Vortrag nur nach Gesinnungs-TÜV

Erstveröffentlicht: 
08.07.2013

Waren Sie mal in der Linkspartei? Ein taz-Autor will an einer Schule einen Vortrag halten. Und macht Erfahrungen mit dem Wissensdurst bayerischer Behörden. Von Stefan Reinecke

 

BERLIN taz | Andreas Zumach soll am 10. Juli in einer Schule im bayerischen Lindau einen Vortrag halten. Thema: der Nahe Osten und die Revolten in den arabischen Ländern. Der Journalist, seit Jahren Korrespondent dieser Zeitung in Genf, sagte zu und bekam den Honorarvertrag zugesandt. Das übliche bürokratische Verfahren, dachte Zumach, keine große Sache.

 

Er staunte allerdings sehr, als er den umfangreichen Anhang zum Vertrag las. Denn dort galt es zu versichern, dass der Referent bereit ist, sich „jederzeit durch sein Verhalten zu der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Einhaltung einzutreten“. Bei einem „Verstoß gegen diese Pflicht“ droht die fristlose Beendigung des Einsatzes.

 

Was das konkret heißt, offenbart der anhängige „Fragenbogen zur Verfassungstreue“. Denn dort muss der Referent klipp und klar erklären, ob er Mitglied in einer „extremistischen Organisation“ war oder ist. Damit kein Zweifel bleibt, was in Bayern alles so als extremistisch gilt, ist ein vierseitiges Papier angehängt. In ihm wird in kleinen Buchstaben aufgelistet, wer für einen Vortrag in einer bayerischen Schule nicht in Betracht kommt. Neben der NPD und Scientology findet sich unter der Rubrik Linksextremismus neben „München gegen Krieg“ und der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN“ auch die Linkspartei.

 

Die Linkspartei regiert derzeit in Brandenburg mit der SPD. In Berlin stellte sie mehr als zehn Jahre lang Senatoren, in Mecklenburg-Vorpommern Minister. In Schwerin und Berlin darf man als GenossIn Gesundheitssenatorin oder Finanzminister werden. In Bayern hingegen ist dieses Parteibuch (auch wenn man es nicht mehr hat) ein unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zu einem Honorarvertrag.

 

Unangenehme Angelegenheit

Dem Valentin-Heider-Gymnasium in Lindau, das Zumach einlud, ist die Angelegenheit unangenehm. Ein beteiligter Lehrer bedauert, dass man die Referenten überhaupt mit diesen Fragebogen behelligen muss. Der stellvertretende Rektor Heinz Horwarth hält die Maßnahme bei Scientology-Mitgliedern für sinnvoll, manch andere Ausschlusskriterien für unverständlich. Die Schule führe aber „nur aus, was das Kultusministerium will“. Das Valentin-Heider-Gymnasium ist Mitglied von „Schule ohne Rassismus“ und, so das Selbstverständnis, den Werten „Freiheit, Selbstbestimmung und Toleranz“ verbunden.

 

Das bayerische Kultusministerium versichert auf Nachfrage, dass der Gesinnungs-TÜV bei Honorarverträgen „ungewöhnlich“ sei. Eine Vorgabe des CSU-geführten Ministeriums für Honorarverträge existiere nicht, erklärt der Vizepressesprecher. „Ein Schulleiter kann das aber machen“, so die Auskunft. Klar sei die Lage, wenn es um eine Anstellung und nicht einen kurzzeitigen Honorarvertrag geht: Dann müsse natürlich der „Fragenbogen zur Verfassungstreue“ ordnungsgemäß ausgefüllt werden. Im Klartext: Sahra Wagenknecht oder Katja Kipping könnten in Bayern nicht Lehrerinnen werden. Beamtinnen sowieso nicht.

 

Das Valentin-Heider-Gymnasium möchte die Sache im Konkreten nicht auf sich sitzen lassen. Die Schule verweist auf die sogenannten KMW-Blätter. Dort findet sich die berüchtigte Erklärung zur Verfassungstreue, verknüpft mit der ministerielle Anweisung: „Diese Erklärungen sind vor dem Einsatz an der Schule von der Honorarkraft auszufüllen und an der Schule zu verwahren.“

 

Kurzum: Entweder kennt das bayerische Kultusministerium die eigene Anweisungen nicht. Oder diese sind ihm so peinlich, dass man sie nicht an die große Glocke hängen will. Dass Wagenknecht oder Kipping in Bayern noch nicht mal einen Vortrag in einer Schule halten dürften, macht in der Tat keinen weltläufigen Eindruck.

 

Für Zumach ist klar: Den „Fragebogen zur Verfassungstreue“ wird er nicht ausfüllen.