Linksextreme machen Jagd auf Burschenschafter

Erstveröffentlicht: 
22.05.2013

Mutmaßliche Linksextremisten haben in Göttingen einen liberalen Burschenschafter hinterrücks mit einem Baseballschläger attackiert und am Kopf verletzt – der brutalste in einer Reihe ähnlicher Fälle. Von Johannes Wiedemann

 

Es ging alles sehr schnell: Plötzlich hörte der Student aus Erlangen Schritte direkt hinter sich. "Und dann gab's so gut wie zeitgleich den ersten Schlag auf den Hinterkopf. Ich bin auf die Stirn gefallen und hatte sofort eine Platzwunde." Zwei "sehr große Männer", in Schwarz gekleidet und vermummt, standen über ihm, wie er im Gespräch mit der "Welt" erzählte. Der eine war mit einem Baseballschläger bewaffnet, der andere mit einem Teleskopstock. "Als ich am Boden lag, haben die wieder auf mich eingeschlagen."

 

Der Tatmotiv für den Angriff, der sich am Pfingstsonntag zur Mittagszeit in Göttingen ereignete: Der junge Mann ist Mitglied einer Burschenschaft. Seine Verbindung ist die politisch als liberal geltende Burschenschaft der Bubenreuther Erlangen. Mutmaßliche Linksextremisten waren es, die ihn hinterrücks attackierten. Nur weil er wegen seines Äußeren – Anzug und Band seiner Verbindung – als Burschenschafter zu erkennen war.

 

Der 26-Jährige – der aus Angst vor weiteren Übergriffen nicht namentlich genannt werden will – glaubt: Die Attacke hat er nur dank seines Begleiters überlebt, der ebenfalls Mitglied der Bubenreuther ist. Dieser sei Kampfsportler und habe sich sofort "dazwischengeschmissen. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich tot."

 

Die Täter rannten weg, während er mit seinem Begleiter in einer Eisdiele Schutz suchte. Seine Platzwunde wurde im Krankenhaus genäht; auf eigenen Wunsch verließ er es noch am selben Tag. "Allerdings bildete sich dann ein faustgroßes Hämatom am Hinterkopf." Sein Helfer – ein Notfallchirurg – habe das Blutgefäß aufgeschnitten. "Die Schmerzen waren einfach zu groß."

 

Liberal oder rechtsextrem? Den Tätern egal

 

Der Fall fällt wegen der extremen Brutalität der Täter auf. Gleichwohl ist Göttingen als Hochburg gewaltbereiter Linksextremisten bekannt: Der Verfassungsschutz in Niedersachsen hatte die 120.000-Einwohner-Stadt vor wenigen Jahren zum "Autonomen Zentrum" erklärt. Insgesamt soll es in Göttingen einen harten Kern von 250 gewaltbereiten Szeneanhängern geben, die noch einmal genauso viele mobilisieren können.

 

Nach Angaben der Polizei Göttingen wurden im vergangenen Jahr 96 linksmotivierte Straftaten angezeigt, davon 25 Gewaltdelikte. Der Anteil der Gewaltdelikte an den Straftaten stieg damit im Vergleich zu den beiden Vorjahren leicht, während die Gesamtzahl linker Straftaten zugleich ein wenig zurückging. In einer Mitteilung vom Mai dieses Jahres wies die Behörde darauf hin, "dass der Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Göttingen einen regionalen Brennpunkt linksmotivierter Straftaten in Niedersachsen darstellt".

 

Der linksextremen Szene der Stadt gelten Burschenschafter als Feindbild. Und zwar, weil diesen in Deutschland oft eine Nähe zum Rechtsextremismus nachgesagt wird – und tatsächlich gibt es viele Burschenschaften, auf die das zutrifft. Besonders gilt das für Verbindungen im Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB). So waren im Jahr 2011 Tausende Seiten interner Protokolle und Papiere der DB bekannt geworden, aus denen die "indirekt ausgedrückte Verehrung von Personen und Gedanken der nationalsozialistischen Zeit" hervorging.

 

Vor rund einem Jahr kam es dann auf dem Burschentag der DB zum offenen Schlagabtausch zwischen rechtsextremistisch und liberal geprägten Verbindungen: Nachdem ein Rechtsextremist als Schriftleiter im Amt bestätigt worden war, gaben mehrere Vertreter liberaler Bünde ihre Ämter im erweiterten Vorstand auf. Der Mann hatte den Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945) wegen dessen Widerstandes gegen das NS-Regime als "Landesverräter" verunglimpft.

