»Protestiert vor den US-Basen«

Erstveröffentlicht: 
18.04.2009

Gespräch mit Matthis Chiroux. Über die Verweigerung des Irak-Einsatzes, die Bedeutung von Demonstrationen vor Kasernen und klare Worte an GIs


Elsa Rassbach
US-Sergeant Matthis ­Chiroux (25) muß sich am 21.April einer Anhörung der US-Armee in St.­Louis, Missouri, stellen. Der Reservist hatte sich im vergangenen Sommer einem Einsatz im Irak verweigert. Chiroux beteiligte sich im Rahmen der Anti-NATO-Proteste Anfang April an Veranstaltungen in Tübingen, Karlsruhe und Strasbourg.

Sie müssen sich am Dienstag bei der US-Armee in St. Louis in Missouri einer Anhörung stellen, weil Sie den Einsatz im Irak verweigert haben. Wie sind Sie zum US-Militär gekommen?


Ich lebte als Kind im tiefen Süden, mit einem Dad, der stolz auf seinen Militärdienst war. Ich war in der Schule nicht immer erfolgreich und so ein gefundenes Fressen für die Anwerber der Army. In meiner Teenager-Zeit hatte ich häufig Krach mit meinem Vater, und ich wohnte schließlich in einem Zelt draußen vor meiner Stadt. Als mir das Geld ausging, trat ich ein. Mir blieb wirklich nichts anderes übrig. Das war 2002. In der Grundausbildung lernte ich Töten wie jeder andere auch. Ich trainierte auch für die 82. Airborne Division in North Carolina, aber ich beschloß, das Training nicht fortzusetzen. Die 82. steht im Ruf, hirnlos brutal zu sein, untereinander wie gegenüber dem »Feind«. Mein Kommandeur fragte damals: »Bist du ein Airborne oder ein Schwanzlutscher?« Ich frage mich, bei wie vielen so was wirklich ankommt? Sie schickten mich schließlich für sieben Monate in die Journalismusschule der Armee. Schreiben lag mir irgendwie. Schon als Kind hatte ich viel geschrieben. Ich hatte einen Sprachfehler – wirklich verstehen konnte mich nur meine Mutter – deswegen hab’ ich so viel geschrieben. Fotografieren habe ich in der Armee gelernt.

Wie war es, als Journalist für die Armee zu arbeiten?


Zuerst haben sie mich für etwa zwei Jahre nach Tokio geschickt. Dann war ich vom Mai 2005 bis zum August 2007 in Heidelberg in der U.S. Army Europe Command Information Division. Es war mein Job, als literarischer und fotografischer Hochstapler für das US-Militär zu dienen. Man meinte, ich sei in internationalen Beziehungen und strategischen Kommunikation begabt. Hauptsächlich habe ich mit Zivilisten zusammengearbeitet. Ich habe Pressemitteilungen und Artikel für das Internet oder für Militärpublikationen wie Stars & Stripes und das Armeemagazin in Deutschland geschrieben. Ich war wirklich froh, in Japan und Deutschland zu sein, fand aber, daß die USA in beiden Ländern nichts zu suchen hatten. Ich wurde in andere Länder geschickt – nach Italien, auf die Philippinen und nach Afghanistan. Ich hatte Artikel zu schreiben, wie großartig das US-Militär ist – daß es etwa in Afghanistan verwundete rumänische NATO-Soldaten medizinisch versorgt. Bei diesen Aufträgen mußte ich eine Waffe tragen: Ich möchte nicht daran denken, auf wie viele Frauen und Kinder sie unbeabsichtigt gerichtet gewesen sein mag. Als Armeejournalist war es mein Job, Geschichten von Militärangehörigen zu sammeln und zu filtern. Ich hörte vieles über Greuel und Verbrechen im Irak, Geschichten, die einem den Magen umdrehten.

Jetzt glaube ich, daß ich mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) kämpfe, zum Teil wegen tiefer Schuldgefühle, mein Können benutzt zu haben, um das zu fördern, was ich mittlerweile als rassistischen, imperialistischen und letztlich völkermörderischen Feldzug ansehe. In den Artikeln, die wir geschrieben haben, belogen wir Soldaten vom bequemen Deutschland und Japan aus – das waren Soldaten, die, wie ich wußte, im Nahen und Mittleren Osten litten, bluteten und töteten.

Was hat Sie dazu gebracht, sich gegen Washingtons Kriege zu wenden?


