Im Zweifel gilt der Rechtsstaat auch für Rechte

Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe
Erstveröffentlicht: 
29.07.2013

Die Anfeindungen gegen die Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm offenbaren ein fundamentales Missverständnis. Anwälte verteidigen die Rechtsordnung, nicht Motive und Weltanschauung ihrer Mandanten. Von Torsten Krauel
Droht der "Kampf gegen Rechts" zu einem Kampf gegen das Recht zu werden? Das Bundesverfassungsgericht hegt schon länger diesen Verdacht. Es tut das nicht aus Sympathie für neonazistische Ziele. Sondern weil es den Eindruck gewinnt, aus moralischen und politischen Erwägungen würden Rechtsgrundsätze je nach Gusto beachtet oder ignoriert. Die nun bekannt gewordenen Vorgänge um die Verteidigerin von Beate Zschäpe passen in dieses durchaus beunruhigende Bild.

 

Die Verteidigung in einem Strafverfahren ist kein Grundrecht wie in Amerika. Verteidiger zu bestellen ist auch keine Staatsbürgerpflicht. Aber Paragraf 140 der Strafprozessordnung macht den Beistand von Angeklagten durch eine Verteidigung unter bestimmten Bedingungen zur Voraussetzung eines fairen Verfahrens. Alle dort genannten Punkte treffen auf Beate Zschäpe zu.

Die Verteidigung von Angeklagten ist nicht gleichbedeutend mit der Verteidigung ihrer Taten, ihrer Motive oder ihrer Weltanschauung. Dieses verbreitete Missverständnis, das teilweise schon in der deutschen Sprache und ihrer doppeldeutigen Begrifflichkeit Nahrung findet, scheint aber in Berliner Anwaltskreisen eine erhebliche Wirkung zu haben.

Die Verteidigung von Neonazis gehört sich nicht?

Anja Sturm, eine der drei Verteidiger Zschäpes, hat den Eindruck gewonnen, in ihrer eigenen Kanzlei mit diesem Missverständnis konfrontiert zu sein. Sie hat in keiner anderen Berliner Kanzlei Fürsprecher gefunden, als sie einen neuen Arbeitsplatz suchte. Ihre Bewerbung für den Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger scheint auch wegen ihrer Übernahme des Zschäpe-Mandats gescheitert zu sein, in einigen Fällen unter Verweis darauf, dass sich die Verteidigung von Neonazis nicht gehöre.

Das alles ist keine Petitesse. Es ist ein Indiz dafür, dass manche Anwälte unter einem von ihnen so empfundenen Meinungsdruck lieber einen Pfeiler der Rechtsordnung preisgeben, als sich dem Meinungsdruck zu stellen. Der Seniorpartner der Kanzlei, in der Anja Sturm bisher tätig war, hat unter anderem DDR-Angeklagte verteidigt, die als Mauerschützen oder deren Befehlsgeber vor Gericht standen.

Das war keine leichte Aufgabe. Man wundert sich, dass nun die menschlich, moralisch, politisch und rechtlich zweifellos komplizierte Übernahme des Mandats, für einen fairen Prozess gegen Beate Zschäpe zu sorgen, die Berufsehre, die dienstliche und offenbar in manchem Fall auch die private Belastungsgrenze dieser Kanzlei übersteigen soll. Die Taten des sogenannten NSU waren von beispielloser Heimtücke. Aber vor Gericht sind in strafprozessualer Hinsicht alle Angeklagten gleich.

RAF-Anwälte wurden selbst zu Berühmtheiten

Als die Alliierten ab 1946 den NS-Tätern den Prozess machten, bekamen die Täter selbstverständlich Verteidiger zur Seite gestellt. Dasselbe geschah mit allen seither in Deutschland stattgefundenen Verfahren, deren Bedeutung eine Verteidigung notwendig machte. Die Anwälte der RAF-Terroristen wurden selber zu Berühmtheiten.

Unter anderem wurden sie es deshalb, weil einige von ihnen das Verteidigerprinzip infrage stellten, nur die Fairness des Prozesses, nicht aber die Taten und die Weltanschauung der Angeklagten zur Leitschnur ihres Handelns zu machen.

Einige RAF-Anwälte konspirierten mit den Angeklagten, manchmal taten sie es sogar mit kaum verhohlener politischer Sympathie. Ihre Haltung hat dazu geführt, dass dem Paragrafen 140 der Strafprozessordnung einige für einen freien Rechtsstaat eigentlich sehr problematische Paragrafen über die Einschränkung des Anwaltsprivilegs vorangeschaltet wurden.

Die willentliche Verwechslung von rechtlicher mit inhaltlicher Verteidigung, die Interpretation der Berufsbezeichnung "Anwalt" als eines Anwalts der Sache statt der Rechtsordnung hat sehr dazu beigetragen, dass heute die Verteidigung einer bislang mutmaßlichen Rechtsterroristin von manchen Strafverteidigern als politische Parteinahme denunziert wird.

Ja, denunziert, auch wenn der Begriff mit Sicherheit weit von sich gewiesen würde. Aber wenn die Verteidigung von Menschen, die aus ideologischen Motiven Banker und Richter ermordet haben, sehr viel hinnehmbarer sein soll als die Verteidigung eines Menschen, der womöglich an der ideologisch motivierten Ermordung von türkischen und griechischen Ladenbesitzern und einer Polizistin beteiligt war – was sagt das dann juristisch aus?

Wichtig ist ein fairer Prozess und gleiches Recht für alle

Es besagt nicht, dass die einen Opfer moralisch mehr wert gewesen seien als die anderen. Solche Kategorien gelten weder für die Aufgabe der Strafverteidigung noch überhaupt für einen Rechtsstaat. Die Angriffe auf Anja Sturm besagen nur eines, das aber sehr deutlich: Eine Reihe von Anwälten verkennt die Grundlage des eigenen Berufsbildes – für einen fairen Prozess zu sorgen, damit gleiches Recht für alle gewährleistet ist.

Keine Kanzlei ist zur Übernahme bestimmter Mandate verpflichtet. Aber eine gesetzlich verankerte Aufgabe grundsätzlich nur dann wahrzunehmen, wenn diese Aufgabe mit persönlichen politischen Präferenzen oder privaten Ansichten vereinbar ist, öffnet eine Tür zur Willkür. Dann bekämen eine große Anzahl Angeklagter keine Verteidiger mehr, und dann würde auch in anderen rechtlichen Bereichen der eherne Grundsatz "Gleiches Recht für alle" durchbrochen werden.

Das ist keine bloße Theorie. Ein Staat, der aus gutem Grund gleiches Recht für alle postuliert, kann dieses Prinzip nur dann durchhalten, wenn es genügend Juristen gibt, die als Verteidiger, Richter oder Staatsanwalt Form und Inhalt nicht miteinander verwechseln.

RAF-Verteidiger haben es in den Bundestag und ins Bundeskabinett geschafft. Selbstverständlich, warum nicht. Anja Sturm hat mit zwei Kollegen die schwerste Verteidigeraufgabe seit den Stammheimer Prozessen übernommen. Und sie soll nun in Anwaltskreisen einer Hauptstadt, deren Politiker und Juristen gleiches Recht für alle durchsetzen sollen, als Aussätzige gelten?

Eher hätte sie das Bundesverdienstkreuz verdient. Diejenigen hingegen, die sich vor ihr und ihrem Mandat wegducken möchten, mögen sich fragen, was sie eigentlich täten, wenn wirklich einmal politischer Druck auf sie ausgeübt würde. Man ist geneigt zu fürchten: Solche Anwälte wären den Deutschen dann keine große Hilfe.