Cs und Schlagstockgewitter in Chianocco - Notav ungebrochen

Chianocco

Die Ordnungskräfte zogen am Mittwochabend alle Register, um der notav Bewegung so nachhaltig wie möglich zuzusetzen, die aber nicht daran denkt, sich zurück zu ziehen. Die seit nunmehr drei Tagen anhaltende Blockade der Hauptverkehrsadern des Tals war gestern am frühen Abend von einem ungeheuer massiven Polizei- und Carabinieri Aufgebot gebrochen worden. Die Räumung der Autobahnblockade bei Bussoleno im niederen Susa Tal ging zunächst eher unblutig vonstatten. Nach Anbruch der Dunkelheit entlud sich jedoch gegen die Menschenmengen, die im Bereich der Zubringer geschlossen vor Ort geblieben waren, roheste Gewalt. Zu später Stunde sammelten sich die Bahngegner dann zur Vollversammlung in Bussoleno.

 

Die Lungen voll Cs, die Kleider nass, die Haut durch Capsaicin-Beimischung im Wasserwerferwasser gereizt, mit wunden und schmerzenden Köpfen, Rümpfen und Gliedern - die No Tav konnten sogar schon wieder lachen, als sie in einer Eilversammlung die Ereignisse der vergangenen Stunden bewerteten und wie darauf zu reagieren sei. Über tausend Leute nehmen an der Vollversammlung Teil. Der Befund ist eindeutig: was mit ihnen ein weiteres Mal gemacht wurde, ist nicht hinnehmbar. Seit 22 Uhr gibt es seit Montag nun erstmals keine Blockade im Tal - der Widerstand wird nach der polizeilichen Intervention am Mittwoch Abend jedoch gleich heute um so entschlossener weiter gehen. Ab 18 Uhr tritt die Bewegung erneut an – im Tal und aller Wahrscheinlichkeit nach an vielen anderen Orten in ganz Italien.

 

Die Ordnungskräfte starteten am späten Nachmittag ihre Räumungsaktion, die bis zu den Abendnachrichten zunächst eher unblutig verlief. Ab 20 Uhr 20 wurde dann mit ganz anderen Bandagen gespielt. Neben in Abstand von wenigen Minuten immer wieder neu auferlegten, unglaublich massiven Tränengassalven, gab es im Schutz der Dunkelheit wiederholt brutale Schlagstockeinsätze. Auch kam es zu regelrechten Menschenjagdszenen in Gassen, Straßen, Bars und Höfen. Wie schon in Salbertrand bei der Sprengung der mit rauen Mengen CS-Gas beschossen - darunter eins, in dem ein alter Mann dieser Tage im Sterben liegt.

 

Noch lässt sich nicht genau nachvollziehen, wie viele Menschen genau wie schwer verletzt wurden, die Anzahl der Krankenwagen, die etwas später gesichtet wurde, gibt jedoch Anlass zur Sorge. Die derzeitige Schätzung geht von mindest 100 verletzten Personen aus. Gesicherte Kenntnis von ernsthaften Verletzungen bestand gegen Mitternacht zu vier Personen, darunter eine betagte Frau mit komplizierten Knochenbrüchen und ein Mann mit gebrochener Hand und Schädelprellungen, die er davontrug, als er den 67-jährigen Vater beschützen wollte. An alle, die durch Gas oder Schläge verletzt wurden, ging während der Vollversammlung der Aufruf, die Verletzungen ärztlich attestieren zu lassen. Mehrere Personen wurden fest genommen, derzeit ist die Rede von 20 Betroffenen. Gegen 1 Uhr waren alle wieder auf freiem Fuß. Auch mehrere Autos der notav kamen durch polizeiliche Einwirkung zu Schaden. Die Blockierer machten Bekanntschaft mit einem Farbwasser sprühenden Wasserwerfer. Die Neuigkeit im italienischen Einsatzmittelrepertoire hatte vergangene Woche Italiens Polizeichef präsentiert.

