Er ist der neue Leiter des größten Polizeireviers in der Ortenau: Peter Dieterle. Mit der Antifa-Demo wurde er ins kalte Wasser geworfen. Darüber, seine Ziele und die Arbeit der Offenburger Polizei sprach er im Interview.
BZ: Herr Dieterle, Sie sind noch keine Woche im Amt und mussten mit der leider nicht ganz gewaltfreien Antifa-Demonstration schon einen nächtlichen Großeinsatz leiten. Haben Sie sich so Ihren Einstieg in Offenburg vorgestellt?
Dieterle: Natürlich nicht! Es wäre mir
lieber gewesen, hier ganz normal anzukommen und in Ruhe die Menschen
kennenzulernen – vor allem auch die Kolleginnen und Kollegen. Das kam
jetzt halt anders, ich musste ins kalte Wasser springen. Aber solche
Einsätze wie am Mittwochabend sind für mich ja kein Neuland. Das kenne
ich von Karlsruhe. Aber dass das jetzt ausgerechnet in meiner ersten
Woche in Offenburg passierte, das hat wirklich nichts mit mir zu tun –
das war reiner Zufall! (lacht).
BZ: Sie haben in Ihrer Antrittsrede sehr engagiert die zunehmende Gewalt gegen Polizisten thematisiert und deutlich gemacht, dass hinter jeder Uniform auch ein Mensch steckt. Sie sind seit mehr als 30 Jahren bei der Polizei: Wie erleben Sie und Ihre Kollegen die Situation im Alltag?
Dieterle: Ich erinnere mich noch gut an den
Tag, an dem ich als junger Polizist zum ersten Mal zum Polizeirevier
Karlsruhe kam. Da stand ein Streifenwagen, an dem die Tür rausgetreten
war. Die Nachtschicht hatte einen Mann abtransportiert, der sich
entsprechend gewehrt hat. So etwas gab es damals also auch. Oder man
fährt durch die Fußgängerzone, und es stellt sich jemand vor den
Streifenwagen und haut das Blaulicht runter. Diese Dinge gab es. Aber
man kannte diese Leute alle noch und wusste, mit wem man es zu tun hat.
Heute sind es zu viele, die ein solches Verhalten an den Tag legen. Ich
sehe da gar nicht unbedingt eine Steigerung der Aggression, sondern
einfach die schiere Menge.
BZ: Polizisten müssen zunehmend um Gesundheit und Leben fürchten...
Dieterle: Das ist leider so. Ich erinnere
mich gut an zwei besonders haarige Situationen im vergangenen Jahr in
Karlsruhe. Im einen Fall wurden wir zu einem ganz normalen Hausstreit
in einem Stadtteil gerufen. Eine Streifenwagenbesatzung – ein
50-jähriger Polizeikommissar und eine junge Polizeimeisterin, Mutter
von zwei kleinen Kindern – fuhr hin und wurde gezielt im Hausflur
abgepasst. Der Täter wollte die beiden mit einer Axt erschlagen. Nur
weil sie absolut hochprofessionell reagiert haben, ist nichts
Schlimmeres passiert. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht
räumte der Täter dann auch die klare Tötungsabsicht ein. Der zweite
Fall war der Banküberfall im Dezember, wo ein Kollege zum zweiten Mal
in seinem Berufsleben erleben musste, dass ihm die Kugeln um die Ohren
geflogen sind. Und allein im vergangenen Jahr musste ich acht
Kolleginnen und Kollegen nach Blutkontakten zur Untersuchung auf
Hepatitis C schicken. Das bedeutet für die Betroffenen ein halbes Jahr
Belastung, bis das Ergebnis kommt. Das waren drei Beispiele, die
zeigen, womit wir es mittlerweile zu tun haben. Wenn früher die Polizei
zum Einsatzort kam, dann war die Sache vorbei. So ist es heute nicht
mehr, da macht man einfach weiter. Das ist für mich eine sehr
bedenkliche Entwicklung.
BZ: Was lässt sich dagegen tun?
Dieterle: Das ist ein gesellschaftliches
Problem. Die Polizei kann da nur einen kleinen Brand löschen – für den
Brandschutz müssen andere sorgen. Das beginnt beim Thema
Gewaltverherrlichung in den Medien, aber auch in den Elternhäusern, die
sich darum kümmern müssen, was ihre Kinder anschauen. Das reicht über
die Schulen, wo gewisse Dinge nicht einfach ignoriert werden dürfen,
und das betrifft die Kommunen. Letztlich geht es darum, dass man all
das, was man ja bereits an möglichen Lösungen erkannt hat, auch
tatsächlich lebt. Polizei ist für Gesellschaftsprobleme nicht die
Lösung.
BZ: Sie kommen aus Karlsruhe, wo sie ein
Großstadtrevier geleitet haben. Was hat Sie gereizt, das Polizeirevier
Offenburg zu übernehmen?
Dieterle: Zunächst mal empfehle ich jedem Berufsanfänger bei der Polizei, eine Zeitlang in einem Großstadtrevier zu arbeiten. Die Geschehnisse sind zwar die gleichen wie in Offenburg auch, aber die Taktung und die Dichte sind ganz anders. Aber wenn man als Streifenpolizist an der Basis Tag für Tag außer bei Verkehrsunfällen nur noch mit einer Problemklientel zu tun hat, dann wird das auf Dauer doch sehr belastend. Auch in der Führungsebene hat man oft nur noch Probleme zu bewältigen. Das ist ein sehr einseitiges Geschäft. Von Offenburg verspreche ich mir etwas mehr von der Vielfalt, die es ja auch gibt. Zudem kann man im ländlichen Raum, wo die Kontakte in der Regel viel persönlicher sind, die Probleme besser lösen. In der Großstadt ist alles viel anonymer. Und natürlich reizt mich auch die Ortenau!
