NSU in MV: Kein Interesse an Aufklärung

Das Problem heißt Rassismus

Der Nordosten schweigt: Über die Verbindungen des NSU nach Mecklenburg-Vorpommern und das Scheitern der parlamentarischen und öffentlichen Aufklärung

Vor einem Jahr wurde bekannt, dass unbemerkt von Polizei und Verfassungsschutz die Neonazis des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zehn Menschen ermorden konnten. Ein Mensch fiel ihnen auch in Mecklenburg-Vorpommern in Rostock zum Opfer, zwei Banküberfälle wurden in Stralsund verübt. Die Gruppierung hatte vielfältige, unbemerkte Verbindungen in das Bundesland, wahrscheinlich auch Helfer. Doch Opposition und Regierung verweigern sich einer öffentlichen Aufklärung.


Ein Struktur- und Mentalitätsproblem der Behörden machte jüngst der Vorsitzendes des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), für deren Versagen angesichts der Aktivitäten der rechten Terror-Truppe verantwortlich. In Mecklenburg-Vorpommern jedoch können eben jene Strukturen die öffentliche Aufklärung verhindern und die Taten der Mörder vertuschen. Erst vor wenigen Tagen drohte Innenminister Lorenz Caffier (CDU) für seine Länderkollegen dem Untersuchungsausschuss von Thüringen, dessen Arbeit massiv zu behindern, wenn er nicht der Schwärzung von Akten zustimmt. In seiner Heimat lässt Caffiers Ministerium alle Anfragen von Medien und Parlamentariern abblitzen. Der Landtag macht es ihm einfach: Weder die Oppositionsparteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen noch die Regierungspartei SPD haben sich auch nur ansatzweise um einen Untersuchungsausschuss bemüht.

Strukturen von NSU-Unterstützern auch in MV aktiv

Dabei ist angesichts der Aufdeckungen der Untersuchungsausschüsse des Bundestages und anderer Bundesländer eine Vielzahl von Fehlern und Verfehlungen von Polizei und Verfassungsschutz auch in Mecklenburg-Vorpommern anzunehmen. Die Liste der bisher öffentlich gewordenen Verbindungen des NSU in den Nordosten ist lang – und die Sicherheitsbehörden haben ein berechtigtes Interesse, dass weitere Fakten nur als Randnotiz im absehbaren Verfahren vor dem Bundesgerichtshof oder gar nicht öffentlich werden.

Allein Rostock und Stralsund als Tatorte des NSU fernab seiner anderen Aktivitäten legen Verbindungen in das regionale Neonazi-Milieu nahe. Bereits unmittelbar nach ihrem Eintritt in die Illegalität konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe auf finanzielle und logistische Unterstützung des konspirativ agierenden Blood&Honour-Netzwerkes bauen. Auf einer Liste möglicher Unterstützer fanden sich auch mehrere Namen aus Rostock. Um die Hansestadt wie auch in Ostvorpommern waren Ende der 1990er und Anfang des vergangenen Jahrzehnts die Schwerpunkte dieser Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt. Nach dem Verbot des deutschen Ablegers von Blood&Honour im Jahr 2000 und der Zerschlagung von Nachfolgestrukturen füllte die nicht weniger verdeckt vorgehende „Hammerskin Nation“ die Lücken und übernahm das profitable Geschäft mit Rechtsrock-Konzerten, -Produktionen und -Merchandise. In diesem Milieu kursierte bereits vor dem Auffliegen des NSU ein Lied „Döner-Killer“, in dem die rechten Morde besungen wurden und das auf Insiderwissen schließen lässt. Als einer der Köpfe der „Hammerskins“ gilt Malte Redeker, der in Stralsund das Szenegeschäft „Headhunter“ betreibt. Zumindest zeitweilig war dort auch der NPD-Kader Karsten Münchow angestellt.

Münchow bewegt sich im ausgeprägten Geflecht von NPD, Kameradschafts-Szene und Rechtsrock-Milieu in Vorpommern. In mehreren Objekten finden seit Jahren einschlägige Konzerte statt, etwa in Salchow bei Anklam. Noch im Mai 2011 hat dort laut Blick nach Rechts an einem Neonazi-Event André Emminger teilgenommen, der die NSU-Untergetauchten jahrelang unterstützte und engen Kontakt zu ihnen hielt. Bei so viel Verbundenheit ist es nicht verwunderlich, dass das Neonazi-Trio mindestens im Jahr 2009 Urlaub in Ostvorpommern gemacht hat, Medienberichten zufolge möglicherweise auch schon bereits 2000.

Führende NPD-Kader mit Kontakt zum NSU

Doch auch zu Neonazis im Westen von Mecklenburg-Vorpommern hatten die NSU-Mitglieder Kontakt: 1999 übernahm der Szene-Anwalt Hans-Günther Eisenecker das Mandat für Beate Zschäpe, der in ihrem Auftrag im März des Jahres Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft Gera beantragte. Der damalige Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD wurde in dieser Zeit vom Verfassungsschutz observiert.

