NSU-VERBINDUNGEN NACH SCHWABEN: Die „Spätzles“ der Terrortruppe

Erstveröffentlicht: 
27.01.2013

Der NSU mordete in Heilbronn, plante Anschläge in Stuttgart und hatte Freunde in Ludwigsburg. Erste Politiker fordern einen eigenen Untersuchungsausschuss.

 

BERLIN taz | Die Männer schrieben sich als Max B. und Ralph B. ein. Drei Tage zelteten sie auf dem Campingplatz hinter dem Cannstatter Wasen in Stuttgart, vom 24. bis zum 26. Juni 2003.

 

Gut neun Jahre später haben sich die Handschriftanalytiker des Bundeskriminalamts über den Meldezettel der Camper gebeugt, auf der Suche nach Spuren der Terrorzelle NSU im Schwabenland – und wurden fündig: „Max“ war mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ der Neonazi-Mörder Uwe Mundlos, „Ralph“ vermutlich Uwe Böhnhardt.

 

Was die beiden in Stuttgart zu suchen hatten? Das BKA geht fest davon aus, dass sie in der Nähe des Nordbahnhofs einen Anschlag ins Auge fassten: auf die Eigentümer eines türkischen Lebensmittelladens und eines türkischen Bistros.

 

Im Brandschutt der letzten NSU-Wohnung in Zwickau fanden die Ermittler eine CD mit der Aufschrift „Stuttgart“, darauf sieben Fotos vom 25. Juni 2003. Auf manchen ist Böhnhardt mit Mütze und Mountainbike vor den Geschäften zu sehen, andere zeigen Details vom Eingang des Ladens und des Bistros, um die es den Terroristen gegangen sein soll.

 

BKA: "Ziele ausbaldowert"

 

Das BKA hat „keine begründbaren Zweifel“, dass in Stuttgart „zwei mögliche spätere Anschlagsziele ausbaldowert worden sind und dies durch die Anfertigung von Lichtbildaufnahmen dokumentiert wurde“. So steht es in Ermittlungsakten, die der taz vorliegen.

 

Der NSU hat in acht deutschen Städten gemordet und gebombt – und zahlreiche weitere mögliche Ziele ausgespäht. Das belegen Karten, Stadtpläne, Notizen und Namenslisten, die im Unterschlupf des Trios gefunden wurden. Aber nur in Stuttgart wurden die möglichen Anschlagsziele per Foto dokumentiert.

 

Das ist aber nur eine der zahlreichen Spuren, die nach Baden-Württemberg führen. Ermittlungen von BKA und Bundesanwaltschaft ergeben, dass der spätere NSU schon seit Anfang der 90er-Jahre enge Kontakte nach Ludwigsburg hatte.

 

Bei Szene-Events in Sachsen hatten die drei eine Gruppe von schwäbischen Neonazis um den Skinhead-Musiker Michael E. kennen gelernt – und diese später mehrere Male in der 85.000-Einwohner-Stadt zwischen Stuttgart und Heilbronn besucht. Fotos, die der taz vorliegen, zeigen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Partykeller des Naziskins; auf dem Tisch: jede Menge Dosenbier Marke Dinkelacker. Mindestens einer der Abgebildeten war mit dem militanten „Blood & Honour“-Netzwerk verbunden.

 

Mundlos schwärmte von den "Spätzles"

 

Einer, der damals dabei war, berichtete den Ermittlern von einer bemerkenswerten Szene im Kaufland in Ludwigsburg. Dort habe Mundlos einen Schwarzen gesehen und gerufen: „Schaut mal, da kommt ein Nigger.“ Dann ging er auf die Knie, machte ein Kreuzzeichen wie im Vampirfilm und schrie den Schwarzen an: „Weiche von mir!“

 

Auch sichergestellte Mundlos-Briefe dokumentieren die Besuche im Schwabenland. Im Frühjahr 1996 schwärmte er einem inhaftierten Gesinnungsgenossen vom Osterbesuch bei den „Spätzles“ vor: „Wir waren vor allem über die Waffen, die sie alle haben, erstaunt – schon fast ein kleiner Waffenladen.“ Ein Satz, der die Ermittler heute elektrisiert.

