SL: Sind PolizistInnen GewalttäterInnen?

figuren polizei gewalttäterInnen

Im Frühjahr 2011 eskalierten JustizwachtmeisterInnen und PolizistInnen einen Gerichtsverhandlung gegen eine Antimilitaristin. Dabei wurde massive Gewalt gegen UnterstützerInnen der Angeklagten, der vorgeworfen wurden, bei einer Protestaktion einen Militärtransport der Bundeswehr aufgehalten zu haben, angewandt. Ein protestierender Unterstützer muss sich nun am 20.3. um 9h am Amtsgericht Schleswig gegen den Vorwurf der Beleidigung verteidigen. Im wird vorgeworfen, den für den gewalttätigen Einsatz verantwortlichen Beamten gefragt zu haben: „Mit soviel Sternen auf der Schulter sind Sie wohl hier der am höchsten bezahlte staatliche Gewalttäter, haben Sie den Polizeieinsatz zu verantworten?“

 

Ist das strafbar?

Strafbar sind nach dem Beleidigungsparagraphen des Strafgesetzbuches § 185 sog. Formalbeleidigungen („Arschloch“; Blödmann“, u.ä), Werturteile, die Missachtung zum Ausdruck bringen sollen und unwahre Tatsachenbehauptungen. „Erweist sich die behauptete Tatsache als wahr, so entfällt nicht erst die Strafbarkeit, sondern bereits der objektive Unrechtsgehalt der Tat. (…). Was wahr ist, darf man auch sagen. (…) Ein Dieb hat keinen Anspruch darauf, von den Bestohlenen nicht der Unehrlichkeit bezichtigt zu werden (Zitiert aus: Peters-Preisendanz. StPO-Kommentar . Fehler im Original, Anmerkung der Verfasserin). „§185 hat nicht die Aufgabe, Strafbewehrungen für den Bruch von „Sprachregelungen“ aufzustellen oder den Gebrauch bestimmter Wörter oder Formulierungen als solche zu verbieten“ ( zitiert aus: Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze). Damit kommt es darauf an, ob PolizistInnen in einem demokratischen Regime Gewalt anwenden oder nicht.

 

Sind PolizistInnen GewalttäterInnen?

Der Blick in die Akte zeigt: Die verbeamteten Diener des demokratischen Regimes wendeten nach eigener Aussage an jenem Tag massive Gewalt an. Folgende Ausschnitte stammen aus der 200-seitenstraken Ermittlungsakte, die auch dem Gericht vorliegt. So findet sich im ersten Bericht des anzeigenenden Einsatzleiters Lohmeyer vom 4.2.2011 (verändert am 8.2.) zwar kein Hinweis auf die angebliche Beleidigung, aber folgender Beleg für die zwangsweise erfolgte Verbringung einer Person mit Gewalt:

 

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Beamte drohen mit „Gewalt“ und wenden diese auch an

Frank Petersen, Leiter des Mobilen Einsatzgruppe Justiz (MEG), wird in seinem Einsatzbericht noch deutlicher, und verwendet für das, was er und seine Kollegen tun sogar explizit den Begriff „Gewalt“:

 

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Wie heftig die von Petersen und seinen Leuten angewendete Gewalt war, wird in dem Aktenvermerk auch deutlich:

 

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Auch der Kollege Dirk Bobeth-Wagner weiß, was er tut:

 

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Seine Kollegin Jenny Schotte, weiss auch was sie tut, und schildert sogar die alberne Provokation ihres Kollegen gegenüber dem Betroffenen vor der Zwangsandrohung

 

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Noch deutlicher wird das gewalttätige Handeln der Polizei aber in einem Vermerk des PHK Michael Trede , in der er einen Schlagstockeinsatz beschreibt:

 

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Staatsanwaltschaft findet staatliche Körperverletzung ok

Und auch Staatsanwalt Truknus findet es nicht sonderbar, das PolizistInnen Gewalt anwenden. Im Gegenteil. Für Staatsanwalt Tuknus ist der Schlag mit einem Schlagstock eine völlig gerechtfertigte Körperverletzung:

 

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PolizistInnen rechtfertigen Gewalt auch im Diskurs

Somit kann nach Aktenlage eigentlich kein Zweifel bestehen. PolizistInnen werden vom Staat bezahlt, um Gewalt anzuwenden. Auch ist die Schleswiger Polizei kein Einzelfall. Auch im Diskurs reflektieren PolizistInnen ihre Rolle als staatlich bezahlte GewalttäterInnen im demokratischen Regime in eindeutiger Weise.

