Erfahrungen und Perspektiven: Gerichtsprozesse offensiv führen!

Richterkeule

Mehrere Gerichtsprozesse mit offensiv agierenden Angeklagten und mehrfach LaienverteidigerInnen an ihrer Seite führten in den vergangengen Wochen zu Einstellungen oder sogar Freisprüchen. Das ist zwar keine Trendwende beim sozialen Morden, Isolieren und bei politischer Justiz in den Urteilsfabriken, aber ein deutlicher Hinweis, dass es sich lohnt, nicht nur defensiv das Maul zu halten und der Elitenherrschaft selbst Vorschub zu leisten, in dem bezahlte RobenträgerInnen für eineN reden. Einige Fallbeispiele ...

 

 

http://www.prozesstipps.de.vu

 

Prozess gegen Flughafenaktivisten in Mainz

Schon einige Wochen her ist ein Verfahren, welchem ein Prozesstraining vorher ging, so dass etliche Personen einschließlich des Angeklagten gut vorbereitet in den Prozess gingen. Entsprechend sah es am 5.1.2012 auch im Gerichtssaal aus, was die Staatsanwältin zum wutentbrannten Verlassen des Gerichtssaales veranlasste (mit Türenknallen). Das Verfahren wurde noch während der Verlesung der Anklage/Strafbefehl abgebrochen. Der Laienverteidiger, der das Verfahren mit vorbereitet hatte, brauchte gar nicht mehr einzugreifen. Medien berichteten, z.B. hier. Bislang ist nichts über eine Fortsetzung des Verfahrens bekannt.

 

Prozesse gegen Gentechnik-AktivstInnen I: Oschersleben

Arbeiten die Justizbehörden in Sachsen-Anhalt als Dienstleister für die Agro-Gentechnik? Die Frage musste mensch stellen angesichts eines skurrilen Strafprozesses in Oschersleben. Der Anlass: Seit mehreren Jahren stehen in der Börde ca. die Hälfte aller deutschen Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Sie sind Teil eines Schaugartens, in dem es vor allem um Propaganda geht. Das Gelände ist seit Jahren umstritten. KritikerInnen bemängeln, dass hier hohe Auskreuzungsrisiken bestehen, nur um für solche Pflanzen zu werben. Mehrfach wurden Verstöße gegen Sicherheitsauflagen und schlampige Kontrolle der Felder nachgewiesen. Doch während Polizei, Staatsanwaltschaften und Kontrollbehörden hier nie einschritten,
werden GentechnikkritikerInnen mit absurden Anklagen verfolgt. Anklagen wurden erhoben und bereits erste Strafbefehle erlassen, nur weil Menschen auf frei zugänglichen Wegen spazieren gingen oder Kritik an der Gentechnikanlage äußerten.

Ende Februar sollte die Gerichtsverhandlung starten gegen zwei SpaziergängerInnen auf einem öffentlichen Weg im Dorf Üplingen. Die Gerichtsakten enthalten keinerlei Hinweise, dass tatsächlich jemand rechtswidrig gehandelt hätte. Staatsanwaltschaft und Gericht beantragen und erließen die Strafbefehle offensichtlich auf Wunsch von Gentechnikfirmen und Polizei, ohne die Sachlage überhaupt zu prüfen. Aufgrund der Widersprüche der Betroffenen hätte es zur öffentlichen
Verhandlung kommen müssen - und die hätte es in sich gehabt. Denn als ZeugInnen waren zwei Bewacher, ein Polizeibeamter, der Ordnungsamtschef vom Bördekreis und die Vielfach-Geschäftsführerin mehrerer Gentechnikfirmen, Kerstin Schmidt, geladen. Sie hätten die Fragen der Angeklagten und ihre VerteidigerInnen beantworten müssen. Doch schon die offensive Ankündigung ließ das Gericht zurückschrecken. Der Prozess wurde kurzfristig abgesagt.

 

Prozesse gegen Gentechnik-AktivstIn II: Haldensleben

Kurz danach ging es im Amtsgericht Haldensleben zur Sache. Der Ort der vermeintlich verbotenen Handlung war zwar ebenfalls Üplingen, aber offenbar sind verschiedene Gerichte zuständig - je nachdem, ob es sich um Straf- oder Bußgeldverfahren handelt. Tatvorwurf diesmal: Verstoß gegen Auflagen einer Versammlung. Angeklagt: Einer der AktivistInnen, die beim InnoPlanta-Forum 2011 mit einem spektakulär aufgestellten und erkletterten Tripods die Zufahrt zum Tagungsgelände blockierten, wurde nun vor Gericht gezerrt. Dort verteidigte er sich mit einer Aktivistin als Laienverteidigerin zusammen - erfolgreich. Das Gericht stellte das Verfahren sehr schnell ein.

