Anklage wegen Winterbacher Brandangriff erhoben

Die durch den Brandanschlag völlig zerstörte Gartenlaube. 
Foto: Denzinger / Die-Beobachter

Nachdem eine Gruppe von Nazis in Winterbach (Rems-Murr-Kreis) am 10. April Jagd auf eine Gruppe Jugendlicher mit Migrationshintergrund gemacht hatte flüchteten sich drei der Angegriffenen in ein Gartenhaus, das von einem der Rechtsradikalen daraufhin angezündet wurde. Nun wurde Anklage unter anderem wegen Mordversuches gegen zwei der beteiligten Rechten erhoben.

 

Eine Gruppe von Nazis feierte zusammen mit weiteren – insgesamt ca. 60 - Personen ein Geburtstagsfest auf einem Gartengrundstück in unmittelbarer Nähe des Gartens der Jugendlichen, die dort einen gemeinsamen Grillabend verbrachten.

Auf einem nahegelegenen Feldweg versuchten einige der Rechten, einen jungen Mann aus der Gruppe der Jugendlichen mit einem Auto anzufahren und wurden unmittelbar daraufhin handgreiflich, worauf drei der Jugendlichen in den fensterlosen Geräteschuppen flüchteten.

Auch die anderen drei versuchten sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen, wurden jedoch weiter von den Rechten verfolgt. Zwei der Verfolgten begaben sich zur Gartenhütte zurück, wo sie sahen, dass einer der Angeklagten dabei war, die Hütte anzuzünden. Sie riefen ihm zu, das zu lassen und wurden dadurch von den anderen beteiligten Rechten entdeckt, gejagt und geschlagen, worauf sie ebenfalls in die inzwischen brennende Hütte flüchteten. Aus der brennenden Hütte heraus rief einer der Jugendlichen schließlich die Polizei an, die sie aufforderte, die Hütte wegen der lebensgefährlichen Situation zu verlassen und die Flucht zu versuchen. Da die meisten der Rechten auf der Suche nach den anderen Geflüchteten waren, gelang ihnen die Flucht auch, allerdings nur mit großem Glück.

Alle von dem Naziangriff Betroffenen wurden im Verlauf der Angriffe mit Handfraktur, schweren Prellungen, Gehirnerschütterung, Rauchvergiftung, zum Teil Verletzungen durch Dornen am ganzen Körper mehr oder weniger schwer verletzt. Einer lag auch Tage später noch im Krankenhaus.

Die Polizei nahm zunächst 16 Verdächtige aus der rechtsradikalen Gruppe vorläufig fest. Gegen insgesamt 38 Personen laufen Ermittlungen. Die Festgenommenen wurden kurz nach ihrer Festnahme schon wieder auf freiem Fuß gesetzt. Die Polizei begründete diesen Schritt damit, dass keine Beweise vorlägen.

Seit Jahren weisen Antifaschisten auf die gewalttätige Entwicklung der rechtsradikalen Szene in Weiler und im Rems-Murr-Kreis hin. So kam es beispielsweise Anfang 2010 zu gewalttätigen Übergriffen durch Nazischläger auf Teilnehmer einer antifaschistischen Mahnwache vor dem Nazitreffpunkt „Linde“ in Weiler - einem Nachbarort von Winterbach.

Nach den Angriffen riefen zahlreiche Initiativen, Parteien, Organisationen zu einer Demonstration am 17. April gegen Nazi-Gewalt auf. An der Demonstration, die am Winterbacher Bahnhof startete und zum Nazizentrum „Linde“ in Schorndorf - Weiler führte, nahmen über 1300 Menschen teil.

Die aus antifaschistischer Sicht erfolgreiche Demonstration und die einsetzende bundesweite Aufmerksamkeit waren wichtige Beiträge, den politischen Druck auf die Verantwortlichen soweit zu erhöhen, dass die Übergriffe nicht bagatellisiert werden konnten.

Die jetzt Angeklagten aus dem Raum Ludwigsburg und dem Rems-Murr-Kreis stammenden 21- jährigen wurden erst Wochen später, am 11.05. und am 19.05.2011 in Untersuchungshaft genommen. Sie müssen sich jetzt wegen eines Verbrechens des gemeinschaftlichen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen, gemeinschaftlicher besonders schwerer Brandstiftung, gemeinschaftlicher versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Die 3. Große Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichtes hat nun über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Verhandlungstermine zu entscheiden.

