[M] Interview zur Demonstration anlässlich des NSU-Prozesses am 13.04.

Gegen Naziterror
Erstveröffentlicht: 
10.04.2013

Am Mittwoch, den 17. April, beginnt in München der Prozess gegen fünf Angeklagte aus dem NSU-Umfeld. Für den Samstag zuvor ruft ein breites Bündnis zu einer bundesweiten Demo unter dem Motto „Gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus – Verfassungsschutz abschaffen“ auf. Publikative sprach mit Bernd Kaminski, Pressesprecher des „Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus“.

 

Publikative: Warum demonstriert Ihr zum Prozessbeginn? Was genau ist Euer Ziel für die Demonstration?

 

Bernd Kaminski: Wir nehmen ganz bewusst den NSU-Prozess zum Anlass. Viele der Angehörigen der Opfer des NSU haben gefordert, dass es vor allem um die restlose Aufklärung der Mordserie, der Anschläge und der Verstrickungen staatlicher Stellen gehen muss. Dieser Forderung schließen wir uns an. Allerdings sind wir pessimistisch. Uns geht es nicht darum, ans Gericht zu appellieren. Sicherlich wird auch durch den Prozess vieles nicht aufgeklärt werden. Hier ist die kritische Öffentlichkeit gefordert: Die Konsequenzen, die die Gesellschaft aus dem NSU und ihrer rassistischen Mordserie ziehen muss, reichen weit über den Prozess hinaus. Uns geht es um eine Kritik an Verfassungsschutz, aber auch an den rassistischen Ermittlungspraxen der Polizei. Der Kampf gegen Rassismus kann nicht im Gerichtssaal stattfinden, sondern nur in der ganzen Gesellschaft. Das ist die Konsequenz, die wir aus der NSU-Mordserie ziehen.

 

Publikative: Wie sieht es aus mit der Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes, die ja Konsens im Aufruf des „Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus“ ist? Hat die Forderung andere Spektren jenseits der Antifa- und Antiraszene davon abgehalten, den Aufruf zu unterstützen?

 

Bernd Kaminski: Momentan unterstützen über 200 Gruppen den Aufruf des Bündnisses. Viele davon kommen aus dem autonomen Antifa- und Antiraspektrum. Aber auch viele andere Gruppen, die vielleicht als etwas bürgerlicher gelten, unterstützen den Aufruf. Die Münchner Grünen, die Jusos Bayern, ver.di Bayern und viele andere. Auch Yvonne Boulgarides, die Witwe von Theodorus Boulgarides, der im Juni 2005 vom NSU in München erschossen wurde, unterstützt den Aufruf. Sie will auch ein Grußwort halten, darüber freuen wir uns ganz besonders. Uns ist sehr wichtig, auch den Forderungen der Opfer und deren Angehörigen ein Forum zu geben. Sicherlich haben wir die eine oder andere Gruppe mit der Forderung nach einer konsequenten Abschaffung des Inlandsgeheimdienstes abgeschreckt. Wir glauben, dass die Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen, einen langen Atem braucht und nicht von heute auf morgen realisiert werden kann. Wir finden es aber wichtig, diese Forderung radikal zu vertreten. Der VS hat seit seiner Gründung immer linke und antifaschistische Bewegungen diffamiert und verfolgt und gleichzeitig rechte Bewegungen verharmlost oder unterstützt. Sei es durch die antikommunistischen Kampagnen in den 50ern, durch die Berufsverbote in den 70ern oder aktuell durch die Extremismustheorie. Eine solche Behörde ist nicht reformierbar. Gerade durch ihre Praxis, V-Personen zu beschäftigen, unterstützt sie faktisch die Naziszene, das hat man beim NSU gesehen, aber auch schon davor.

 

Publikative: Und da gibt es ja auch bayerische Beispiele…

 

Bernd Kaminski: Genau, etwa bei der Kameradschaft Süd um Martin Wiese, die 2003 über einen Anschlag auf die Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums in München diskutiert hat. Damals war es ein V-Mann des bayrischen Verfassungsschutz, Didier Magnien, der beim Kauf von Waffen geholfen hat. V-Personen wie Kai Dalek oder Tino Brandt haben in Bayern ebenso wie in Thüringen militante Nazigruppen und Infrastruktur mitaufgebaut. Diese Nazistrukturen hätte es – zumindest in dieser Form – ohne finanzielle und logistische Unterstützung des VS gar nicht geben können.

 

Publikative: Also einerseits die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes, andererseits soll die Demo auf den alltäglichen Rassismus hinweisen?

