Soziale Bewegungen Lateinamerikas fordern Ende der Repression und Neuausrichtung der Justiz.
Am 20. und 21. Juni trafen sich 327 Delegierte verschiedener sozialer Bewegungen aus 13 Ländern Lateinamerikas im Gebiet der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas, um sich über staatliche Repression gegen ihre Organisationen auszutauschen und Grundsätze für eine neue Art von Justiz zu erarbeiten.
Chiapas: Eine Einführung in den zapatistischen Aufstand
Neben Aktivistinnen aund Aktivisten aus Argentinien, Bolivien, Chile,
Dominikanische Republik, Guatemala, Haiti, Kolumbien, Paraguay, Peru,
Uruguay und Mexiko nahmen auch Beobachterinnen und Beobachter aus
Europa am "1. Amerikanischen Treffen gegen die Straflosigkeit" teil.
Der
"Rat der Guten Regierung" von Morelia, einer von fünf Sitzen der
zivilen EZLN-Basis, die die 1994 besetzten Ländereien und die dort
entstandenen Projekte im Gesundheits-, Bildungs-, Justiz- Verwaltungs-
und Mediensektor im Rotationsprinzip verwalten, begrüßte die
Teilnehmenden und rief dazu auf, "die Kämpfe der Arbeiter vom Land und
aus der Stadt zu würdigen" und neue Wege für ein gerechteres
Justizsystem zu erkunden.
Der mexikanische Philosoph Luis
Villoro erinnerte an die Absurdität, dass eine äußerst reiche
Minderheit die große Mehrheit beherrsche und dass dieses extreme
Ungleichgewicht der Ursprung von Repression und Straflosigkeit sei.
Carlos
Fazio aus Uruguay sprach über die Bedeutung des historischen
Gedächtnisses und betonte, dass ein Schweigen zur Repression
Komplizenschaft mit den staatlichen Instanzen bedeute. Er betonte die
politische Dimension der Straflosigkeit: wenn die Gesellschaft die
Verbrechen kenne, sie aber nicht anerkenne, führe dies zu eine
Trivialisierung der Gewalt. "Wir dürfen uns in der aktuellen Welt das
Vergessen nicht erlauben", so Fazio.
Die mexikanische Anwältin
Bárbara Zamora wies darauf hin, dass die aktuelle Justiz nicht darauf
ziele, Ordnung und Harmonie herzustellen, sondern lediglich im
Interesse einer kleinen Clique handle, daher sei es unabdingbar, neue
Formen der Rechtssprechung zu entwickeln.
Hugo Blanco aus Peru
prangerte die gewaltsame Niederschlagung der indigenen Proteste gegen
eine Ausweitung der Öl-Ausbeutung durch die Regierung des
sozialdemokratischen Präsidenten Alan García an. Rund 40 Menschen
wurden Anfang Juni bei dem Angriff von Polizei- und Militäreinheiten
auf die friedliche Mobilisierung im Amazonasgebiet ermordet. Zudem
wurden Dekrete erlassen, die der indigenen Bevölkerung fundamentale
Rechte entziehen und so die Neuansiedlung von Ölkonzernen ermöglichen
sollen.
Aus allen Ländern gab es Zeugnisse über massive
Repression gegen soziale Aktivistinnen und Aktivisten, die sich den
Plänen der jeweiligen Eliten in den Weg stellen. Victoria, Sprecherin
des zapatistischen Rates, kritisierte die Kollaboration von Regierungen
und Kapital: "Sie setzen Gesetze zugunsten der großen Unternehmer
durch. Für die Bevölkerung bleibt das Vergessen, die Armut und die
Misere".
Thomas Zapf, Mitarbeiter des Internationalen
Friedensdienstes SIPAZ aus Chiapas, wies im Interview auf den
außerparlamentarischen Charakter des Treffens hin. Die teilnehmenden
Gruppierungen hätten aufgrund ihrer Erfahrungen kein Vertrauen mehr in
das aktuelle politische System und seine Parteien: "Die Beiträge der
mexikanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens haben
deutlich gemacht, dass sie weder von der ehemaligen Staatspartei PRI,
der konservativen PAN noch der sozialdemokratischen PRD ein Ende der
Straflosigkeit erwarten, zumal in Chiapas der Gouverneur Juan Sabines
von der PRD in jüngster Zeit für wachsende Repression und die
Verhaftung und Folter von sieben Tseltal-Indígenas der Region Agua Azul
verantwortlich ist. Deren einziges 'Verbrechen' ist nach Aussage
lokaler Menschenrechtsorganisationen, dass sie sich gegen die
Vertreibung von ihrem Land organisiert haben".
Camilo da Silva
von der brasilianischen Landlosenbewegung MST hob hervor, dass die
Regierungen soziale Kämpfe als "gewalttätig" und "terroristisch"
verteufeln, um ihre Interessen zu wahren. Aus Sicht der MST könne der
Kampf gegen die Straflosigkeit nur durch entschlossene Klassenkämpfe
gewonnen werden.
Nahezu alle Rednerinnen und Redner waren der
Überzeugung, dass die aktuellen staatlichen Justizsysteme nicht
ausreichend seien, um wirkliche Gerechtigkeit zu schaffen und dass sie
ein Apparat im Dienste der herrschenden bürgerlichen Minderheiten und
des kapitalistischen Systems verkörperten. Der wiederholt geäußerte
Vorschlag, die seit den 1990er Jahren wachsende Vernetzung der sozialen
Bewegungen weiter voran zu treiben und auf autonome Rechtsinstanzen
hinzuarbeiten, traf auf breite Zustimmung und mündete in dem Vorschlag,
ein Internationales Autonomes Tribunal aufzubauen.
Martín
Almada aus Paraguay fasste die Debatten der Konferenz treffend
zusammen: "Die Justiz war immer ein Herrschaftsinstrument. Nun möge sie
ein Instrument unserer Befreiung werden".
- Fotos, Texte und Audios (Spanisch) unter: http://chiapas.indymedia.org/
- Seite zum Treffen (Spanisch): http://www.contralaimpunidad.org/