Freiburgs Polizeichef Heiner Amann: "Ich bin kein Hardliner"

Erstveröffentlicht: 
19.09.2012

Ruhestand

 

Freiburgs Polizeichef Heiner Amann geht nach 44 Jahren Polizeidienst in den Ruhestand. Im BZ-Interview spricht er über linke Demos, Lärm in der Altstadt und warum er gegen einen kommunalen Ordnungsdienst in Freiburg ist.

 

Eigentlich wäre Heiner Amann gerne noch bis zur Umsetzung der Polizeireform Chef der Polizeidirektion (PD) Freiburg, der zweitgrößten im Land, geblieben. Aber im Innenministerium in Stuttgart wollte man das nicht. Der scheidende Chef der PD Freiburg, zu deren Einzugsbereich die Stadt Freiburg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald gehören, spricht über die Reform, mehr als vier Jahrzehnte im Dienst der Polizei und den bevorstehenden Ruhestand.

 

BZ: Herr Amann, sind Sie nicht froh, dass Sie die Reform bei der Polizei nicht mehr miterleben müssen?
Heiner Amann: Meine Antwort fällt zwiespältig aus: Es ist gut, wenn eine Reform auch personelle Wechsel an der Spitze mit sich bringt, das erleichtert vieles in der Umsetzung. Ich selbst hätte das Geschäft bis zur tatsächlichen Umsetzung der Reform aber gerne noch fortgeführt, um die Polizeidirektion Freiburg und ihre Mitarbeiter in die neuen Strukturen zu überführen.

BZ: Sie hätten gerne noch weitergemacht?
Amann: Ich hätte es mir sehr gut vorstellen können. Es war für mich immer klar, dass es falsch wäre, in die neue Organisation hineinzugehen. Aber den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass jemand da ist, der sie kennt, und der in der Strukturreform ihre Interessen vertritt, das hätte ich gerne gemacht.

BZ: Sie sind CDU-Mitglied. Hat die Entscheidung etwas mit Ihrem Parteibuch zu tun?
Amann: Ich weiß es nicht, ich habe keine Anhaltspunkte dafür. Irgendetwas hat offensichtlich nicht ganz gepasst.

BZ: Bringt die Reform sowohl Ihren Mitarbeitern als auch dem Bürgern einen Nutzen?
Amann: Die Reform als solche halte ich für richtig und notwendig. Wir hatten einen Reformstau. Ob diese ganz große Reform für die Mitarbeiter nicht eine Nummer zu groß ist, weil einfach sehr viel an persönlichen Bindungen an den Bereich und die Tätigkeit verloren gehen, da habe ich persönlich meine Bedenken, das sage ich ganz offen. Bei den bisherigen Konstellationen glaube ich, dass die angestrebten Erfolge mit weniger Aufwand auch erzielbar gewesen wären.

BZ: Welche Bindungen gehen denn verloren?
Amann: Wenn Sie die Polizeidirektion Freiburg - die zweitgrößte im Land - betrachten, dann arbeiten da bisher 1200 Mitarbeiter. Schon jetzt ist es unwahrscheinlich schwierig, die Mitarbeiter noch zu kennen und sie ihren Fähigkeiten, Kenntnissen und Möglichkeiten entsprechend einzusetzen. Eigentlich besteht die Polizeidirektion ja schon jetzt aus zwei Direktionen: dem Stadtbereich und dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Zu diesem schwierigen Komplex kommen jetzt noch die Bereiche Emmendingen, Lörrach und Waldshut hinzu. Inwieweit da noch eine Identifikation zur Organisation Präsidium da ist, das wird die Zeit zeigen müssen.

