Nach 10 Jahren Abstinenz und diversen Austragungsorten im ganzen Balkan (z. B. Sofia, Thessaloniki, Skopje) kehrte die Balkan Anarchist Bookfair (BAB) wieder zu ihrem Ursprungsort, der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, zurück. Eine Stadt, die trotz ihrer geringen Größe einiges zu bieten hat. Es gibt mehrere Guerilla-Gardening-Projekte, den Squat Tovarna Rog, der unter anderem einen Skatepark und eine Fahrradwerkstatt beherbergt, sowie das alternative Kulturzentrum Metelkova.
Auf dem ehemaligen Militärgelände am Rand des Stadtzentrums haben diverse Bars, Clubs, Ateliers und der anarchistische Infoladen eine Bleibe gefunden – der perfekte Platz für die BAB.
So kam es, dass am letzten Maiwochenende etwa 150 Anarchist*innen aus ganz Europa sowie vielleicht ebenso viele aus Slowenien selbst Metelkova bevölkerten. Von Schweden bis Italien, England bis Bulgarien waren die Teilnehmer*innen angereist, um sich auszutauschen, zu vernetzen und natürlich zum Bücher anbieten, angucken und mitnehmen. Es waren etwa 20 Verlage anwesend, um ihre Publikationen zu präsentieren. Darunter Active Distribution aus England, Anarho-Sindikalisticka Inicijativa aus Serbien, Eutopia aus Griechenland und der Infoladen Schwarzes Radieschen aus Österreich, um nur einige zu nennen. Inhaltlich stellten die angebotenen Bücher einen guten Querschnitt durch die anarchistische Theorie und Praxis dar. So gab es neben anarchistischen Klassikern auch aktuelle Analysen der Krise und sozialer Kämpfe, CrimethInc-Publikationen waren vertreten und einiges aus dem Bereichen DIY und Permaculture. Den meisten Andrang gab es unserer Beobachtung nach beim Stand von Active Distribution. Hier wurden vor allem Bücher und Heftchen von CrimethInc, sowie ein weites Spektrum an DIY-Büchern angeboten, welche sich über reges Interesse freuten. Leider konnte die Buchmesse nicht wie geplant draußen stattfinden, was sicher für ein breiteres Publikum gesorgt hätte, da es fast ununterbrochen regnete.
Die inhaltliche Vielfalt spiegelte sich allerdings nicht nur in den verschiedenen Herkunftsländern der Teilnehmer*innen und den Büchern wieder, sondern auch das Rahmenprogramm war recht umfassend. An drei Tagen fanden 20 geplante Diskussionen statt und auch der Open Space war relativ schnell gefüllt. Es wurden diverse Projekte vorgestellt, wie die „Pizzeria Anarchia“ aus Wien oder die anarchistische Bücherei „The Sparrows Nest“ aus Nottingham. Daneben gab es Diskussionen zu anarchistischen Radios und Publikationen, radikalen Syndikalismus, Frauen in der anarchistischen Bewegung und einiges mehr.
Die Workshops
Eine der aus unserer Sicht interessantesten und best-besuchtesten Veranstaltungen war das Treffen zu Nationalismus im Balkan, zu welchem auch schon vor der Buchmesse explizit mobilisiert wurde. Leider reichte die Zeit gerade einmal, um einen Eindruck über die Situation in den einzelnen Ländern des Balkans zu bekommen. Die Grundidee war jedoch, schon während der Buchmesse Strategien und Vernetzungen gegen den weitverbreiteten Nationalismus im Balkan zu entwickeln. Für uns war jedoch die Vorstellung der einzelnen Länder schon sehr interessant. So waren wir überrascht zu hören, dass es 2001 in Mazedonien einen nationalistischen Aufstand der albanischen Minderheit gab, der letztendlich militärisch niedergeschlagen wurde. Dies scheint generell ein großes Problem in allen Balkanstaaten zu sein, dass es enorm viele Minderheiten in jeder Gesellschaft gibt, welche aber seitens des Staates nicht anerkannt werden. Dazu kommt, dass fast jede Bevölkerungsgruppe in der jüngeren Geschichte von Vertreibung betroffen war. So kommt es, dass jeder ein Stück Balkan für sich beansprucht, Minderheiten nicht anerkannt werden und jedes Land sich als den rechtmäßigen „Besitzer“ seines Territoriums betrachtet. Von rechten Gruppen werden dazu noch regelmäßig Besitzansprüche in anderen Ländern geltend gemacht (z. B. Mazedonien soll albanisch werden, Großkroatien, Großserbien etc.). Ebenfalls wurde festgestellt, dass Faschist*innen meistens besser über Grenzen hinweg vernetzt sind, als es die antifaschistische und antiautoritäre Bewegung ist. So gibt es beispielsweise jeden Februar einen Naziaufmarsch in Sofia (Bulgarien) mit reger Beteiligung aus Kroatien, Serbien und Deutschland, zu dem es keine nennenswerten Gegenaktivitäten gibt. In diesem Sinn wurde eine bessere Vernetzung von Anarchist*innen und Antifaschist*innen im Balkan gefordert und direkt am nächsten Tag gab es ein erstes Vorbereitungstreffen für ein balkanweites Treffen zu Nationalismus im Winter 2013.