 

Bernd Kaminski: Sicherlich ist die Kritik am institutionalisierten und alltäglichen Rassismus das zentrale Thema der Demonstration. Nach Bekanntwerden des NSU haben viele antifaschistische Gruppen die Verstrickungen des Inlandsgeheimdienstes in den NSU und die Naziszene thematisiert. Wir denken, dass diese Kritik wichtig ist, wir sind aber auch der Ansicht, dass es damit noch längst nicht getan ist. Die Taten des NSU waren allen voran eine rassistische Mord- und Gewaltserie, ganz unabhängig davon, wie tief der VS letztendlich mit drin steckt. Das zeigt sich in vielen Punkten: Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durchliefen ihre politische Sozialisation Anfang der 90er Jahre in einer Zeit, die geprägt war von Nationalismus und rassistischer Gewalt. Die Pogrome in Mannheim, Hoyerswerda und Rostock oder die Brandanschläge in Mölln und Solingen sind nur die bekanntesten Beispiele. Am Ende stand die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Nazis und andere Rassisten haben damals gemerkt, dass sie mit Terror und Gewalt politische Erfolge verzeichnen können. Wenn wir diese Ereignisse nicht mit einbeziehen, können wir den NSU gar nicht begreifen. Daher sind wir der Überzeugung, dass die Konsequenz aus dem NSU nur der Kampf gegen Rassismus sein kann. Im Mai jähren sich die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl und der Brandanschlag zum zwanzigsten Mal.

 

Publikative: Hier waren es jedoch die Behörden, die die Opfer zu Tätern machten und die Familien terrorisierten.

 

Bernd Kaminski: Wir kennen alle die unvorstellbaren Vorwürfe, mit denen die Angehörigen der Opfer über viele Jahre hinweg konfrontiert wurden. Diese rassistischen Ermittlungen fanden nicht im luftleeren Raum statt. Die Polizei agiert auch sonst rassistisch, durch Durchsetzung unmenschlicher Ausländergesetze oder der Residenzpflicht für Asylsuchende, durch racial profiling usw. Das hat sich auch in den Ermittlungen nach dem Mord an Michèle Kiesewetter wiederholt, wo die Behörden lange Zeit in antiziganistischer Manier Roma der Morde verdächtigten. Das betrifft nicht nur die Polizei, sondern auch den „Verfassungsschutz“. Die Ämter unterscheiden in ihren Berichten noch zwischen „normalem“ Extremismus und „Ausländerextremismus“ und in den letzten Wochen ist ja auch noch manches über rassistische Einstellungen innerhalb der VS-Behörden bekannt geworden. Uns ist wichtig zu betonen, Rassismus ist weit mehr als ein Problem, das einige wenige Nazis am Rand der Gesellschaft betrifft, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das wollen wir mit der Demonstration ausdrücken. Das ist für uns die zentrale Konsequenz.

 

Publikative: Nach der Selbstenttarnung des NSU blieb die antifaschistische Bewegung an vielen Orten bisher allerdings erstaunlich ruhig, oder?

 

Bernd Kaminski: Ja, selbst Antifagruppen hatten sich ja so etwas nicht wirklich vorstellen können. Auch wir waren geschockt und es fiel nicht leicht, angesichts der Komplexität und des Ausmaßes des NSU angemessen zu reagieren. Aber diese Ruhe war sicherlich auch ein Zeichen von Schwäche. Diese Schwäche hat sich auch schon darin gezeigt, dass antifaschistische Initiativen den Verdacht, den viele Angehörige der Opfer von Anfang an hatten, es seien rassistische Morde gewesen, nicht ernst genug genommen zu haben. Wir glauben, dass es eine breite Debatte innerhalb antifaschistischer und antirassistischer notwendig ist. Es ist sicher nicht mit ein, zwei großen Demos getan.

 

Publikative: Viele scheinen auf so eine Initiative gewartet zu haben, wenn mensch die über 200 Initiativen aus dem Bundesgebiet betrachtet, die mittlerweile Euren Aufruf unterstützen.

 

Bernd Kaminski: Ja, wir sind recht optimistisch, was die Mobilisierung angeht. Die Demonstration ist richtig und wichtig, aber es muss um mehr gehen. Die Konsequenzen die sich aus dem NSU, den Verstrickungen des Verfassungsschutz, der rassistische Polizeiarbeit und dem institutionalisierten und alltäglichen Rassismus für eine antifaschistische und antirassistische Linke ergeben, sind langfristig.

 

Publikative: Bernd, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei der Demo!