Am gestrigen Donnerstag Abend blockierten circa 20 Antifaschist_innen den innerstädtischen Schnellstraßenring Sadovoe Kol'co (Gartenring) in Moskau für mehrere Minuten. Wie in der linksliberalen Zeitung „Novaja Gazeta“ zu lesen ist, hatten die Aktivist_innen Transparente dabei, die an die Festnahme von Aleksej Shkobar' Olesinov und die Repression gegen Antifaschist_innen in Nizhni Novgorod aufmerksam machten. Auf den Bannern war zu lesen „Solidarnost' s nizhegorodskimi antifashistami“ (Solidarität mit den Antifaschist_innen aus Nizhni Novgorod) und „Putin – na nary_ Shkobar' – na Kanary“ (Putin in den Knast, Shkobar auf die Kanaren). Außerdem entzündeten die Aktivist_innen Pyrotechnik und skandierten Parolen gegen die behördliche Kriminalisierung ihrer Genoss_innen.
Hintergrund dieser Soli-Aktion ist die Festnahme von Olesinov, der mindestens bis 18. März in Haft bleiben muß. Ihm wird vorgeworfen im Klub „Vozdukh“ im Laufe eines Punk-Festivals im Dezember eine Schlägerei zwischen Antifaschist_innen und dem Sicherheitsdienst des Veranstaltungsorts angezettelt zu haben. Der Vorfall, auf den sich die Behörden berufen, wird in antifaschistischen Kreisen und von Augenzeug_innen allerdings als Übergriff eines nationalistischen Sicherheitsdienstes auf Gäste des Punk-Festivals beschrieben, als „Pogrom“. Gäste der Konzerte wurden, wie schon am Tag der Auseinandersetzungen im Klub „Vozdukh“ bei Indymedia Russia zu lesen war, mit Schreckschußpistolen beschossen und zusammengeschlagen. Shkobar' soll in die Auseinandersetzungen verwickelt gewesen sein, was jedoch von Freund_innen und Augenzeugen bestritten wird. Die Festnahme und Inhaftierung wurde im nach hinein damit begründet, daß er zur Fahndung ausgeschrieben sein soll. Merkwürdigerweise gab es aber zum Zeitpunkt seiner Festnahme am Sonntag morgen in St. Petersburg keinen Haftbefehl. Der tauchte erst am Montag kurz vor dem Termin der Haftprüfung auf.
Zum anderen wollten die Moskauer Antifaschist_innen gegen die Verurteilung von Anton Fatulaev am 24. Februar zu vier Jahren Haft protestieren. Der junge Antifaschist hatte sich mehrfach gegen Naziübergriffe gewehrt. Zum einen wurde er von einer Gruppe von Nazi-Hools des Fußballvereins „Spartak Moskau“ angegriffen und verteidigte sich. Dabei wurde eine_r der Angreifer_innen verletzt. Die Gruppe der Nazis waren bei ihrem Übergriff auf Fatulaev betrunken. Sie waren von einem „Auftrag“ der Jugendorganisation „Molodaja Gvardija“ (Junge Garde) der regierenden Partei „Edinaja Rossija“ (Einiges Russland) nach Moskau zurückgekehrt. Bei einem weiteren Vorfall wollte er Freunde schützen, die in der U-Bahn von Nazis zusammengeschlagen wurden.
Der dritte aktuelle Anlaß zu dieser Soli-Aktion ist die massive Kriminalisierung antifaschistischer Strukturen in Nizhni Novgorod. Gegen fünf Antifaschist_innen wird dort mit gefakten und untergeschobenen Beweisen wegen „Bildung einer extremistischen Organisation“, „extremistischer Propaganda“ (gemeint ist der Blog streetmob.org) und wegen schwerer Körperverletzung zum Nachteil von bekannten örtlichen Nazis. Erwähnt werden sollte, daß die Organisation „Antifa-RASH“, welche die Antifaschist_innen gegründet haben sollen, nie existiert hat und existieren wird. Des Weiteren haben die Nazis selbst nie Anzeige erstattet und die Vorfälle stammen aus dem Jahr 2010. Das lokale sogenannte „Zentrum gegen Extremismus“ scheint, wie an den „gefundenen“ vermeintlichen Mitgliedsausweisen leicht zu erkennen ist, besonders kreativ zu sein, wobei sie orthographisch und grammatikalisch nicht gerade sprachfest sind.