 

Die Vertreibung der Menschen dauerte insgesamt 5 Stunden. Die Fünfte Stunde war die der endgültig hemmungslosen Gewalt. Eine Vorstellung von deren Intensität liefern Berichte, die besagen, dass Carabinieri gegen 22 Uhr - offenbar unter Protest von anderen Kollegen, da ein regelrechter Streit zwischen Carabinieri und Polizia-Angehörigen beobachtet wurden - sich daran machten, die am Rand einer langen Straße zum nahe gelegenen Dorf geparkten Autos der Blockierer reihenweise zu beschädigen. Wer sich näherte, wurde vom Wasserwerfer vertrieben. Es sollen auch Autos aufgebrochen worden sein. In welchem Maße die Hetze, die in diesen Tagen von zahlreichen Medien gegen die Bewegung ausgeht die psychische Verfassung manchen Ordnungshüters beeinflusst haben könnte, wäre eine Untersuchung wert. Die Gewalt am heutigen Abend schockierte Reporter des Senders SkyTV24 jedoch so sehr, dass sie berichteten: "Wir haben Szenen von unsäglicher Gewalt gesehen". Die längste Straßen- bzw. Talblockade aller Zeiten dürfte jedoch per se manches Polizistengemüt zur Weißglut gebracht haben.

 

Der immensen Masse der Ordnungshüter standen zunächst 500 bis 1000 Blockierer gegenüber, im Laufe der Räumungsaktion kamen trotz vielfältiger Maßnahmen, um das Erscheinen von weiteren Blockierern zu behindern, mehrere Hundert aus nah und fern hinzu. Im ganzen Land verfolgten unzählige Menschen die engmaschige Berichterstattung unabhängiger Radiosender, die wahre Fluten von Nachrichten erhielten, die Solidarität mit den Blockierern bekundeten. Protestaktionen fanden auch am Mittwoch an mehreren Orten außerhalb des Tals statt – in Italien wie im Ausland.

 

Luca, der am Montag bei der Räumung der Clarea Hütte und der widerrechtlichen Enteignung mehrerer Gründstücke in der Nähe beinahe tödlich verletzte Talbewohner kämpft mit der gleichen Kraft um sein Leben, wie er gegen das Bauprojekt kämpfte, das inzwischen ganz Italien bewegt. Gestern wurde er kurzfristig aus dem künstlichen Koma geholt. Ärzte ließen ihn einen Finger und den Arm bewegen. Luca konnte verstehen und die Bewegungen ausführen. Hinsichtlich der Hirn- und Nervenfunktionen eine erfreuliche Nachricht. Zur Entlastung der zurzeit einzigen funktionsfähigen Niere wurde gestern vorübergehend eine Dialyse durchgeführt. Am Samstag oder Sonntag wollen die Ärzte das künstliche Koma beenden. Im Tal wird unter reger Beteiligung die Bestellung seiner Felder organisiert, um seine Existenzgrundlage zu bewahren. Forza, Luca! A sará dura!

 

 

Videos:

 

Mit dem gewaltsamen Einfall von Polizisten in einer Bar konnte eine Episode auf dem Gebiet der Menschenjagd im Dorf Bussoleno dokumentiert werden. Die im Inneren angetroffenen Personen wurden abgeführt und in Gewahrsam genommen. Eine Schwangere brach im Laufe der Aktion zusammen.

 

 

Weitere clips hier: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |

 

Clip 1 bis 6: Phase 1, Clip 7 bis 17: Phase 2

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- es ein größenwahnsinniges Projekt ist, wo nicht einmal sicher ist ob es finanzierbar ist (in Italien wurden schon des öfteren Großprojekte begonnen und in der Mitte der Bauphase beendet weil das Geld plötzlich verschwunden war....so gibt es Autobahnen die im Nichts enden)
- es eine ökologische Katastrophe für das Susatal wäre (durch die Tunnelbohrungen könnten quellen versiegen die eine Lebensgrundlage für die Menschen dort sind, das Bohrungsmaterial der Tunnel muss ja auch irgendwo transportiert/gelagert werden,........)
- der Staat vielen Menschen im Susatal ihre Grundstücke/Häuser enteignen würde.

u.s.w