Schwarz gekleidet, fröhlich trauernd gingen am Mittwoch Abend knapp zwanzig Gespenster um in der Lausitzer Stadt. Getrauert wurde um die zerstörte Umwelt und die geräumten Dörfer im Lausitzer Braunkohlerevier. Gefeiert wurde der lokale Widerstand und die Vision einer Gesellschaft, die ohne die Zerstörung von Mensch und Umwelt auskommt.
Dieser Trauer wurde insbesondere durch Verlesung folgender Trauerrede Ausdruck verliehen:
Hier liegt sie - lasst sie ruhen, hier ruht sie, lasst sie liegen.
Wir haben uns heute hier versammelt und der Grund für unsere feierliche Versammlung ist etwas verrückt: Wir wollen nämlich etwas beerdigen, was doch schon im Boden liegt - Gemeint sind die Überreste riesiger vergangener Ökosysteme, die als Kohle, als fossiler Rohstoff, ausgebuddelt und als Brennmaterial verwendet werden sollen, um elektrischen Strom zu produzieren. Diese Überreste wollen wir im Boden liegen lassen und die Pläne, sie auszubuddeln, wollen wir beerdigen, denn aus unserer Sicht strahlen diese Pläne die Kälte des Todes aus und gehören genau so in die Erde wie Vampire und andere Untote aus der Fabelwelt bzw. dem Splatter-Genre.
Wenn wir die Kohle beerdigen, meinen wir mit "beerdigen" aber auch "Erdwerdung". Wir wollen die Kohle nämlich nicht mehr als zu fördernden Rohstoff sehen, sondern als einen Teil der ganz konkreten Erde, auf der wir herumlaufen, herumfahren, Häuser bauen oder Gemüse pflanzen.
Hierzu eine Nebenbemerkung: Einige von uns verkokeln Holzreste, um neue Kohle zu gewinnen - Holzkohle, die in der Erde verbracht werden soll, um das Treibhausgas Kohlendioxid dauerhaft zu binden und um wie die alten Völker im Amazonasgebiet dauerhaft fruchtbaren Boden zu erhalten, der Terra Preta genannt wird. Dieses Vorgehen mag verdeutlichen, wir ernst wir es damit meinen, die Kohle zu beerdigen, und wie wenig wir an den Plänen festhalten wollen, die Kohle als Rohstoff ans Tageslicht zu befördern.
Die Beerdigung der Kohle und die Beerdigung der Pläne, die Kohle auszugraben, hängt mit einer weiteren Beerdigung zusammen, das ist ganz ehrlich zu sagen: Der Beerdigung einer Kultur, die darauf beruht, überall in der Welt im Boden lagernde Schätze zutagezufördern. Die Rede ist von einer Kultur des Bergbaus. Unsere Feier ist somit auch eine Trauerfeier.
Unter den Klängen von experimenteller Katzenjammer-Musik (Sägen, Mundharmonikas und Papptrommeln waren dabei nicht ganz unbeteiligt) sowie beschwingter Protestlieder legten die bunt, schwarz oder auch anders gekleideten Aktivist*innen an einem Kreisverkehr mit Bergwerkszeichen Grablichter nieder. „Hier möge sie in Frieden ruhen – unsere Braunkohle“ war das Motto des Trauermarsches. Schließlich halten es die Trauernden und eine wachsende Zahl von Bewohner*innen für erstrebenswert, dass die Braunkohle unter Welzow und anderen Orten im Einzugsgebiet des geplanten Tagebaus Welzow II dort bleibt und nicht samt der darauf stehenden Gebäude abgebaggert wird.
Verantwortlich für einen großen Teil der europäischen CO2-Emissionen, für die Zerstörung intakter Ökosysteme, die Verschmutzung der Spree und anderer Flüsse, die Umsiedlung und Vernichtung von inzwischen 138 Orten mit über 30.000 Einwohner*innen, die Blockade erneuerbarer Energien (für den Tagebau Welzow II sollen unter anderem große Photovoltaikanlagen und ein Biomassekraftwerk abgerissen werden) und weitere soziale, ökologische und wirtschaftliche Schäden gibt das Lausitzer Braunkohlerevier reichlich Anlass zum Trauern.
Doch der bunte Welzower Trauermarsch ist auch ein Anlass für Hoffnung. Die Hoffnung, dass der Tagebau Welzow II noch verhindert wird, dass sich noch mehr Menschen gegen die Zerstörung von Wäldern, Wiesen und Feldern wehren. Die Trauernden sehen ihren Trauermarsch weniger als Zeichen der Resignation und mehr als Teil der vielen Kämpfe, die in der Region gegen Vattenfall und die kohlefreundliche Politik der brandenburgischen und sächsischen Landesregierungen geführt werden.
Den Trauernden liegt insbesondere das Lausitzer Energie- und Klimacamp 2013 in Proschim am Herzen, welches inzwischen bereits wieder vorbei ist und ein wichtiger Ort des Austauschs zwischen örtlichem Widerstand und Umweltbewegten aus ganz Deutschland war.
Getrauert wurde allerdings auch aufgrund der Tatsache, dass die Lausitz nicht die einzige Region Deutschlands voller Mondlandschaften, künstlichen Seen, Bergschäden ist. Auch zwischen Köln und Aachen sowie zwischen Halle und Leipzig wird fleißig an der Zerstörung von Umwelt und Mensch gebaggert. So bedroht der Tagebau Hambach im rheinischen Braunkohlerevier auch die letzten Überbleibsel des Urwaldes Hambacher Forst. Seit zwei Jahren versuchen nun Aktivist*innen die Abholzung dieses einzigartigen Waldes mit einer Besetzung zu verhindern. Und während die Trauernden von Welzow diesen Widerstand feiern, trauern sie gleichzeitig darum, dass dieser Widerstand überhaupt notwendig ist.
Daher halten es die Trauernden für notwendig, auch diesen Widerstand zu unterstützen. Kommt deshalb zum Klimacamp im Rheinland, unterstützt die Waldbesetzung im Hambacher Forst oder begleitet die Reclaim-Power-Tour auf ihrem Weg vom Lausitz- zum Rheinlandcamp! Stopp Kohle! Stopp Vattenfall! Stopp Mibrag! Stopp RWE!