Die deutsch-österreichische Freundschaft

Erstveröffentlicht: 
04.10.2012

Ein Prozess in Wien gegen die Betreiber einer neonazistischen Website beschäftigt nun auch deutsche Ermittler. Ein deutscher Burschenschafter hatte offenbar Kontakte zu bewaffneten Neonazis.

 

Von Thorsten Mense

 

Ein in Wien laufendes Gerichtsverfahren gegen drei österreichische Nazis erhält mittlerweile auch in Deutschland Aufmerksamkeit. Dabei offenbart sich nicht nur aufs Neue, dass militante Nazis in Deutschland weiterhin gefährlich sind, sondern auch, dass sie nach wie vor fester Bestandteil der Szene sind und nicht abseits von ihr handeln. Die deutschen Behörden ermitteln gegen einen Hamburger Hacker und Website-Betreiber mit engen Verbindungen zum Chaos Computer Club (CCC) sowie einen Göttinger Studenten und Burschenschafter. Auch ein toter Neonazi mit einem Rucksack voller Waffen spielt eine große Rolle.

 

Im Mai begann in Wien der Prozess gegen den bekannten österreichischen Nazi Gottfried Küssel und zwei Mitstreiter. Sie sind angeklagt, für die neonazistische Internetseite alpen-donau.info verantwortlich zu sein und sich damit der »Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus« schuldig gemacht zu haben. Im Laufe des Gerichtsverfahrens wurde bekannt, dass weitere Administratoren der Seite aus Deutschland kommen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigte der Frankfurter Rundschau vor zwei Wochen, dass sie wegen eines Amtshilfeersuchens entsprechende Ermittlungen aufgenommen hat.

 

Der Hauptverdächtige ist Robert M. aus Hamburg, der gemeinsam mit einem der in Österreich Angeklagten den Anonymisierungsdienst »Perfect Privacy« betreibt. Er soll den Server betrieben haben, auf dem neben der österreichischen Seite fast 50 weitere neonazistische Seiten untergebracht waren. In Hamburger Hackerkreisen scheint M. bekannt zu sein, unter anderem ist er der Vorsitzende des Hackertreffs Attraktor, in dem sich auch der CCC traf. Nachdem die Organisation M.s mögliche neonazistische Betätigung anfangs ignoriert und dann verleugnet hatte, distanzierte sie sich mittlerweile von dem Verdächtigen und seinem Verein.

 

Der zweite mutmaßliche Administrator aus Deutschland, gegen den die Hamburger Staatsanwälte nun ermitteln, ist Michael J., ein Student der Arboristik und Mitglied der Burschenschaft Hannovera in Göttingen. J. hatte bereits vor einem Jahr in der Stadt für Aufregung gesorgt, da sein Name auf einer NPD-Spenderliste aufgetaucht war. Die Hannovera hatte ihn damals in Schutz genommen. Die Spende liege sehr lange zurück, grundsätzlich dulde man »keine extreme Politik« in den eigenen Reihen, sondern fordere das »aktive Eintreten für Ehre, Freiheit und das Vaterland«, schrieb die Burschenschaft damals in einer Stellungnahme.

 

Nun steht sie nicht nur wegen der Ermittlungen erneut unter Rechtfertigungsdruck. Recherchen antifaschistischer Gruppen zufolge betätigte sich ihr Mitglied in dem kürzlich verbotenen Naziforum thiazi.net und ist zurzeit auf grossdeutsches-vaterland.net zu finden. Neben Glückwünschen zum Geburtstag Adolf Hitlers (»Sein Licht brennt auch in dieser tiefen Dunkelheit und verhilft manchem Deutschen zu etwas Wärme und Hoffnung«) und Phantasien davon, Listen jüdischer Einwanderer zu erstellen, verbreitete er dort auch Werbung für die Deutsche Burschenschaft (DB). Sein Profilbild ist ein Foto des NS-Strategen und maßgeblichen Planers der »Endlösung«, Reinhard Heydrich, sein Profilname lautet »Langemarck«. Im Meyers-Lexikon von 1939 wird die belgische Stadt als »Sinnbild der deutschen Vaterlandsliebe und Einsatzbereitschaft bis zum Tode« bezeichnet. In dieser NS-Tradition stehend, pflegt die DB bis heute ihr dort zu Ehren der gefallenen »national begeisterten Studenten« errichtetes Denkmal, den sogenannten Weihestein.

 

Auch der Dachverband, dem die Burschenschaft Hannovera angehört, gerät durch die jüngsten Enthüllungen erneut unter Druck. Schon seit geraumer Zeit muss sich die DB mit einem gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit für ihre völkische Ideologie herumschlagen. Das »Bündnis gegen Burschentage«, das die alljährlichen Proteste in Eisenach organisiert, sieht nun ein weiteres Mal die »völkische und rassistische Ideologie der Deutschen Burschenschaft« belegt. Mittlerweile sei J.s Mitgliedschaft »suspendiert«, kann man derzeit auf der Homepage der Hannovera lesen. Personen mit einer »pro-nationalsozialistischen Weltanschauung« könnten nicht Mitglied der Burschenschaft sein.

 

So groß scheinen die inhaltlichen Differenzen aber in der Vergangenheit nicht gewesen zu sein. J. hatte im Wintersemester 2008/2009 im Namen der Hannovera einen Artikel in den Burschenschaftlichen Blättern, der Verbandszeitung der DB, veröffentlicht. Darin begrüßte die Göttinger Burschenschaft, dass ein Rechtsausschuss der DB den völkischen »Arierparagraphen«, also die deutsche Abstammung als notwendige Voraussetzung für die Mitgliedschaft, bekräftigt hatte. »Den modernen Multi-Kulti-Wahn mit all seinen Illusionen möchten wir nicht bei uns. Er wird in Deutschland und Österreich nach unserer Überzeugung auch keine Zukunft haben«, schrieb J. damals im Auftrag der Hannovera.

 

Angesichts seiner mutmaßlichen Kontakte zu bewaffneten Neonazis könnte man dies als offene Drohung verstehen. Denn noch bemerkenswerter als die neonazistischen Aktivitäten des Burschenschafters im Netz sind seine Verbindungen zu dem dritten als Administrator Verdächtigen. Es handelt sich um den kürzlich verstorbenen Neonazi Jörg Lange. Der 45jährige Lange wurde im Frühjahr nach einer Herzattacke tot in der Pension »Weißes Haus« in der Nähe von Berlin aufgefunden, mit einem Rucksack voller Waffen und Munition. Die Lebensgefährtin des langjährigen rechtsextremen Funktionärs Meinolf Schönborn hatte das Gasthaus gepachtet, in dem Lange starb. Schönborn, der schon 1985 die später verbotene Nationalistische Front (NF) gegründet hatte, wollte dort gemeinsam mit Lange ein »Schulungszentrum« einrichten.

 

Nachdem die Polizei Langes Leiche und die Waffen gefunden hatte, wurde der Pachtvertrag für die Pension aufgelöst. Im Juli durchsuchten Polizeibeamte im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz und der Bildung einer bewaffneten Gruppe unter anderem auch die Geschäftsräume, in denen Schönborn einen rechtsextremen Versandhandel betreibt. Sein Mitstreiter Lange hatte während des Jugoslawien-Kriegs an der Seite der kroatischen Milizen gekämpft. Dies zeigt die Gefahr auf, die auch weiterhin von bewaffneten Neonazis in Deutschland ausgeht.