In Japan und in Deutschland war ich mit vielen Zivilisten befreundet. Ich habe mit ihnen mehr herumgehangen als mit GIs. Einige Freunde in Heidelberg – sie waren keine Friedensaktivisten, einfach normale Zivilisten – sahen mir ins Auge und sagten: »Weißt Du, was ihr im Irak und in Afghanistan macht, ist Völkermord.« Zuerst ging mir das auf den Senkel. Ich dachte: »Wie gefühllos; sie wissen nicht, was meine Leute durchmachen, die da hingehen und kämpfen müssen.« Aber sie sagten: »Du mußt verstehen, daß es mehrere Arten von Völkermord gibt, nicht nur den der Nazifaschisten. Du mußt vergleichen, was jetzt passiert und was damals passierte, weil wir nicht mitansehen wollen, daß eure Kriege enden wie unsere.«

Es war besonders wichtig für mich, daß meine japanischen und deutschen Freunde den Mut hatten, ihre Kritik in Verbindung zu ihrer eigenen Geschichte zu bringen. Ja, zuerst hat es mich gekränkt, und ich sagte zu ihnen, »was untersteht ihr euch?« Aber was sie sagten, blieb mir im Hinterkopf haften, und ich dachte weiter darüber nach. Ich kam zu einem Punkt, wo ich es nicht mehr leugnen konnte. Fürchte dich also nie zu sagen, wie es ist. Es war schwer zu verkraften, hat aber vielleicht mein Leben gerettet. Am Ende weigerte ich mich, in den Irak zu gehen, größtenteils wegen der Dinge, die ich in Heidelberg gelernt habe. Vielleicht verdanke ich sogar mein Leben einigen sehr tapferen deutschen Bürgern, die bereit waren, mich mit der Wahrheit zu kränken.

Vor den Militärstützpunkten in Heidelberg gab es immer wieder Proteste von Friedensaktivisten. Wie haben Sie und andere GIs diese Demonstrationen aufgenommen?


Ich persönlich habe es genossen. Die meisten GIs fanden es sehr cool. Einige andere machten sich lustig und sagten »verdammte Hippies«, »verdammte Spinner« oder »Wir sind hier um ihre Redefreiheit zu schützen, aber alles was sie reden wollen, ist Blech, da, da, da ...« Letztere sind die lautesten, weil es das ist, was in der Armee akzeptiert wird. Aber ich bin sicher, die draußen vor der Kaserne haben es gesehen: GIs machen das Friedenszeichen. Sie sagen damit, »gute Arbeit, protestiert weiter, weil wir dieses Recht nicht haben«. Es ist für Soldaten wichtig zu sehen, daß eine andere Welt möglich ist. Die GIs haben diese Information nicht, besonders nicht in Deutschland. Sie bekommen keine Zeitungen und Zeitschriften aus den USA – nur ein paar im PX. Sie bekommen fast all ihre Information vom Armed Forces Network (AFN) oder Militärzeitungen oder von ihren Kommandeuren. Sie bekommen keine Information von draußen. Gerade diese haben mich gezwungen, neu zu überlegen, woran ich war.

Was hat Sie letztlich dazu gebracht, öffentlich gegen die Kriege der USA Stellung zu beziehen?


Ich wurde 2007 in Heidelberg ehrenhaft aus der Armee entlassen, aber es gibt da eine Bestimmung, nach der man dann zu den Individual Ready Reserves (IRR) gehört. Man kann jederzeit wieder einberufen werden. Als ich Heidelberg verließ, war ich so lange in Übersee gewesen, daß ich mich bei der Rückkehr in die USA wie ein Immigrant fühlte, also zog ich nach Brooklyn, eine Stadt von Einwanderern. Nach verschiedenen kurzzeitigen Jobs und kurzer Arbeitslosigkeit schrieb ich mich im Januar 2008 am Brooklyn College ein. Die Unterstützung der Armee half ein bißchen, aber mit 1200 Dollar im Monat deckte sie nicht mal meine Miete. Im Februar 2008 bekam ich einen Brief von der Armee, in dem meine Rückkehr in den aktiven Dienst wegen der Mobilmachung für die »Operation Iraqi Freedom« befohlen wurde. Ich war deprimiert und wußte nicht, was tun. Im März 2008 sah ich das Hearing »Winter Soldier« von Iraq Veterans against the War (IVAW) im Internet. Diese Veranstaltung hat viele GIs angesprochen. IVAW ist daraufhin schnell größer geworden und hat jetzt über 1700 Mitglieder weltweit. In New York traf ich IVAW-Mitglieder wie Selena Coppa. Sie leitet die IVAW-Kampagne »Active Duty Organizing« und ist mittlerweile in Wiesbaden stationiert. IVAW gab mir den Rückhalt, aufzustehen und den Kriegseinsatz für diese verfassungswidrige und illegale Besatzung zu verweigern, die gegen all meine innersten Werte als Mensch verstößt. Aber wie ich schon sagte, bevor ich IVAW begegnete, war ich durch meine Gespräche mit japanischen und deutschen Freunden schon zu dem Schluß gekommen, daß diese Kriege Unrecht sind.

