Während der ersten Tage der Europameisterschaft organisierten wir Führungen für Gäste und StadtbewohnerInnen durch den Warschauer Stadtteil Praga, um ihnen einige historisch interessante Orte zu zeigen und ihnen die Realität über die Wohnungssituation in Warschau zu verdeutlichen. Unsere Intention war es den Leuten die Wirklichkeit hinter der glänzenden Fassade des neuen Nationalstadions vorzuführen.
Dutzende Menschen kamen am Wochenende zu den Touren, die in vier Sprachen abgehalten wurden. Überraschenderweise interessierten sich besonders WarschauerInnen für die Führungen. Einige kamen sogar mehrere Male und baten uns die Touren auf andere Stadtteile auszuweiten. Es kamen auch PressevertreterInnen und die größte Tageszeitung von Warschau brachte es Montags sogar auf dem Titelblatt, mit einem Kommentar des Autors, der sich sehr schockiert zeigte über das was er zu sehen bekam.
Neben scheußlichen Wohnungsbedingungen ist die Vernachlässigung kultureller, religiöser, historischer und architektonischer Sehenswürdigkeiten erkennbar. Das geht seit Jahrzehnten so. Unter den ersten Anlaufpunkten unserer Tour war eine Stelle an der einmal eine Synagoge stand, die den Krieg unbeschadet überstanden hatte. Sie wurde erst im Jahr 1961 eingerissen, obwohl sie in einem hervorragenden Zustand war. Wir zeigten den Menschen einige historische Photographien davon. Dieser Ort, einer der wenigen wichtigen mit dem Judentum verknüpften Orte in der Nachbarschaft, war den Erhalt scheinbar einfach nicht wert. Heute passiert das gleiche. Wir besuchten historische Gebäude, die einst als Sehenswürdigkeiten registriert waren, die dann aber für Stadtplaner wieder deregistriert wurden, wie die alte Schlächterei, die vor weniger als einem Monat abgerissen wurde.
Ein weiterer Skandal bei unserer Führung war die Anwesenheit einer Sprecherin der Stadt, die in einer verelendeten Straße auf einmal begann die TeilnehmerInnen als Nichtsnutze zu beschimpfen und forderte die ganze Gegend dem Boden gleich zu machen. Das ist genau das Verhalten der lokalen politischen Elite und es löste Wut bei den TeilnehmerInnen aus. Während der Tour kommentierten Mitglieder des MieterInnen-Verteidigungs-Komitees die Lage und erklärten wofür die Gelder der Stadt ausgegeben werden. So sind uns beispielsweise einige der Investitionen bekannt, wie die Renovierung einer Fassende der Feuerwehr für 3,1 Millionen Zloty. Dabei geht es nur um die Reparatur der Fassade. Wir zeigten auf, dass die Instandsetzung eines bewohnten Hauses nicht mehr als 3 Millionen Zloty kostet und die Kosten für den Neubau eines Hauses für 69 Familien sich auf ungefähr 15 Millionen Zloty belaufen. Außerdem verwiesen wir auf die Ausgaben für unnötige Busunterkünfte, neue Fassaden oder Banner für die Europameisterschaft - während woanders die Häuser in sich zusammen brechen. Wir zeigten ebenso Gebäude, die von der Stadt zu einem inflationären Preis aufgekauft wurden und zeigten wie die Stadt einzigartige architektonische Bauwerke großen Wertes entkernt. Dazu sagte die Sprecherin der Stadt kein Wort.
Quelle mit unzähligen Bildern: Social Warsaw Blog
Siehe auch: Wohnungen statt Spiele auf www.fau.org