 

Der Vorsitzende der „Junge Gruppe“ der GdP-Polizeigewerkschaft MV Sebastian Weise sagt : „In der Berichterstattung im Anschluss an solche Einsätze ist oft von Prügel-Polizisten oder Polizeigewalt zu hören. Aus meiner Sicht ist die Anwendung von Zwangsmitteln – also etwa Pfefferspray oder Mehrzweckeinsatzstock- in den allermeisten Situationen mehr als gerechtfertigt.“ (Ostseezeitung, 5.2.2013). Also: Gewalt anwenden scheint ist für eine PolizistIn völlig normal zu sein.

 

In der Selbstdarstellung der Polizei NRW auf deren Online-Auftritt findet man als Einleitung folgenden Präambel: „Die Polizei ist wesentlicher Garant für die Innere Sicherheit und unterliegt als Trägerin der Gewaltmonopols einer umfassenden öffentlichen Kontrolle. Ihre Aufgaben und Kompetenzen sind gesetzlich geregelt. Trotzdem setzt sie sich intensiv mit ihrem Rollen- und Selbstverständnis auseinander.“ ( http://www.polizei-nrw.de/artikel__90.html ,eingesehen am 11.2.2013). Der innere Zusammenhang von Polizei und Gewalt im Rahmen der tatkräftigen Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols ist also auch bei der Polizei NRW selbstverständlich.

 

Von der Verunglimpfung von PolizistInnen als Gewalttäter ist auch der Leiter der Hamburger Polizeischule, Rafael Behr, nicht frei: „Das doppelte Mandat der Polizei von sanfter (Verordnungs-)

und unmittelbar-phyischer Gewalt stand dabei allerdings nicht gleichrangig nebeneinander:

"Maßgebend blieb der Vorrang physischer Erzwingung - zudem nachdrücklich militärisch

gefärbt". (Behr, Rafael: Vom Nachtwächter zur Weltpolizei. http://hdp.hamburg.de/contentblob/2238620/data/zukunft-der-polizei.pdf ).

 

Für die Handhabung des staatlichen Gewaltmonopols sind folgerichtig nicht die mehr oder minder blumigen Begriffe der Marktwirtschaft hilfreich, denn sie verdecken das Zentrum der Polizeiarbeit, nämlich "die berufliche Verpflichtung zur Anwendung direkter physischer Gewalt gegen andere Personen" (v. Harrach 1983, 181, zit. nach Feest 1988, 130), das bedeutet: den physischen Gewalteinsatz“ (Behr Rafael: Rekommunalisierung von Polizeiarbeit: Rückzug oder Dislokation des Gewaltmonopols? http://www.rafael-behr.de/pics/rekommunalisierung.pdf ).

 

Das sagt Behr, der 15 Jahre lang selbst auf Streife ging, auch der Presse: „In diesen Leitbildern (der Polizei, Anmerkung des Verfassers) aber fehlt erstaunlicherweise eine wichtige Komponente polizeilicher Arbeit: die Gewalt“ (Die zeit, 31.10.2011, http://www.zeit.de/2011/44/P-Polizei ).

 

Und sogar das doppelte Problem, das, wie in Schleswig geschehen, PolizistInnen erst Leute verprügeln, dann zur Tarnung ihrer Gewalttaten behaupten, diese hätten Widerstand geleistet, und das die Justiz das traurige Spiel mitspielt, und die Betroffenen von Polizeigewalt anschließend verurteilen, kennt der Polizeiausbilder Bahr: „Jeder Polizist/jede Polizistin weiß, was damit gemeint ist, wenn man von einem Widerstandsbeamten spricht, obwohl dieser Begriff weder in Gesetzestexten noch in offiziellen Verlautbarungen der Polizei existiert (...) Der „Widerstandsbeamte“ handelt gegenüber den falschen Leuten in den falschen Situationen mit falschen Mitteln. Er neigt schneller als andere dazu, Gewalt anzuwenden, was für die Streifenpartner/innen durchaus unangenehme Folgen haben kann. Die müssen ihn unterstützen oder decken, sich für das gemeinsame Handeln rechtfertigen, als Zeuge oder Mitangeklagter auftreten etc. (…) Der „Widerstandsbeamte“ ist deshalb problematisch, weil er nicht sorgfältig genug unterscheidet. Er sieht tendenziell alle Personen, mit denen er dienstlich zu tun hat, eindimensional als „seinem Entscheiden und Handeln Unterworfene“ und behandelt entsprechend jede Form der Abweichung von dieser Vorstellung als Unbotmäßigkeit und Insubordination. “ (Behr, Rafael:

Die ethische Dimension staatlicher Gewaltausübung. Zum Verhältnis von Handlungsethik und Organisationskultur der Polizei . Hamburg 2008. http://hdp.hamburg.de/contentblob/2238604/data/ethische-dimension.pdf ).