Mit dem zu beobachtenden Verfahren sind die Herausforderungen an die antifaschistische Arbeit nicht geringer geworden. Die Rechten wollen im Rems-Murr-Kreis nach wie vor ihre Strukturen aufbauen und festigen:

Nachdem bekannt wurde, dass in der Gaststätte „Schwäbischer Hof“ in Korb die NPD Faschisten in den Jahren 2009 und 2010 bereits zwei Landesparteitage und deren Jugendorganisation, die JN, im Juni 2010 ihre Bundeskonferenz dort abhielten, kam es auch dort zu Protesten. All dies geschah im Verborgenen, ohne das Wissen der Korber Bevölkerung. Einzig der Bürgermeister, der zuständige Landrat und die Polizei waren Mitwisser. Sie entschieden sich jedoch dafür, es vor der Öffentlichkeit zu verschweigen. Denn sie befürchteten zu Recht, dass sich Unmut und Widerstand dagegen entwickeln würden.

Die Fellbacher Zeitung meldete kürzlich unter der Überschrift „NPD trickst Wirtin aus“, dass die Nazis sich Ende September in der „Krone“ in Kleinaspach getroffen haben. Drei haben sogar die Zeche geprellt, einer „aus dem Ort, der ebenfalls beim Treffen gewesen sei,“ hat sie nachträglich bezahlt.

Statt aus der Entwicklung in der Region eindeutige antifaschistische Konsequenzen zu ziehen appellierten der Aspacher Gemeinderat und Bürgermeister nun an alle Wirte in Aspach, "keine Räume an Extremisten zu vermieten und keine Veranstaltungen von Extremisten zu bewirten".

Dagegen stellte Jochen Dürr, Landessprecher der VVN-BdA, in seiner Rede bei der Demonstration in Winterbach klar, dass faschistische Aktivitäten und insbesondere der Angriff nicht isoliert von der „Extremismusdebatte“ oder gar als Tat Einzelner gesehen werden dürfen:

„Thilo Sarrazins „Überfremdungs“-Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“ hat - sekundiert von Medien, die es in Rekordzeit zum Bestseller des Herbstes werden ließen - eine neue Runde in der Popularisierung von Rassismus im öffentlichen Diskurs eingeleitet. (…) An diese ressentiment-geladene Mitte knüpfen auch Faschisten an. Das Entscheidende ist allerdings, dass dieses Ressentiment immer wieder staatlich und mainstream-medial reproduziert wird. Diskussionen über Deutschkurs- und Kita-Pflicht - wohl wissend, dass es für beides lange Wartelisten gibt - machen aus gesellschaftlich Ausgegrenzten Verantwortliche für die Spaltung der Gesellschaft, deren Opfer sie weitgehend sind. (…) Es gibt, wie wir wissen, enge Verbindungen zwischen den freien Kameradschaften und den Parteistrukturen der NPD. Beim Besitzer der Immobilie „Linde“ handelt es sich um den wegen Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz vorbestraften aktiven NPD-Funktionär Jürgen Wehner. Dieser kandidierte auch für die NPD zur Landtagswahl am 27.03.2011. Wir brauchen in Baden - Württemberg wieder eine neue Initiative für ein Verbot der NPD. Die alte Blockadepolitik gegen ein neues NPD Verbotsverfahren auf Bundesebene muss aufgegeben werden. Als erster Schritt müssen die V- Leute abgeschaltet werden.“

Von entscheidender Bedeutung ist dabei gerade auch die Entwicklung und Stärkung antifaschistischer Strukturen in der Region. Ein positives Ergebnis ist der Aufbau des Bündnisses „Rems - Murr Nazifrei“, an dem sich neben ca. 30 Organisationen und vielen Einzelpersonen die VVN-BdA beteiligt und das neben Infoständen bereits eine antifaschistische Demonstration am 17. September unter dem Motto "Nazis raus aus Korb! Rems-Murr nazifrei!" mit 150 Teilnehmern durchgeführt hat.

Vorabveröffentlichung aus "Antifa Nachrichten", Zeitschrift der VVN-BdA Baden-Württemberg