.
Unter dem Motto „Heimat trifft Vielfalt“ stellen die Regionen des Landes Baden-Württemberg ihre touristischen und kulinarischen Besonderheiten vor und bringen das für sie typische Lebensgefühl mit nach Stuttgart.«
Ganz genau wissen möchte man ja gar nicht, was das typische Lebensgefühl jener stolzen Baden-Württemberger*innen ist, welche dieses Jahr das Bürgerfest für die ganze deutsche Familie organisieren. Jedenfalls haben sie offenbar einiges zu feiern: Vorbei die schmachvolle Zeit als Deutschland noch im Plural existierte. Noch länger vorbei die Zeit, als die Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches in West-Deutschland noch von der Wiederbewaffnung träumten. So lange schon vorbei, dass es fast vergessen ist – Nationalsozialismus und industrieller Massenmord. Aber gerne erinnert uns die Regierung mahnend an die deutsche Vergangenheit.
Denn schon lange führt das vereinigte Deutschland nicht trotz, sondern wegen Auschwitz Kriege. Deutschland verdrängt seine braune Vergangenheit nicht, sondern baut seinen neuen Nationalismus gerade in seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus auf: „Nie wieder…!“ wird zur Legitimation eines durch das Schuldbekenntnis geläuterten deutschen Imperialismus in der Welt: Das deutsche Kapital betreibt seine Bereicherung auf dem Weltmarkt und in Euro-Land als „Hilfe“ für die niederkonkurrierten Standorte. Bundeswehrsoldat*innen „verhinderten ein neues Treblinka“ in Jugoslawien und „befreien die Frauen“ in Afghanistan.
Auschwitz wurde zur Schule des neuen Deutschen Volkes, das, so könnte es heute fast scheinen, sechs Millionen Juden eigentlich nur vergast hat, um daraus zu lernen, dass es sich nicht gehört. So hat heute Deutschland auf Grund von Auschwitz eine ganz besondere Verantwortung, der es gerne in der Welt nachkommt: Egal ob in Afghanistan, am Horn von Afrika oder an der syrischen Grenze in der Türkei. Die Lektion scheint gelernt: Nie wieder Krieg, wenn Deutschland ihn nicht gewinnt.
»Gemeinsam erfolgreich für Deutschland« ist der Titel des Regierungsprogramms der CDU 2013 bis 2017. »Eines steht dabei fest: Gemeinsam wird es uns gelingen, das Beste aus Deutschland zu machen«, verspricht Angela Merkel. Und Spiegel, Bild & Co. fragen kritisch: Wird sie das auch schaffen? Die Opposition höhnt derweil: Das schaffen sie nie! Dass allerdings Deutschland vorankommen muss, wird von allen Parteien und Zeitungen einhellig bejaht. Schließlich seien wir ja Deutschland, und besonders in Zeiten der Krise müssen „wir alle“ zusammenstehen. Dieser nationale Konsens zieht sich dabei quer durch die Parteienlandschaft und reicht von Arbeitgeber*innenverbänden bis hin zu Gewerkschaften. Die Notwendigkeit, für Standort und Nation Opfer zu erbringen, leuchtet vielen ein, und so ist man auch bereit, den Gürtel enger zu schnallen, weil behauptet und geglaubt wird, der Wohlstand sei nur durch Verzicht zu sichern.
Warum und wie funktioniert die nationalistische Verarbeitung dieser Verhältnisse?
Auf unserer zweitägigen Konferenz wollen wir neben den oben aufgeworfenen Fragen klären:
Warum hat der Nationalismus ausgerechnet in der Krise Konjunktur?
Warum ist der Nationalismus auch für jene ein attraktives Konzept, die doch aus Sicht der Linken ein objektives Interesse haben müssten, sich gegen die Verhältnisse zu erheben?
Warum zeigt sich nationalistische Ideologie so unglaublich resistent gegenüber rationalen Argumenten?
Wie sind der gegenwärtige deutsche Nationalismus, sowie gegenwärtige Vergangenheits- und Gedenkdiskurse zu bewerten und kritisieren?
Warum werfen Menschen, die als Arbeitende von ihrem Lohn nur schlecht leben können, und Menschen, die als Arbeitslose mit Hartz IV drangsaliert werden, der Regierung „Schwäche“ gegen sog. „Abgreifer“ im Inland sowie Willfährigkeit gegen Ansprüche aus dem Ausland vor und fordern einen „starken Staat“ als Retter?
Wir laden dazu ein, diese und andere Fragen am 4. und 5. Oktober in Stuttgart mit uns zu diskutieren.
Podien:
Samstag: Eurokrise & Nationalismus