Was steht bei Ihrer Anhörung am 21. April auf dem Spiel, und wie kann man Ihnen hier in Deutschland helfen?


Höchstwahrscheinlich werde ich aus dem Militär entlassen. Es ist unwahrscheinlich, daß die Armee irgendwelche weiteren Aktionen unternimmt, da ich viel in der Öffentlichkeit gewesen bin und zu einer wachsenden Zahl von Reservisten gehöre, die in ähnlicher oder mehr privater Weise den Einsatz verweigert haben. Über ein Dutzend US-Kongreßmitglieder haben eine Erklärung unterzeichnet, die meine Weigerung, in den Irak zu gehen, unterstützt. Selbst mein Vater, der zweimal für Bush gestimmt hat, unterstützt mich heute.

Aktivisten in Deutschland können helfen, indem sie weiter solche Leute wie mich unterstützen. Setzt euch dafür ein, daß André Shepherd, der sich auch geweigert hat, in den Irak zu gehen, in Deutschland Asyl bekommt. Demonstriert vor Militärbasen. Redet mit mehr jungen Soldaten wie mir. Sie müssen die Wahrheit in unmißverständlichen Worten erfahren.

Im Rahmen der Anti-NATO-Proteste Anfang April in Strasbourg haben Sie sich bei der afghanischen Politikerin Malalai Joya entschuldigt, an der Besetzung ihres Landes mitgewirkt zu haben. War dieser Schritt schwierig für Sie?


Es war schwer für mich, nach Afghanistan zu gehen und dabei die wahre Natur dessen, was ich tat, zu verleugnen – das Leid, das ich nicht nur anderen, sondern das ich auch mir selbst zufügte, indem ich nach Afghanistan ging. Es war auch schwer, die Entschuldigung auszusprechen, aber es war absolut notwendig. Diese Worte haben latent festgesessen und schon seit Jahren darauf gewartet, sich aus meiner Seele zu reißen. Und ich fühle mich so geehrt, daß sie jemandem wie Malalai erreichen konnten, vor der ich so großen Respekt habe und die ich so sehr bewundere. Ich glaube wirklich, daß sie für das afghanische Volk die Verkörperung von Hoffnung ist. Ich werde nicht aufhören, für seine Befreiung zu kämpfen. Seine Versklavung durch die USA ist genauso Unrecht wie es die Versklavung der Schwarzen war.

Chiroux ist in Auburn, Alabama, in einer konservativen Familie aufgewachsen. Er ging 2002, kurz nach der Highschool, zur Armee. Er diente über vier Jahre als Armeefotograf und -journalist in Deutschland, Italien, Japan und den Philippinen und gewann zahlreiche Journalismuspreise der Armee. Zudem wurde er mit der »Army Good Conduct Medal« und der »Global War on Terrorism Service Medal« ausgezeichnet.

Wie viele andere Widerständler im Militär war Chiroux jahrelang im Dienst, bevor er zum Schluß kam, daß Krieg und Besatzung im Irak und in Afghanistan unrecht sind, und er den Mut fand, sich dagegen auszusprechen. Seit vergangenem Sommer ist er Aktivist in der Organisation »Iraq Veterans Against the War« (IVAW).

Weitere Informationen und Kontakte:

– »Winter Soldier« – IVAW-Hearing (ganz) auf Englisch: www.ivaw.org/wintersoldier

– »Winter Soldier« mit deutschen Untertiteln (DVD, 30 Minuten): www.weweresoldiers-thefilm.com

– Bundesweite Arbeitsgruppe »GIs & US-Basen«: girights-germany@dfg-vk.de

– IVAW-Kontakt für GIs in Deutschland: gioutreach@ivaw.org