Aufsehen erregte weiterhin ein Grußwort an den NSU in der Szene-Zeitschrift „Der Weisse Wolf“ bereits im Jahr 2002, die zum damaligen Zeitpunkt wesentlich von dem Neonazi und heutigen NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit verantwortet wurde. Bei anschließenden Hausdurchsuchungen stellte die Polizei einen Brief des NSU sicher, der mutmaßlich inklusive etwa 2.500 Euro bei den Machern der Zeitschrift eingegangen war. Weitere Recherchen und Ermittlungen enthüllten Verbindungen von Spitzeln zur Redaktion: So soll ein V-Mann des Landesverfassungsschutzes bereits 2002 auf den Eingang der anonymen Spende hingewiesen haben. Mitte der 1990er schrieb der Dresdener Neonazi Thomas Starke für „Der Weisse Wolf“, der sich in der Folgezeit in den Blood&Honour-Strukturen auftauchte und dem NSU-Trio Sprengstoff besorgte. Ab 2001 war er als V-Person für das Berliner Landeskriminalamt tätig war und informierte die Beamten 2002 ohne Nennung von Namen über drei untergetauchte und wegen Sprengstoffdelikten gesucht Thüringer Neonazis. Die Internetseite des Neonazi-Magazins lag auf dem Webspace von Thomas Richter, für dessen Online-Dienste mehrere Anzeigen in einer Ausgabe werben. Richter war ein Bekannter von Uwe Mundlos und bewegte sich im Blood&Honour-Netzwerk und später bei den Hammerskins in Sachsen-Anhalt. Mindestens von 1997 bis 2007 soll er dem Bundesverfassungsschutz als Spitzel gedient haben. In Medien und Landtag heißt es weiterhin, dass möglicherweise eine der Bekenner-DVDs des NSU während dessen Enttarnung aus Rostock verschickt wurde.

Im Verhältnis von NSU, V-Leuten und Sicherheitsbehörden sind in den vergangenen Wochen in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen äußerst fragwürdige Methoden aufgedeckt worden. In Bezug auf Mecklenburg-Vorpommern wurde bisher einzig die Ermittlungsarbeit nach dem rassistischen Mord an Mehmet Turgut publik: So soll am Tatort ein Symbol erkennbar gewesen sein, dass einem Symbol in einem Dokument des NSU zu einem späteren Mord ähnelt. Mit den Ermittlungen wurde ein Spezialist für Drogenkriminalität beauftragt. Dieser gab gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Protokoll, dass der Verfassungsschutz die Polizei auf einen Rauschgift-Hintergrund hingewiesen und keine Informationen über Verbindungen zur rechten Szene erwähnt hätte. Das Innenministerium streitet unterdessen eine einseitige Beeinflussung der Ermittlungen der Polizei ab. Die falsche Spur führte zur langen Kriminalisierung der Opfer, die auch die Angehörigen Verdächtigungen und Diffamierungen aussetzte.

Verfassungsschutz mauert und diffamiert Kritiker

Ein Versagen des Verfassungsschutzes bei der Überwachung der Kontakte der Neonazi-Szene von Mecklenburg-Vorpommern zu den zur Fahndung ausgeschriebenen NSU-Mitgliedern, mögliche Verwicklungen von V-Leuten in das Umfeld der Rechtsterroristen und eventuelle Einflussnahme des Inlandgeheimdienstes auf die Arbeit der Polizei – die Fragezeigen im Zusammenhang mit den Aktivitäten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ im Bundesland sind groß. Doch das Innenministerium mauert seit Monaten. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 finden sich nur wenige Sätze über den NSU, stattdessen stellen ausholende Angriffe gegen kritische Antifaschisten und Diffamierungen von friedlichen Anti-Nazi-Aktivitäten wie Sitzblockaden als extremistisch den politischen Charakter der Behörde bloß. Damit setzt die hiesigen Verfassungsschützer das aggressive und arrogante Vorgehen ihrer Kollegen in Land und Bund fort, die durchweg mauern, Informationen verschweigen und wie jüngst der frühere Bundes-VS-Vize und heutige Staatssekretär im Bundesinnenministerium Klaus-Dieter Fritsche die parlamentarische Aufklärung brüsk attackieren. Wie viele Akten über den NSU und seine Verbindungen in den Nordosten in Schwerin vernichtet und welche V-Leute bereits frühzeitig Informationen gegeben haben, wird mangels eines Untersuchungsausschusses im Bundesland wohl nicht in Erfahrung gebracht werden können.

Das Interesse der Landtagsparteien an der Aufklärung bleibt gering, trotz vorhandener Möglichkeiten hat sich die Opposition nicht um die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses bemüht. Der SPD kann daran nicht gelegen sein – als Regierungspartei seit 1998 müsste sie zwangsläufig Fehler, Versäumnisse und Skandale verantworten. Nichtsdestotrotz offenbaren die Informationen der vergangenen zwölf Monate, dass der NSU Kontakte zur rechten Szene Mecklenburg-Vorpommerns hatte und sich im Bundesland ungehindert bewegen und morden konnte. Und dass Polizei und Verfassungsschutz in der Auseinandersetzung mit Neonazismus keine Bündnispartner einer Zivilgesellschaft sein können, sondern der öffentlichen Aufklärung über rechte Aktivitäten eher im Wege stehen.


Heute in Mecklenburg-Vorpommern Kundgebungen "Das Problem heißt Rassismus! Schluss mit der Vertuschung der NSU-Morde!"

Rostock: Montag, 5. November 18 Uhr, Neuer Markt (geänderter Ort!)
Stralsund: Montag, 5. November 18 Uhr, Alter Markt
Greifswald: Montag, 5. November 18 Uhr, Marktplatz
Neubrandenburg: Montag, 5. November 18 Uhr, Bahnhofsvorplatz