BZ: Sie haben 1968 bei der Polizei angefangen, wie hat sich die Polizeiarbeit in mehr als vier Jahrzehnten verändert?
Amann: Die Polizei hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und grundlegend gewandelt, egal ob das Ausbildung, Denkansätze, Führungsstrukturen und -philosophien betrifft. Wobei nicht alles, was neu und modern ist, positive Wirkung entfalten muss. In jedem Fall kann man die heutige Polizei mit der von 1968 nicht mehr vergleichen. Ich habe in Lahr mit der Ausbildung angefangen: Das war damals ein sehr positiver Standort, da waren andere mehr rückwärtsgerichtet. Die Ausbildung war vergleichbar mit der bei der Bundeswehr - wir haben dieselben "Spiele" mit Robben, Marschieren, Trainieren mit dem Maschinengewehr gemacht. Das war noch deutlich geprägt von der Kriegsgeneration, unserer Hundertschaftsführer waren nach dem Zweiten Weltkrieg zur Polizei gewechselt, weshalb ein gewisser militärischer Aspekt überwog. Ich habe das damals sehr beklagt, mir ist der fachliche Aspekt zu sehr in den Hintergrund getreten.

BZ: Bei den Veränderungen spielt der technische Fortschritt bei der Polizeiarbeit doch sicherlich eine große Rolle?
Amann: Natürlich spielt die Technik dabei eine wichtige Rolle, auch wenn sie nicht die Wirkung entfaltet hat, wie man erhofft hat. Natürlich hat sie vieles erleichtert, aber ich bin überzeugt davon, dass der Nutzen der Technik – schneller, besser, umfassender – sich in Teilen bei uns auch negativ niedergeschlagen hat: Die Perfektionierung wurde immer ausgeprägter, auch geprägt durch die Rechtsprechung. Denn heute ist jeder noch so kleine, denkbare Einzelfall gesetzlich geregelt, was den Ausbildungsaufwand erheblich erhöht und auch bei der Aktenführung einen sehr viel größeren Aufwand erfordert. Ziel war und ist es, dank der Unterstützung durch Technik die Kolleginnen und Kollegen mehr an den Bürger heranzubringen. Die Wirkung ist aber in weiten Bereichen umgekehrt, weil die Polizisten so sehr mit formellen und formalen Verwaltungstätigkeiten beschäftigt sind, dass ihre Zeit draußen immer weniger wird. Wenn ich einen Vorfall auf der Straße aufnehme, ist die Zeit, die ich dafür brauche, im Regelfall ein Drittel von dem, was ich anschließend am PC machen muss. Das ist etwas, was mich nicht befriedigen kann.

BZ: In Freiburg hat es zuletzt mehrere Fälle von Gewalt gegen Polizisten gegeben.
Amann: Man muss da sicherlich etwas tun – wenn ich wissen würde was, würde ich das sagen. Das ist eine negative Entwicklung in der gesamten Gesellschaft – die Leute können keine Konflikte mehr austragen. Sie reagieren sehr schnell massiv handgreiflich. Der natürliche Respekt fehlt. Das schlägt sich dann auch gegenüber staatlichen Stellen nieder, und da die Polizei immer zuerst und zuvorderst da ist, muss sie am meisten ausbaden. Wir brauchen sicherlich keine neuen Gesetze, aber wir müssen den Spielraum, den die bisherigen bieten, stärker nutzen – es müssen klare Grenzen gesetzt werden.

BZ: Freiburg ist seit Jahren laut Statistik die kriminellste Stadt des Landes.
Amann: Ich bin immer davon ausgegangen, dass es Ursachen geben muss, und wenn ich die finde, kann ich ihnen entgegen wirken. Solange ich daran geglaubt habe, hat mich das sehr beschäftigt. Das Max-Planck-Institut hat errechnet, wie hoch unter Berücksichtigung der soziokulturellen Parameter die Kriminalitätsbelastung in Freiburg sein dürfte. Wir lagen dann zwar immer noch über diesem hohen Wert, aber ab diesem Zeitpunkt habe ich nicht mehr die Hoffnung gehabt, dass wir mit deliktischen Ansätzen eine Verringerung dieser Zahlen erreichen können. Es ist ein Strukturproblem, aber das Problem hängt auch mit der Personalausstattung zusammen.
"Wir haben in vielen Bereichen im Vergleich zu anderen Polizeidirektionen die doppelte Arbeitsbelastung"