 

Kriminalisierung von PolizeikritikerInnen

Es zeigt sich: Wenn es nicht gerade um die Kriminalisierung von KritikerInnen geht, ist das Anwenden von Gewalt gegen BürgerInnen für die hier zitierten BeamtInnen zum einen Tatsache und darüber hinaus offenbar nichts ehrenrühriges. Dass der Fall trotzdem vor Gericht landet, zeigt den politischen Strafcharakter des Verfahrens. Der Fakt, dass Staatsanwaltschaft und Gericht das böse Spiel mitspielen, lässt zum einen bereits jetzt Rückschlüsse auf den erwartbaren Ausgang des Verfahrens zu, und zeigt darüber hinaus, wie „Gewaltenteilung“ in der Praxis funktioniert.

 

Gerichtsprozess am 20.3.2013
Der betroffene Journalist, der für sein kritisches Nachhaken kriminalisiert wurde, legte Einspruch ein, und so kommt es nun am 20.3.2013 um 9h am Amtsgericht Schleswig zur Gerichtsverhandlung wegen Beleidigung. Die Verhandlung wird öffentlich sein. Vielleicht mag ja auch Herr Fürther kommen, um sich live anzusehen, was von der Rolle der Polizei als ausführende Gewalt im demokratischen Regime zu halten ist?

Weitere Prozesse gegen damalige Prozessbesucherinnen
Am 4.4. wird wegen angeblichen Widerstandes verhandelt. Am 17.4 geht es um Widerstand, Beleidigung und „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“. „Mit der Kriminalisierung von Betroffenen von Polizeigewalt versuchen die BeamtInnen regelmäßig, von ihren eigenen Gewalttaten abzulenken!“ sagt einer der Betroffenen.

Schadensersatzklage gegen AntimilitaristInnen am 1. März
Darüber hinaus wird auch wieder in der eigentliche Hauptsache um die Gleisblockade gegen einen Militärtransport verhandelt. Am 1.3. um 9:00 entscheidet das Amtsgericht Husum über die Schadensersatzklage des Konzerns Veolia bzgl. Schadensersatz für Schienenersatzverkehr (mehr Infos: http://husuma.nirgendwo.info/2013/01/19/husum-1-marz-gerichtsprozess-wegen-gleisblockade/ ).

Außerdem empfehlenswert: Ein Hintergrundartikel zur „Gewalt“-Kampagne der Polizeigewerkschaften: http://husuma.nirgendwo.info/2011/05/04/frust-und-zorn-uber-die-politik/

Mehr Infos, genauere Schilderungen und Quellen unter: http://www.militarismus-jetzt-stoppen.de.vu

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Gut recherchierter Artikel, der seine Argumentation durch eine Vielzahl von Links untermauern kann.

Die Kriminalisierung von Menschen, die Polizeigewalt kritisieren ist in Deutschland status quo und das Beispiel leider kein Einzelfall.

Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten sind auf jeder Demo gegen Polizeigewalt anzutreffen und das zeigt die ganze Problematik schon ziemlich deutlich auf.

Die deutsche Polizei hat ein strukturelles Gewaltproblem, aber es ist schön, dass ihr von PolizistInnen sprecht und nicht von "Bullen".

Statt "a.c.a.b."-Parolen sollten wir innerhalb der Linken vielleicht versuchen, die wenigen Polizisten, die ihre Arbeit gut machen und Remonstrationen in Bezug auf Gewalt gegen Demoteilnehmer fordern, in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Die Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten ist zwar ziemlich klein, sollte aber dennoch von uns als Positivbeispiel beachtet werden (hier auch mal n' Link: kritische-polizisten.de).

Hoffen wir, dass  viele Menschen zu den Prozessen erscheinen werden um die Betroffenen zu unterstützen!