«Staatstrojaner» im Fall Stauffacher eingesetzt

Erstveröffentlicht: 
15.10.2011

Bundesanwaltschaft spioniert im Computer der Zürcher Aktivistin

 

Mit einer Spezialsoftware sind Anfang 2008 die Mails von Andrea Stauffacher und einer weiteren Zürcher Linksaktivistin überwacht worden. Den Auftrag der Bundesanwaltschaft hatte die umstrittene deutsche Firma Digitask ausgeführt.

 

Die Digitask GmbH in Hessen hat vom Januar bis im April 2008 im Auftrag der Bundesanwaltschaft und der Bundeskriminalpolizei gearbeitet. Die Schweizer Ermittlungsbehörden liessen in diesen Monaten den Mail-Verkehr und die Telefongespräche der Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher und einer weiteren Anhängerin des Revolutionären Aufbaus überwachen.

Wie Recherchen der NZZ zeigen, stellte die Digitask ein Mietgerät mit Spezialsoftware zur Verfügung. Dafür stellte die Gesellschaft 26'000 Euro in Rechnung. Aus den Verfahrensakten gegen Stauffacher – sie musste sich Ende September wegen Sprengstoff- und Brandanschlägen vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten – sei diese Rechnung mitsamt den Angaben zum Mietgerät entfernt worden, sagt Stauffachers Anwalt Marcel Bosonnet. Die Dokumente seien in einem verschlossenen Kuvert mit dem Hinweis «darf nur vom Richter geöffnet werden» im Tresor der Bundesanwaltschaft deponiert worden. Als Miet-Zeitraum für das Digitask-Gerät wird laut Bosonnet die Periode vom 17. Januar 2008 bis zum 16. April 2008 angegeben.

 

Prüfung der Rechtslage

Der Zürcher Anwalt verlangt nun von der Bundesanwaltschaft Auskunft über die genauen Umstände der elektronischen Überwachung Stauffachers. Die Bundesanwaltschaft habe sich bei einer früheren Anfrage zur Rechtmässigkeit der Methode auf den Standpunkt gestellt, dass nicht die gesetzlichen Grundlagen in der Schweiz massgebend seien. Gemäss Bosonnets Darstellung haben die Ermittler in ihrem Rechtshilfegesuch an die zuständigen deutschen Behörden argumentiert, dass es in diesem Fall die in der Schweiz verlangte Bewilligung nicht brauche, weil die Software vom Ausland aus eingesetzt werde.

Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um die Software der Firma Digitask könnte sich die Situation nach Ansicht Bosonnets jetzt anders präsentieren. Er werde prüfen lassen, ob sich die Bundesanwaltschaft mit der elektronischen Überwachung eines Straftatbestands schuldig gemacht habe und inwiefern diese das Verfahren gegen seine Mandantin beeinflusst habe. Die Urteile des Bundesstrafgerichts aus dem Prozess gegen Stauffacher und ihre Mitangeklagte stehen noch aus, sie sollen am 8. November eröffnet werden.

Die Bundesanwaltschaft will sich nicht zu konkreten Fällen äussern, in denen sie mit Überwachungssoftware ermitteln liess: «Angaben über technische und taktische Mittel sowie allfällig getroffene Untersuchungsmassnahmen können generell nicht kommuniziert werden», hält die Sprecherin Jeannette Balmer fest. Die Gründe dafür lägen unter anderem darin, dass jede Information der Öffentlichkeit auch eine Information für Tatverdächtige darstellen könne, so Balmer. «Dies wäre mit Blick auf den Zweck jeder Strafuntersuchung nicht zu verantworten.»

 

Einsatz auch in Zürich

Dass der Bund einen sogenannten Staatstrojaner eingesetzt hat, um Computer von Verdächtigen auszuspionieren, hat das Justizdepartement (EJPD) offiziell bestätigt. In vier Fällen sei Überwachungssoftware zum Einsatz gekommen, teilte der EJPD-Sprecher Guido Balmer am Freitag mit. Dies sei auf Anordnung der Bundesanwaltschaft und mit Genehmigung des Bundesstrafgerichts geschehen. In allen Fällen sei es um Terrorismusbekämpfung gegangen.

Die Überwachungssoftware gelangte zudem auch auf Kantonsebene zum Einsatz. Mindestens in einem Fall wurde ein Trojaner im Kanton Zürich verwendet, wie Martin Bürgisser von der Oberstaatsanwaltschaft sagt. Es habe sich dabei um einen grossen Drogenfall aus dem Jahr 2007 gehandelt. Die technischen Massnahmen zur Überwachung wurden damals durch die Anklagekammer des Zürcher Obergerichts genehmigt, wie Marcel Strebel, der Informationschef der Kantonspolizei, erklärt. Bis Ende 2010 bewilligte das Obergericht den Einsatz der Überwachungssoftware, seit Anfang dieses Jahres ist das Zwangsmassnahmengericht dafür verantwortlich.

Wie eine gut informierte Quelle gegenüber der NZZ sagte, kam die Überwachungssoftware im Kanton Zürich seit 2006 jedoch noch in einem weiteren Fall zum Einsatz, und zwar zur Überwachung von Gesprächen via die Telefonsoftware Skype. Dazu wurde die Software direkt auf den Computer der Zielperson installiert. Dabei ging es wie beim jetzt bestätigten Fall um Drogenkriminalität. Die Überwachung förderte damals jedoch keine neuen Erkenntnisse zutage. Bürgisser konnte diesen zweiten Fall nicht bestätigen. Er mochte aber auch nicht ausschliessen, dass die Software in weiteren Fällen Verwendung fand. In einer Handvoll Fälle habe die Staatsanwaltschaft einen Einsatz geprüft, dann jedoch davon abgesehen.

 

Vielseitige Software

Vor einer Woche war in Deutschland publik geworden, dass ein von staatlichen Stellen genutzter sogenannter Bundes-Trojaner zur Überwachung des E-Mail-Verkehrs oder von Telefongesprächen via Skype verwendet wurde. Diese Software spähte zugleich alle Dateien eines infizierten Rechners aus. Mehrere Bundesländer mussten in der Folge den Einsatz des Trojaners einräumen, was eine heftige politische Kontroverse auslöste. Winfried Seibert, der Anwalt des Herstellers Digitask, gab Mitte Woche bekannt, dass die Firma auch Abnehmer in den Niederlanden, in Österreich und in der Schweiz hatte.