Erwähnenswert sind außerdem die Workshops, welche sich direkt mit anarchistischen Medien befassten. So gab es am Freitag eine Diskussion zu anarchistischen Radios, bei der drei Projekte vorgestellt wurden. Den Anfang machten Anarchist*innen aus Ljubljana, welche einen Sendeplatz beim lokalen „Radio Student“ haben und dort alle zwei Wochen ihre Show „Black Hole“ senden. Danach wurde das „Radio Libertaire“ aus Paris vorgestellt, welches seit fast 30 Jahren auf eigener Frequenz sendet. Den Abschluss bildete der Libertäre Podcast vom „Anarchistischen Radio Berlin“. In der anschließenden Diskussion ging es vor allem darum, welche Rolle Radios für die anarchistische Bewegung spielen können, was Kriterien eines anarchistischen Radios sind und mit welchen Schwierigkeiten die einzelnen Projekte zu kämpfen haben. Die Anwesenden waren sich einig, dass Radios vor allem bei großen Aktionen (Blockaden, Gegengipfel usw.) eine wichtige Rolle spielen, um Proteste zu koordinieren. In Gegenden, in denen es kaum Internet gibt, spielen sie außerdem eine enorm wichtige Rolle, um Bewegungen zu verknüpfen und Gegeninfos zu streuen (z. B. freie Radios der Zapatistas). Auch für Europa wurde darauf hingewiesen, dass anarchistische bzw. Freie Radios nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Gegeninfos und Nachrichten aus der Bewegung zu verbreiten. Alle anwesenden Radios haben auch erfreulich hohe Einschaltquoten.
Was macht nun aber ein anarchistisches Radio aus? Im Laufe der Debatte wurde klar, dass es weniger ein explizit anarchistischer Inhalt ist, als vielmehr die Organisation des Radios selber. Der Mensch vom „Radio Libertaire“ meinte treffend, dass es ihnen schwer fallen würde, 24 Stunden Programm jeden Tag mit rein anarchistischen Inhalten zu füllen und dass dies wohl auch die Attraktivität des Radios senken würde. Das Wichtigste sei aber, dass die Arbeit für das Radio, die Programmgestaltung und alles Weitere nach Grundsätzen der Hierarchiefreiheit und Selbstorganisation abläuft. Das Hauptproblem für alle Projekte ist hauptsächlich die Finanzierung, sowie teilweise die Unterbesetzung, was es schwer macht regelmäßig zu senden.
Bei der Diskussion über anarchistische Printmedien stellten sich ebenfalls erfreulich viele verschiedene Projekte vor. Neben der „Gai-Dao“ aus Deutschland auch das „Center for Libertarian Studies“ aus Belgrad, welches Archiv, Bücherei und Verlag zugleich ist. Hauptdiskussionspunkt war die Frage, wie einerseits viele Leute mit anarchistischen Inhalten erreicht werden können und gleichzeitig Debatten initiiert und vertieft werden können. Die Lösung scheint darin zu liegen, ein möglichst breites Angebot an Medien mit unterschiedlichen Schwerpunkten anbieten zu können, was aber wie schon bei den Radios oft an finanziellen Problemen und mangelnder Beteiligung scheitert. Allerdings sind die Menschen aus Belgrad wohl sehr erfolgreich damit ein wöchentliches Bulletin zu produzieren, was vielen Leuten als Einstieg in anarchistische Theorie dient. Insgesamt variiert die Methode der Produktion und Verteilung stark von Projekt zu Projekt, ebenso wie der Anspruch, wer angesprochen werden soll.
Neben diesen eher praktischen Diskussionen gab es eine Hauptdiskussion. Diese drehte sich um das Thema Anarchismus und soziale Bewegung. Dabei wurden die Fragen gestellt, wie Anarchist*innen mit sozialen Bewegungen zusammenarbeiten können und ob und wie Allianzen gebildet werden können. Zum ersten Punkt wurde hauptsächlich festgestellt, dass es wichtig ist, Organisation und Ziele der Bewegungen durch das Propagieren anarchistischer Prinzipien zu beeinflussen. Konkret heißt das, die Selbstorganisation, Hierarchiefreiheit und Basisdemokratie anzuwenden. Dabei ist es nicht unbedingt notwendig, offensiv als Anarchist*innen in Erscheinung zu treten, da dies nach Erfahrung einiger Menschen oft abschreckend wirkt.
Was die Frage der Allianzen betrifft, wurde von einigen Leuten die Bildung solcher auf Basis allgemeiner Forderungen als wichtig betont. Die Zusammenarbeit sollte hauptsächlich mit bereits organisierten Gruppen erfolgen. Von anderen Menschen wurde aber auch betont, dass sich diese Zusammenarbeit meist als schwierig und wenig dauerhaft und nützlich erweist.
Weitere Highlights neben den Diskussionen und der Messe an sich, war das Konzert des selbstorganisierten Frauenchors „Kombinat“. Dieser wusste die Menge mit Klassikern wie „ A las barricadas“, „Die Internationale“ oder „Bella Ciao“ zu begeistern. Außerdem gab es am Samstagabend eine Spontandemo in die Innenstadt, an der sich etwa 100 Leute beteiligten. Es wurde ein Statement von der Messe verlesen, sowie Infomaterial verteilt.
Abschließend bleibt zu sagen, dass die gesamten drei Tage von einer sehr entspannten und solidarischen Stimmung geprägt waren. Viele Leute nutzten die Zeit, um sich zu vernetzen und auszutauschen und jeder Menge Kontakten und neuen Büchern im Gepäck wieder heimzufahren. In diesem Sinne: Vielen Dank und alles Gute für die nächsten 10 Jahre!