BZ: Sie haben neulich im Gemeinderat beklagt, dass Ihnen Personal fehlt.
Amann: Die Zuweisung des Personals erfolgt landesweit nach einem Verteilerschlüssel: Der ergibt sich zu 25 Prozent aus der Belastung – das sind Unfälle und die Kriminalität – und zu 75 Prozent aus den Strukturdaten. Das führt dazu, dass es eine personelle Konzentration im Großraum Stuttgart gibt. In Freiburg machen wir die Betrachtung an der Belastung der Polizisten fest – an der Frage, was der einzelne Beamte arbeiten muss, ohne dass er Prävention oder sonst etwas macht. Da steht Südbaden insgesamt – und Freiburg ganz extrem – schlecht da. In der gesamten Polizeidirektion Freiburg haben wir deutlich weniger Polizisten als andere vergleichbare Direktionen, aber in vielen Bereichen die doppelte Arbeitsbelastung. In meiner Bewertung führt das mit dazu, dass bei uns die Kriminalitätsbelastung so hoch ist.

BZ: In der Altstadt hat die Gewalt zugenommen. Stehen Sie weiter hinter einem neuen Anlauf für die Wiedereinführung eines Alkoholverbots?
Amann: Aus polizeilicher Sicht halte ich es für richtig und erforderlich, wobei ein Alkoholverbot ohne umfassende präventive Maßnahmen keine echte Wirkung erzielt. Natürlich muss man sich städtepolitisch Gedanken machen: Was will ich in einer Innenstadt? Das geht dann über das Thema Alkohol und Gewalt hinaus und bezieht das Thema Lärm mit ein. Wenn man noch eine bewohnte Innenstadt will, muss man bereit sein, da Maßnahmen zu treffen. Oder – was nicht meine Meinung ist – man sagt: Die Innenstadt ist eine reine Amüsierzone, und wer meint, dort wohnen zu müssen, muss das aushalten. Das sind zwei Extrempositionen, dazwischen eine Annäherung zu finden, ist der schwierige Weg.

BZ: Die Polizei hat wichtigere Aufgaben, als nachts Trommler auf dem Augustinerplatz zur Ruhe zu ermahnen. Warum lehnen Sie dennoch einen kommunalen Ordnungsdienst ab, der die Arbeit der Polizei entlasten könnte?
Amann: Sicherheit gehört in eine Hand, finde ich, das kann für mich nur bei der Polizei liegen. Das Land muss für die Sicherheit der Bürger verantwortlich sein, und das nicht aus fiskalischen Gründen abwälzen. Es gibt jetzt schon gewisse Aufsplittungen von Zuständigkeiten mit Polizei, Bundespolizei und Zoll. Für mich ist das der falsche Weg.

BZ: Was bedeutet das für die Altstadt?
Amann: Der Bürger muss wissen, wer sein Ansprechpartner ist. In der Innenstadt gibt es in der Regel einen gewissen Alkoholpegel, eine Feierlaune, in der sich die Leute sowieso von niemandem was sagen lassen. Und dann kommt der kommunale Ordnungsdienst ohne Eingriffszuständigkeiten – die hat er nicht, er darf keinen unmittelbaren Zwang anwenden. Und dann darf die Landespolizei anrücken. Ich befürchte, dass die Polizei da nicht weniger, sondern mehr Arbeit hat. Zudem kenne ich keine Stadt, wo ein kommunaler Ordnungsdienst diese Probleme gelöst hat. Die Probleme sind dafür einfach zu massiv.

