Dampfkessel NSU-Ausschuss

Alles Informanten? Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) soll kurz vor dem Untertauchen des Trios Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe erwogen haben, die Mitglieder der Terrorzelle als Informanten anzuwerben. Und will selbiges dann mit absonderlichen Begründungen unterlassen haben.

 

Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Thüringen hat im Herbst 1997, kurz vor dem Untertauchen des Trios Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, erwogen, Beate Zschäpe als Quelle anzuwerben. Man habe dann darauf verzichtet, weil sie psychisch labil gewesen sei. Das erklärt der frühere Verfassungsschützer Mike Baumbach, 43, am 21. Februar vor dem NSU-Untersuchungsausschuss.


Baumbach ist der letzte Zeuge des Tages. Seine Befragung spätabends um 22 Uhr ergibt weiter: Das LfV hat sich nicht nur für die junge Frau interessiert, sondern auch für Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und drittens Ralf Wohlleben, der heute zusammen mit Zschäpe angeklagt ist. Doch auch die drei Männer will der Dienst nicht angeworben haben. Wohlleben, weil er "zu gefestigt" war. Ein Kandidat zu gefestigt, Zschäpe zu labil? Obendrein sind die Einschätzungen von zwei Thüringer Kriminalbeamten – Mario Melzer und Sven Wunderlich –, die Zschäpe in den Jahren 1995 bis 1997 dreimal vernommen haben, andere: Sie soll "gut drauf, cool, sehr abgeklärt, bauernschlau" gewesen sein.

 

Zschäpe wollte mit den Ermittlern kooperieren


Mike Baumbachs Körpersprache lässt Zweifel an seinen Worten aufkommen: Er ist aufgeregt und versteckt aggressiv. Er ist in diesem Ausschuss mit großem politischen und vor allem öffentlichen Druck konfrontiert. Wie in einem Dampfkessel werden hier Woche für Woche neue Details generiert, aber auch immer weitere Widersprüche, die belegen, dass im NSU-Mord-Komplex fortgesetzt vertuscht werden soll.

 

Klar ist: Wenn Beate Zschäpe eine Informantin des Verfassungsschutzes war, würde sich angesichts der Mordanklage dazu heute kein Verantwortlicher bekennen. So wie bei Ralf Wohlleben. Im Herbst hat Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster dem Ausschuss berichtet, 2003 den Namen "Wohlleben" auf einer Liste des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) über V-Leute in NPD-Vorständen gelesen zu haben. Doch dass Wohlleben V-Mann war, wird vom Bundesinnenministerium bestritten. Vielleicht war Zschäpe aber auch Informantin der Polizei. Immerhin hat sie bei den Vernehmungen damals den Ermittlern ein Dutzend Namen aus der Neonaziszene offenbart. Das ist objektiv Kooperation. Laut Vernehmungsprotokoll hat sie sogar erklärt, mit der Polizei zusammenarbeiten zu wollen. So, wie es auch ihr Exfreund Thomas Starke tat, zu dem das Trio nach seinem Untertauchen im Januar 1998 nach Chemnitz floh. Starke soll von 2000 bis 2011 Informant des LKA in Berlin gewesen sein.

 

Der Ausschuss berührt Nervenknoten des NSU-Komplexes


Die Einschätzung, Beate Zschäpe sei psychisch labil, soll übrigens nicht etwa von den VS-Beamten selber gekommen sein, sondern von dem V-Mann (Deckname "Otto") und Neonazi Tino Brandt, so Baumbach. Brandt ist eine der Schlüsselfiguren zur Terrorgruppe NSU. Die Behördenauskünfte über ihn erweisen sich wiederholt als unvollständig und unwahr. Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungsschutzes von Thüringen, Peter Jörg Nocken, bezeichnet Brandt als die "wichtigste Quelle bei der Suche nach dem Trio". Als Brandt enttarnt wurde, sei, so wörtlich, "der Zugang zum Trio verschüttet" worden.

 

Jüngst hatte der ehemalige LfV-Chef Thomas Sippel erklärt, Brandt sei im Januar 2001 abgeschaltet worden und bei einem Nachtreffen enttarnt worden. Jetzt widerspricht Nocken dieser Version. Brandt sei erst im Mai 2001 enttarnt worden – und zwar als er noch regulärer V-Mann war. Der Verrat geschah mutmaßlich aus dem Amt heraus. Das wirft vor allem die Frage nach dem Warum auf. Wurde dadurch das Trio geschützt? Immerhin spricht der andere ehemalige LfV-Chef, Helmut Roewer, als Zeuge nach Nocken davon, die Fahndung habe in die "außerordentliche Nähe" des Trios geführt. Und Roewer berichtet noch von einem anderen Verrat: Damals ist eine Fahndungsmappe der Polizei in rechtsextreme Kreise gelangt. 