 

Zumal auch auf einer Adressliste von Uwe Mundlos, die nach Untertauchen des NSU-Trios 1998 in einer Garage in Jena gefunden wurde, gleich vier Telefonnummern der Freunde aus der Ludwigsburger Neonaziszene standen. Jahrelang wurde diese Liste ignoriert – erst nach Auffliegen des NSU im November 2011 interessierten sich die Ermittler für sie: waren doch gleich mehrere der engsten Helfer der Terroristen auf ihr vermerkt.

Alle aus der Ludwigsburger „Bande“, wie Mundlos seine „Spätzles“ auch nannte, können die Beamten von BKA und Bundesanwaltschaft heute allerdings nicht mehr befragen: Michael E., der Hauptkontakt des Nazi-Terrortrios in Ludwigsburg, soff laut Zeugenaussagen exzessiv und starb 2003 im Alter von 28 Jahren.

 

Kontakte bis Anfang 2001

 

Dafür hat eine Frau aus der damaligen Gruppe (Spitzname „Uschi“) gegenüber den Ermittlern zugegeben, über Jahre engen Kontakt zu Beate Zschäpe und Uwe Mundlos gehabt zu haben. Zwischenzeitlich hätten sie sich sogar monatlich getroffen. Das letzte Mal habe sie die beiden im Dezember 2000 oder im Frühjahr 2001 gesehen – bei einem Besuch beim Naziskinhead-Musiker Michael E. in Ludwigsburg . Dass sie da schon knapp drei Jahre in der Illegalität lebten, will die Frau allerdings nicht gewusst haben – ganz zu schweigen davon, dass der NSU wenige Wochen vorher seine Mordserie begonnen hatte.

 

Brisant sind die Spuren nach Stuttgart und Ludwigsburg auch, weil der letzte NSU-Tatort im nahe gelegenen Heilbronn liegt. Dort wurde am 25. April 2007 bei strahlendem Sonnenschein die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen, die auf einer Festwiese in der Nähe des Hauptbahnhofs Mittagspause machte. Die Täter schlichen sich von hinten an, dann feuerte vermutlich Mundlos den tödlichen Schuss auf Kiesewetters Kopf ab.

 

Warum musste ausgerechnet diese junge Polizistin sterben? Das ist bis heute nicht geklärt. In der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft heißt es, die 22-Jährige und ihr schwer verletzter Kollege seien „Zufallsopfer“ gewesen, die als Stellvertreter des „gehassten Staates“ ermordet werden sollten. Doch warum sollten die NSU-Terroristen in Chemnitz ein Wohnmobil anmieten, 400 Kilometer nach Heilbronn fahren, um dort auf zwei Polizisten zu schießen?

 

Weit daneben

 

„Das Motiv des Mordes bleibt unklar“, findet auch der FDP-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Hartfrid Wolff, der seinen Wahlkreis in der Nähe von Stuttgart hat. Wolff prophezeit: „Wir werden uns noch intensiv mit Baden-Württemberg beschäftigen müssen.“

Die Linkspartei-Obfrau Petra Pau geht noch einen Schritt weiter und fordert, dass das Bundesland wie Bayern, Thüringen und Sachsen einen eigenen Untersuchungsausschuss einrichtet, um die Fehler und Versäumnisse der Landesbehörden im Detail zu beleuchten.

 

In Baden-Württemberg selbst dagegen scheinen bei weitem nicht alle scharf zu sein auf schonungslose Aufklärung. Anfang des Jahres sagte der CDU-Obmann im NSU-Ausschuss des Bundestags, der aus dem Schwarzwald stammende Ex-Polizeikommissar Clemens Binninger, die baden-württtembergischen Sicherheitsbehörden müssten sich noch einige kritische Fragen in Sachen NSU anhören – und bekam ausgerechnet von einem Parteifreund aus dem Ländle Contra.

 

Man brauche keine Ratschläge aus der Ferne, wetterte der Innenexperte der Landtags-CDU in Stuttgart, Thomas Blenke, gen Berlin. Er befand: In Sachen NSU weise „nicht übermäßig viel nach Baden-Württemberg“.

 

Noch weiter danebenliegen könnte er nicht.