 

Im Göttinger Fall wurde nun aber ein Burschenschafter zum Opfer von politischen Fanatikern, der Mitglied einer als liberal geltenden Burschenschaft ist. Diese gehört schon seit 1988 nicht mehr der DB an. In Göttingen gebe es eine "starke Antifa, die einfach alle Burschenschafter hasst – die politische Orientierung ist völlig egal", glaubt der Erlanger Student. Und betont: "Die Bubenreuther sind die liberalste Burschenschaft in Deutschland, wir engagieren uns seit den 90er-Jahren gegen Rechts." Die Studentenverbindung veröffentlichte 1993 das sogenannte Bubenreuther Manifest, in dem sie sich von jedem Extremismus distanzierte, und gründete drei Jahre später die Neue Deutsche Burschenschaft (NeueDB) mit.

 

"Jeder hat schon mal Pfefferspray abbekommen"

 

Der Erlanger Student war nach Göttingen gekommen, um am Jubiläumsfest der Burschenschaft Brunsviga teilzunehmen – eine weitere als liberal geltende Verbindung im sogenannten Roten Verband, der die Gründung der NeueDB maßgeblich beeinflusste. Auf ihrer Website schreibt die Göttinger Burschenschaft: "Politischer Extremismus und die Mitgliedschaft in der Brunsviga schließen sich aus."

 

Ein Brunsviga-Mitglied, das ebenfalls aus Angst vor Übergriffen anonym bleiben möchte, berichtete der "Welt", dass verbale und körperliche Angriffe seitens Linksextremisten in Göttingen häufig vorkämen. Mit Erkennungszeichen wie Band und Mütze in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein, sei nicht ratsam: "Sonst wird man dumm angemacht oder sogar körperlich angegriffen. Pfefferspray hat wohl jeder von uns schon einmal abbekommen." Die Attacke mit dem Baseballschläger sei aber "ein neues Extrem".

 

Die Göttinger Polizei hat von 2010 bis zum vergangenen Jahr 52 Straftaten erfasst, die gegen Burschenschaften im Stadtgebiet gerichtet waren. Im Mai vergangenen Jahres etwa wurden Bewohner des Verbindungshauses des Corps Hannovera mit Reizgas attackiert – an deren eigener Haustür. Das Haus der Brunsviga wurde im März 2011 Ziel eines schweren Brandanschlags; die Täter zogen Mülltonnen vor die Haustür der Verbindung und zündeten sie danach an. Wohl nur dank aufmerksamer Passanten wurde dabei niemand verletzt.

 

Nicht immer muss man aber Burschenschafter sein, um gewaltbereiten Linksextremisten als einer zu gelten: Erst im März dieses Jahres meldete das "Göttinger Tageblatt", dass Schläger aus der Szene eine Gruppe von Jura-Studenten verprügelt hatten. Der Grund: Sie trugen Jacketts. Die erste Frage der Täter: "Seid ihr Burschis?"


Schwierige Suche nach den Tätern

 

Die Suche nach den Schlägern beim jüngsten Vorfall gestaltet sich indes schwierig. Ein Zeuge des Angriffs hatte diese mit seiner Begleiterin verfolgt. Er sah laut Göttinger Polizei, wie die Täter in einem Gebäudekomplex verschwanden, in dem den Angaben zufolge überwiegend Anhänger der linken Szene wohnen.

 

Es soll sich um einen großen Komplex mit mehreren miteinander verbundenen Häusern handeln. Die Tatsache, dass die Angreifer vermummt waren, erschwert die Ermittlungen. In den Gebäuden seien in der Vergangenheit bereits "strafprozessuale Maßnahmen" durchgeführt worden, teilte die Polizei mit.

 

Der Göttinger Polizeichef Volker Warnecke betonte auf "Welt"-Anfrage, dass die Ermittlungen "auf Hochtouren" liefen. Den Angriff auf die beiden Burschenschafter verurteilte er scharf: Aufgrund der "Brutalität und des gewalttätigen Vorgehenes der Täter" werde "massive kriminelle Energie sichtbar". Die Täter hätten nach den bisherigen Ermittlungen "schwere Gesundheitsschäden bei den Opfern zumindest in Kauf" genommen.

 

Axel Springer AG 2013