 

Mensch kann nicht immer gewinnen - aber immer politisch agieren!

Andere Prozesse endeten mit Verurteilungen. Doch auch hier zeigt sich der Sinn offensiver Prozessführung - zur Vermittlung von Inhalten, sowohl rund um den Anklagevorwurf, die dahinterstehenden politischen Aktionen als auch die Kritik an der Justiz. Zudem als Steinbrocken im Getriebe der Justiz und der Kritik an Strafe. Und als klare Ansage an Richterinnen und Richter: Wir sind verurteilbar, aber es wird anstrengend, wir werden uns wehren und wir werden aufzeigen, was hier gespielt wird!

  • Offensiv geführter Prozess wegen Stuttgart-21-Aktion am 12.1.2012
  • Offensiv geführter Prozess wegen Auseinandersetzungen bei Fahrkartenkontrolle in Berlin: Dokumentation des "Letzten Wortes" im Prozess und Links zu mehr Berichten

 

Außerdem gibt es Gegenwehr der Gerichte: Kontrollieren, bis der Prozess vorbei ist?

Die Umweltaktivistin Franziska Wittig sollte sich am 02.02.2012 aufgrund einer Anti-Gentechnik-Aktion aus dem Jahr 2009 vor Amtsgericht Tiergarten in Berlin gegen den Vorwurf des Hausfriedensbruchs verteidigen – das wurde verhindert. Über 25 Minuten wurde sie bei den Einlasskontrollen des Gerichts aufgehalten. Die Richterin verwarf daraufhin wegen Nicht-Erscheinen Franziskas Einspruch gegen den Strafbefehl, obwohl sie wusste, dass diese sich aufgrund der Kontrollen verspätete. Damit ist die Aktivistin zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, ohne dass sie sich gegen den Vorwurf verteidigen konnte. Franziska plant, Rechtsmittel gegen den Ablauf ihrer Verurteilung einzulegen. Mehr Infos: http://gentechfilz.blogsport.de/

 

Das Ziel: Selbstermächtigung statt ZuschauerInnenrolle

Emanzipation bedeutet die Ermächtigung von Menschen zum selbständigen Handeln. Übliche Gerichtslogik, leider oft auch von AnwältInnen vollzogen, bedeutet Entmündigung. Das muss nicht so sein. Menschen können sich das Wissen aneignen, sich selbst vor Gericht zu verteidigen - ob ohne AnwältIn oder, dann aber gleichberechtigt, mit AnwältIn oder LaienverteidigerIn.
Neben der Abwehr dessen, was von Seiten der Anklage an Repression und Sanktion gewünscht oder manchmal von RichterInnen auch noch verschärft wird , sind Prozesse für etliche politische Ziele gut zu nutzen:

  • Argumentationen gegen Strafe: Schafft oder verstärkt, die sie zu lösen vorgibt (Rückfallstudie auf Anti-Knast-Seiten)
  • Thematisierung der Funktionen von Gerichten und Staatsanwaltschaft im Regime des Rechtstaates
  • Hinterfragen der Logik absoluter Wahrheit und der Setzung von Wahrheit durch dafür auserwählte Personen
  • Ziele und Wirkungen von Repression, Autorität, Polizei usw.
  • Die Hintergründe der politischen Themen, um die es bei der angeklagten Aktion ging

 

Trainings und Fortbildung Prozesstrainings - die Grundlage zur Selbstermächtigung

Wer Interesse an Prozesstrainings hat, kann TrainierInnen einladen. Solche Trainings finden in der Regel im Zusammenhang mit bevorstehenden Prozessen statt oder werden von BasisakteurInnen aus Interesse organisiert. Über das Laienverteidigungs-Netzwerk können TrainerInnen angefragt werden.

Veranstaltungen und Lesungen

Möglich sind auch Workshops zur Kritik an Knast und Strafe, die Ton-Bilder-Schau "Fiese Tricks von Polizei und Justiz" usw. Siehe die Angebote auf www.vortragsangebote.de.vu.

Besonderer Termin: Open Space zum Austausch von Gerichtserfahrungen Ein Schritt weiter: Ausbildung zur LaienverteidigerIn und Netzwerktreffen

Laien-VerteidigerInnen sind keine Ersatz-AnwältInnen, denen eingeschüchterte oder denkfaule Angeklagte die Arbeit rüberschieben können mit dem Vorteil, dass es nichts kostet. Die politischen AkteurInnen, also vor allem die angeklagte(n) Person(en), das unterstützende Publikum usw. sind die Quelle der inhaltlichen Vermittlung. EinE LaienverteidigerIn kann die Handlungsmöglichkeiten erweitern und selbst eigene Impulse einbringen, aber sollte niemals die angeklagte Person in den Hintergrund drängen, wie es beim AnwältIn-MandantIn-Verhältnis leider üblich ist und auch von Rechtshilfegruppen oft propagiert wird.

