"Wenn wir nicht streiken, wenn es weh tut – wann sonst?" Das fragte eine Grundschullehrerin, die am Dienstag Vormittag beim Streikcamp hinter dem Roten Rathaus in Berlin-Mitte stand. Es ist schon der zweite Tag der Streik- und Aktionswoche der angestellten Lehrer der Hauptstadt, die die Gleichstellung mit ihren verbeamteten KollegInnen fordern. Von den offiziellen Schüler- und ElternvertreterInnen hatte es Kritik gegeben, weil dieser Streik in der Zeit der mündlichen Abiturprüfungen der 12. Klasse sowie in Vergleichsarbeiten von der dritten Klassen stattfindet.
Doch viele LehrerInnen halten diese Vorwürfe nicht für repräsentativ: "Von den Eltern bei uns habe ich keine negativen Rückmeldungen mitbekommen", so die Grundschullehrerin. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, denn ihr Vertrag ist nur bis zu den Sommerferien gültig. Für die Zeit danach hofft sie auf einen unbefristeten Vertrag – oder muss sonst in den Ferien mit Hartz IV auskommen. "Eine Mutter meinte, dass sie im Krankenhaus arbeitet, und dass sie auch streiken müssen, wenn sie Verbesserungen erreichen wollen", erzählte ein weiterer anonymer Grundschullehrer. "Die überwiegende Mehrheit der Leute beim Elternabend stand auf unserer Seite."
Am gestrigen Dienstag gingen 500 PädagogInnen auf der Straße. Schwerpunktmäßig waren die Grundschulen zum Streik aufgerufen worden. Zum Auftakt am Montag demonstrierten 600 LehrerInnen vom Camp am Molkenmarkt hin zur Senatsfinanzverwaltung. Am heutigen Mittwoch sollen in erster Linie die Oberstufenzentren bestreikt werden. Am Donnerstag sind wieder die Grundschulen dran, am Freitag sollen alle Schulformen einbezogen sein.
Das "Streikcamp" wird ihrem Namen jedoch nicht wirklich gerecht, denn man bekam keine Genehmigung, um über Nacht dort zu bleiben. So werden die Bierbänke und die Bühne jeden Tag um 9 Uhr auf- und um 17 Uhr wieder abgebaut – wie ein Camp der Occupy-Bewegung sieht es nicht aus, eher wie eine Kundgebung des DGBs.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW) hatte im Vorfeld beschlossen, die Streiks an den einzelnen Schulen so zu legen, dass "keine Nachteile" für Schüler mit mündlichen Abiprüfungen entstehen – an jeder Schule soll höchstens drei Tage in dieser Woche gestreikt werden. Doch die meisten prüfenden LehrerInnen sehen das locker. "Meine Schüler haben gehofft, dass ihre Prüfungen wegen des Streiks verschoben werden, aber sie waren alle letzte Woche dran", sagte Sabine Strehlow von der Sophie-Charlotte-Oberschule in Charlottenburg.
"Wir in der Schule haben das diskutiert und sind der Meinung, dass eine Verschiebung der Prüfungen um eine Woche, wenn das lange genug im Voraus bekannt gegeben wird, keinen Nachteil für die Schüler bringt", ergänzte Matthias Geue von der Robert-Jungk-Oberschule in Charlottenburg. "Ich sehe kein Problem darin und die Schüler auch nicht." Bei der Arbeitsniederlegung am Dienstag wurde er als Vorsitzender bei einer mündlichen Prüfung durch einen Beamten ersetzt. Doch die meisten Prüfungen an seiner Schule wurden auf nächste Woche gelegt.
Dennoch haben sich manche LehrerINnen durch den öffentlichen Druck verunsichern lassen. "Es wird mit sehr viel Angst gearbeitet", sagte Andreas Ritter vom Lessing-Gymnasium in Mitte. Die GEW hatte nach langen Diskussionen entschieden, die Prüfungen nicht direkt zu bestreiken, damit sich die öffentliche Debatte nicht um die Protesttaktik, sondern um die Arbeitsbedingungen der Lehrer drehen würde.
Die TeilnehmerInnenzahlen sind niedriger als beim letzten Warnstreik am 23. April. Damals gingen bis zu 3000 LehrerInnen auf die Straße, nachdem der Senat vergeblich versucht hatte, den Arbeitskampf gerichtlich verbieten zu lassen. Aber auch am Freitag könnten erneut mehrere tausend Lehrer unterwegs sein.
Auch internationale UnterstützerInnen nehmen an den Auseinandersetzungen teil: Am Montag berichtete ein Funktionär der griechischen LehrerInnengewerkschaft auf Korfu von Kämpfen gegen Massenentlassungen im Zuge der Sparpolitiik. Der dänische Gewerkschafter Gordon Ørskov Madsen stand am Dienstag auf der Bühne. Er erzählte von wochenlangen Aussperrungen, die die Regierung in Kopenhagen gegen Zehntausende LehrerInnen verhängte, um eine Arbeitszeitverlängerung durchzusetzen.
An einer öffentlichen Diskussionsrunde am Streikcamp am Montag Nachmittag waren auch VertreterInnen der Landeseltern- und schülerausschüsse beteiligt. Die Landesschülersprecherin hatte in der Presse gegen die Streiks argumentiert, weil diese auf Kosten der Schüler gehen würden. Doch im Publikum saßen rund zehn weitere SchülerInnen, die zu einem gemeinsamen Ausstand von LehrerInnen und SchülerInnen aufgerufen haben. Am Freitag um 10 Uhr treffen sie sich am S-Bahnhof Greifswalder Straße und demonstrieren zum Molkenmarkt.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation
eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt vom 15. Mai
aha
was soll das hier auf linsunten indymedia?
passt doch ... mehr freizeit
... zur gleichen Stunde demonstrierten JVA-Angstellte ( sogen. "Schliesser*innen") und die Polizei -- sozusagen die geballte, konzentrierte Ordnungsmacht an einem Tag --- ich kann mich da einer forderung von "gegendemonstrat*innen" anschliessen , die mehr freizeit (am besten durch arbeitslosigkeit) gefordert haben ....
Arbeitskämpfe
sollten immer relevant sein. Beim nächsten Mal können sie sich vermummen, dann passt's vielleicht.