 

Weitere V-Männer des Verfassungsschutzes müssen Kontakt zu dem untergetauchten Trio gehabt haben. So informierte der Brandenburger Dienst damals die Thüringer Kollegen, dass die drei mit Waffen versorgt wurden. Bei der Quelle handelt es sich mutmaßlich um den V-Mann "Piato", mit bürgerlichem Namen Carsten Szczepanski. Dann der Neonazi Thomas Richter, der als V-Mann "Corelli" für das BfV arbeitete. Richter findet sich in der aufgefundenen Adressliste von Uwe Mundlos. Bisher hieß es, Richter sei von 1997 bis 2007 V-Mann gewesen. Jetzt erfährt man: Er war es von 1994 bis Ende 2012, nicht zehn, sondern 18 Jahre lang. Richter/Corelli soll sich auf der Flucht befinden. Warum? Mithilfe des BfV? Was weiß er, das er nicht sagen will oder soll?

 

Der Umgang mit der Adress- und Telefonliste von Mundlos durch die Ermittlungsbehörden wird immer fragwürdiger, um nicht zu sagen krimineller. Die Liste war bei einer Garagendurchsuchung in Jena im Januar 1998 neben anderen Dingen, darunter TNT-Sprengstoff, gefunden worden. Sie enthält 35 Namen, Telefonnummern und Adressen von Neonazis in ganz Deutschland, die das Trio nach dem Abtauchen zum Teil regelmäßig aufgesucht hat. Die Zielfahnder des LKA in Erfurt sagen, sie hätten diese Liste nie bekommen. Sie liefen ins Leere.

 


Auch der Chef der damaligen Ermittlungsgruppe beim LKA, Jürgen Dressler, 52, erklärt jetzt vor dem Ausschuss, die Liste nicht gekannt zu haben. Bei den Ermittlungen in Thüringen halfen im Februar 1998 drei Beamte des BKA mit. Die Liste trägt einen Vermerk des BKA-Mannes Michael Brümmendorf, sie sei für die Fahndung nach dem Trio "ohne Bedeutung". Brümmendorf wird nach Dressler als Zeuge befragt und sagt: Er habe damals zusammen mit Dressler über die Liste gesprochen, mehrfach. Sie hätten erörtert, ob sie etwas für die Fahndung hergebe. Die Einschätzung, sie sei "ohne Bedeutung", habe Dressler getroffen. Er, Brümmendorf, habe sich ja in der Thüringer Neonaziszene nicht ausgekannt. Allerdings enthält die Liste nicht nur Namen von Neonazis aus Jena und Thüringen, sondern eben aus ganz Deutschland: Chemnitz, Rostock, Hamburg, Nürnberg, München, Regensburg oder auch Ludwigsburg.

 

Das Amt hat sich auf den Konflikt um die Liste vorbereitet


Die Aussagen von Dressler und Brümmendorf widersprechen sich fundamental. Wer von beiden lügt? Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy, SPD, will Dressler, der sich auf den Weg zurück nach Erfurt gemacht hat, zurückholen lassen. Das gelingt nicht. Beide werden kurzfristig für den 1. März erneut vorgeladen und sollen sich dann gegenübergestellt werden. 

 

Seltsam auch, dass beide, Dressler wie Brümmendorf, nicht fotografiert werden sollen. Es bestehe für sie Lebensgefahr, heißt es. Eine Frau des Ordnungsdienstes der Bundestagsverwaltung schirmt Dressler beim Hinausgehen vor Fotografen ab. Doch was unterscheidet die beiden von den vielen anderen Polizisten und Verfassungsschützern, die bisher in der Mehrzahl abgelichtet werden konnten?

 

Der BKA-Mann Brümmendorf hat eine eigene Kopie der Namens- und Telefonliste mitgebracht. Woher? Aus der Registratur des BKA, antwortet er. Das heißt, meint Wolfgang Wieland, Bündnisgrüne, das BKA war die ganzen 13 Jahre, die das Trio im Untergrund lebte, ebenfalls im Besitz der Liste. Sofort meldet sich der offizielle Vertreter des BKA im Ausschuss zu Wort und erklärt: Man habe die Liste am 18. Januar 2012 zusammen mit den Akten aus Thüringen erhalten, also nach Aufdeckung des Trios. Sie sei "definitiv nicht vorher" im BKA gewesen. Das Amt hat sich offensichtlich auf den Konflikt vorbereitet.

 

Zweifel sind angebracht: Sollte der LKA-Mann Dressler tatsächlich auf so durchsichtige Weise die Unwahrheit gesagt haben? Der Ausschuss berührt Nervenknoten des NSU-Komplexes. Dabei hat er die Verfassungsschutzakten aus Thüringen noch gar nicht einbezogen. Etwa 1700 Ordner, die seit zwei Monaten von einem dreiköpfigen Team gesichtet und vorselektiert werden. Bisher ist erst ein Drittel dieses Berges bewältigt.

 

Und noch eine Information hat der Dampfkessel NSU-Ausschuss freigesetzt. Bei den Aktenvernichtungen im BfV im November 2011 nach der Aufdeckung des NSU-Trios soll sich eine BfV-Mitarbeiterin geweigert haben, die Anweisungen zur Vernichtung zu befolgen. Das deutet darauf hin, dass das Schreddern nicht so gesetzesmäßig war, wie es das Bundesinnenministerium darstellt, sondern illegal. Die Frau ist dauerhaft dienstunfähig geschrieben. Der Ausschuss will sie trotzdem hören.

 

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