Wer das Grundtraining zur Selbstverteidigung besucht und mindestens einen Gerichtsprozess miterlebt hat, ist eingeladen, das eigene Wissen weiterzuentwickeln und weiterzugeben – als Laien-VerteidigerIn. Dafür soll es spezielle Schulungen als Aufbaukurse auf das Grundtraining, zudem aber auch laufenden Austausch und gegenseitige Unterstützung für diese Tätigkeit geben.

  • 14.-20.6. in der JUP! Bad Oldesloe (Turmstr. 14a): Laienverteidigungs-Netzwerktreffen, Schulung und mehr ++ Flyer
    • Do, 14.6. ab 10 Uhr bis So 17.6. bis 17 Uhr: Schulung für LaienverteidigerInnen
    • Sonntag Abend (17.6.): Vortrag zu Revisionsrecht
    • 18. – 20.6.: LaienVerteidigerInnenTreffen

 

Mehr Termine
  • Mittwoch, 18.4. um 18 Uhr in Döbeln im Café Courage (Treibhaus e.V., Bahnhofstr. 56): Ton-Bilder-Show: "Die fiesen Tricks von Polizei und Justiz"
  • 7. bis 10. Juni (Do-So) in der Projektwerkstatt Saasen: Open-Space "Für eine Welt ohne Knast und Strafe" ++ Flyer
    Wir wollen eine neue Kampagne starten - aus Aktionen, Informationen, Vernetzung und Veranstaltungen. Mehr auf den Anti-Knast-Seiten und bei www.welt-ohne-strafe.de.vu!
    Immer härtere Strafen. Applaus bis Jubel im Publikum, wenn ein Gericht "Lebenslänglich" verhängt. Lynchmobs, wo Menschen nach langer Haftzeit wieder entlassen werden und eine Wohnung mieten. Geht es zurück ins Mittelalter???
    Immer neue Horrorstories über Mord und Totschlag überall. Gefühlte Kriminalität und phantasierte Bedrohung steigern sich täglich, während die Kriminalitätsstatistiken immer weniger Verbrechen zeigen. Alte Menschen leben am sichersten. Im dunklen Wald ist es am sichersten. Gedacht wird das Gegenteil. Leben wir in einer Matrix, die vor allem autoritären Innenpolitiken dient?
    Strafe dient der Wiederherstellung des Vertrauens in die Rechtsordnung - sagt das Bundesverfassungsgericht. Recht hat, wer das Recht durchzusetzen in der Lage ist - meinte der wichigste Rechtsphilosoph Deutschlands. Wer einen Menschen ermordet, erhält lebenslänglich. Wer 100 erschießt, einen Orden. Ist Strafe die Rache des Staates, der nicht darauf klarkommt, dass jemand seine Regeln verletzte?
    Es wird Zeit, dass endlich wieder eine laute Stimme erschallt, die ausruft: Schluss mit der Hetze! Das wahre Verbrechen sind die gesellschaftlichen Verhältnisse. Knast und Strafe sind die Knute des Staates - und machen alles schlimmer. Daher: Knast und Strafe abschaffen - sofort!
    Programmvorschlag:
    • Auftakt am 7. Juni (Fronleichnam) um 12 Uhr mit einem World Cafe/Tuschelrunden zur Themenfindung
    • Eröffnung der Wandzeitungen: Was findet wann wo statt?
    • Zusätzliches Angebot in der Anfangsphase: Diskussionsrunden zur radikalen Knast-/Strafekritik ... "Warum ist es richtig, auch für Mörder und Vergewaltiger Freiheit zu fordern?"
    • Danach: Arbeitsgruppen, Diskussionen, Aktionsplanung ... nach Lust und Laune der Anwesenden im Open-Space-Verfahren (siehe unter www.hierarchNIE.de.vu)!

Mit solidarischen Grüßen an Hanna, die seit dem 15.3. im Knast sitzt, und alle über 60.000 weiteren Opfer des Strafens und Einsperrens. Hanna wird nach dem Knastaufenthalt wieder Prozesstrainings machen sowie im Laienverteidigungsnetzwerk und am Gerichtsaustausch-Open-Space vom 27.4.-1.5. mitmischen.