Bei Antifa.ru wurde heute eine Erklärung der „Moskauer Antifaschisten“ zu der Aktion und ihrem Anliegen veröffentlicht. Wir, die Gruppe 19. Januar Berlin, dokumentieren sie hiermit:
Wir sind sehr wütend.
Der Grund für unsere Wut sind die Aktionen der Polizei, die Antifaschist_innen verfolgt. So etwas gab es zwar schon früher, jedoch eskaliert der Zynismus und die Frechheit der Polizist_innen zunehmend. In den vergangenen Wochen schwappte eine Welle der Repression gegen unsere Freund_innen durch zahlreiche Städte wie Ivanov, Kirov, Nizhni Novgorod, Moskau und andere. Zuletzt wurde der Moskauer Antifaschist Aleksej Olesinov (Shkobar') am 13. Februar festgenommen. Als Vorwand für die Verhaftung mußte eine Auseinandersetzung in einem Klub Ende Dezember herhalten, bei dem mehrere Sicherheitskräfte des Klubs verletzt wurden, die offen ihre nazistischen Einstellungen zur Schau stellten. Bei der Ermittlungen zu diesem Vorfall verhielten sich die Beamt_innen der Polizei, so wie sie es immer taten – ohne lange nachzudenken nahmen sie diejenigen fest, deren antifaschistischer Hintergrund ihnen bekannt war. Diesmal war es Aleksej, der nicht das erste mal mit Repression konfrontiert wurde. Schon vorher wurden unter demselben Vorwand aufgrund einer Aktion von dem Gebäude der städtischen Administration in Khimki [militante Aktion von Anarchist_innen, Ökolog_innen und Antifaschist_innen im Rahmen der Proteste gegen die Abholzung des Waldes von Khimki, AdÜ] die Aktivist_innen Solopov und Gaskarov festgenommen. Am 18. März ist der nächste Verhandlungstag im Verfahren gegen Aleksej Olesinov am Gericht im Moskauer Stadtbezirk Basmannyj. Am 24. Februar wurde ein weitere Antifaschist, Anton Fatulaev, zu 4 Jahren und 2 Monaten Freiheitstrafe verurteilt. Nach Ansicht der Ermittlungsbehörden soll er sieben Nazis angegriffen und verprügelt haben.
Mit unserer symbolischen Aktion wenden wir uns an die Öffentlichkeit. Politiker_innen und Polizist_innen, die von uns bezahlt werden, darf keine Möglichkeit gegeben werden sich schlecht zu benehmen. Es ist vor allem unsere Untätigkeit gibt ihnen ihre Handlungsfreiheit, es ist unser Schweigen, daß ihnen erst ermöglicht uns weiter zu unterdrücken. Mit unserer symbolischen Aktion wenden wir uns an Antifaschist_innen. Wir dürfen nicht aufhören. Nur direkte Aktionen und klare Positionen im Verhältnis zu Nazis und dem Staat macht unsere Straßen sauberer. Nichts darf vergessen und verziehen werden. Die Festnahme unserer Freunde darf nicht als scheinbar legitim hingenommen werden. Mit unserer symbolischen Aktion wenden wir uns an Nazis. Denkt einmal darüber nach, gründet das Leben und die Gesundheit abstrakten Ideen wirklich auf Hass. Eure Ziele sind unscharf und eure Autoritäten verraten euch für den eigenen Vorteil.
Die Moskauer Antifaschist_innen.
Diese Erklärung verweist eindrucksvoll darauf, daß laute Solidarität und Publikationen über die Situation der Genoss_innen wichtig sind. Stas Markelov verwies in seiner letzten Rede vor seinem Tod darauf, daß die verschiedenen Spektren nur gemeinsam der Repression und Kriminalisierung trotzen können. Helden wir den Antifaschist_innen in Russland dabei, gehört zu werden!
Video von der Aktion: http://www.youtube.com/watch?v=D_ffXxEEOeI
Bilder von der Aktion: http://www.novayagazeta.ru/photos/51368.html