BZ: Vor allem 2005 und 2006 gab es Kritik, auch aus dem Gemeinderat, an Ihnen und der Polizei wegen des Umgangs mit linken Demos. Sie hätten den Freiburger Weg verlassen, hieß es da. Sind Sie ein Hardliner?
Amann: Ich bin kein Hardliner, aber bin jemand, der für klare Linien ist, auch wenn sie weh tun. Das gilt nicht nur nach außen, sondern auch intern. Wenn ich die Entwicklung der letzten achteinhalb Jahre sehe, würde ich sagen: Alles richtig gemacht. Wir hatten 2004 bis 2007 sehr viele gewalttätige Demonstrationen – das ist in den Jahren danach immer weniger geworden. Deswegen bin ich dennoch überzeugt, dass der eingeschlagene Weg der richtige war. Versammlungsrecht ist ein elementares Recht, daran wollten weder ich noch die Polizei etwas ändern. Aber auch dafür gelten gewisse Regeln. Wer als Bürger Rechte einfordert, muss auch seine Pflichten sehen. Und das ist etwas, was in Freiburg diametral auseinander gelaufen ist. Ein kleiner Teil der jeweiligen Versammlungsteilnehmer hat die Rechte aller anderen permanent mit Füßen getreten. Es gab für sie immer nur ihre Sichtweise. Es gab keine Anmeldung und lange Jahre keine Ansprechpartner. Es ging weniger darum, ein Anliegen zu formulieren, sondern darum, andere zu ärgern.

BZ: Es gab wohl nie einen Freiburger Polizeichef, der so eine Dichte an Großereignissen erlebt hat wie Sie in den vergangenen Jahren. Was ist da bei Ihnen hängen geblieben?
Amann: Jede Veranstaltung war besonders. Bei der Auftaktdemo vor dem Nato-Gipfel ist die Anspannung sehr groß gewesen, weil wir alle noch die Bilder von Rostock-Heiligendamm vor dem geistigen Auge hatte. Stress pur war der deutsch-französische Gipfel. Wir hatten erst sechs Wochen vorher erfahren, dass das Treffen in Freiburg stattfindet. Eine vollkommen neue Erfahrung für uns war, dass es hieß: Protokoll geht vor Sicherheit. Das hatten wir bis dahin noch nicht so verinnerlicht. Wenn es nach der Polizei gegangen wäre, wären Frau Merkel und Herr Sarkozy ganz sicher nicht über den Weihnachtsmarkt gelaufen.

BZ: Und dann kam noch der Papst.
Amann: Das muss ich ganz klar sagen: Das war für mich das schönste Ereignis. Ich dachte von Anfang an: Das wird ein fröhliches Event. Es war für mich auch etwas ganz Besonderes, dass es danach in Rom noch einen persönlichen Händedruck gegeben hat.

BZ: Was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenommen?
Amann: Ich habe mir noch keinen Plan gemacht. Ich hoffe, dass meine Frau und ich gesund bleiben. Gemeinsames Wandern und Radfahrern stehen sicher in unserem Mittelpunkt. Was kann man sich Besseres vorstellen? Was mich eventuell reizen könnte: Meine dienstlichen Stationen als Wanderung miteinander zu verbinden – Zwickau, Waldshut-Tiengen und Freiburg.

 


 

INFO

Heiner Amann wurde am 30. Oktober 1951 in Waldshut-Tiengen geboren und wuchs im nahen Küssaberg auf. Im Oktober 1968 begann er seine Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei in Lahr. Er arbeitete unter anderem bei der Polizei in Waldshut-Tiengen und der Landespolizeidirektion Freiburg, war nach der Wende Leiter der Polizeidirektion (PD) im sächsischen Zwickau, später der PD Waldshut-Tiengen und der Abteilung Polizeiliche Aufgaben bei der Landespolizeidirektion Freiburg. Seit Mai 2004 ist er Chef der PD Freiburg. Amann ist verheiratet und hat einen 36-jährigen Sohn, der auch Polizist ist.

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Ich gönne ihm sehr aus politischen Gründen abgesägt worden zu sein.

Witzig ist auch, dass im BZ-Forum alle kritischen Kommentare zu Heiners Regentschaft gelöscht werden.