BZ: Was genau gefällt Ihnen hier?
Dieterle: Die Ortenauer sind ein toller
Menschenschlag – sehr herzlich. Und die Landschaft im Revierbereich –
von der Rheinebene bis in die Vorbergzone – ist ja auch fantastisch.
Das hat mir in der Stadt, wo man das Grün suchen muss, immer gefehlt.
Und ich verstehe meinen Vorgänger Adrian Brädle, der den Balkon des
Polizeireviers vermisst. So eine Aussicht hatte ich in Karlsruhe nicht.
BZ: Brädle hat als eines der großen
Problemfelder die Beschaffungskriminalität benannt, was auch daran
liegt, dass Offenburg als einzige Stadt im Kreis Einrichtungen für
Drogensüchtige wie die Schwerpunktpraxis und das Kontaktcafé hat.
Bringen Sie ein Rezept aus Karlsruhe mit, was unternommen werden kann?
Dieterle: Die Konzentrierung von
Betreuungseinrichtungen und damit bestimmter Gruppen ist in beiden
Revieren ähnlich. Wir werden ein starkes Auge darauf haben und auch in
Offenburg den Kontrolldruck hoch halten, um die Probleme in einem
erträglichen Maß zu halten. Aber auch das ist eine Sache, die wir als
Polizei nicht lösen können. Es wäre natürlich hilfreich, wenn sich auch
andere Kommunen mit solchen Betreuungseinrichtungen engagieren würden.
Dann verteilt sich die Belastung auf alle und es bekommt nicht eine
alleine alles knüppeldick ab.
BZ: Sie sind Chef von bis zu 150
Kolleginnen und Kollegen – ist das Polizeirevier mit seinem
Zuständigkeitsbereich weit über Offenburg hinaus damit personell
ausreichend ausgestattet?
Dieterle: Das kann ich noch nicht
beurteilen, das ist noch zu früh. Aber ich werde sicher mit Karlsruhe
vergleichen, wo wir rund 100 Kollegen waren, durch viele Abordnungen
aber real weniger. Da haben wir sehr oft an der Kante gearbeitet.
BZ: Sie haben in Ihrer Antrittsrede auch
gesagt: "Wir kommen immer, wenn man uns ruft". Müsste die Polizei nicht
viel stärker schon aktiv sein können, bevor es zu Notrufen kommt?
Dieterle: Ganz klar. Die Prävention ist die
Königsdisziplin der Polizei, also da zu sein, bevor etwas passiert. Da
bemühen wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten sehr. Was dieses Revier
im Vorfeld leisten kann, das leistet es auch. Es werden ja auch immer
wieder Täter festgenommen, bevor etwas passiert.
BZ: Was wünschen Sie sich von den Menschen in Ihrem Einsatzgebiet?
Dieterle: Wie gesagt, ich finde die
Menschen hier toll. Die sollen bleiben wie sie sind! Ich habe schon die
ersten Kontakte in der Stadt, und wenn sich das wie bisher
weiterentwickelt, dann freue ich mich riesig auf das, was kommt.
Wichtig ist mir aber auch, dass die Leute Vertrauen zu uns haben. Ich
möchte deshalb die von vielen Menschen als anonym wahrgenommene Polizei
auch mit Gesichtern füllen. Klar, wir haben unseren Job und unsere
Regeln und füllen die uns von der Gesellschaft zugedachte Rolle aus.
Aber man soll auch sehen, dass wir nichts Exotisches sind, sondern Teil
dieser Stadt und dieser Region – und in der Uniform vor allem auch
Menschen stecken, mit denen man reden kann.
BZ: Der jüngste Demo-Nachteinsatz hat
gezeigt, dass mit Ihrem Amt auch hoher Zeitaufwand verbunden ist. Wie
verbringen Sie denn am liebsten ihre Freizeit?
Dieterle: Da setze ich für den Kopf und den
Körper einen absoluten Kontrapunkt. Für den Kopf lese ich sehr gerne
ein gutes Buch. Das lässt mich in eine andere Welt eintauchen und
bringt mir andere Themen und Gedanken. Und für den Körper mache ich
Ausdauerläufe bis hin zum Marathon – wobei es mir da weniger um
sportliche Erfolge sondern mehr um die Fitness geht.
ZUR PERSON: Peter Dieterle
wurde 1961 in Forbach im Murgtal geboren, ist verheiratet, hat einen 21
Jahre alten Sohn und lebt seit 30 Jahren in Achern. Dieterle trat 1977
in den Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) ein, machte eine
Ausbildung in Bayern und wurde 1980 in die Ortenau versetzt. 1989
wechselte er zur Landespolizei und ins Karlsruher Innenstadtrevier.
Nach weiteren Stationen und Studium für den höheren Dienst leitete er
bis zum Wechsel nach Offenburg seit 2006 das Revier Karlsruhe
Südweststadt, daneben regelmäßig sportliche und politische
Großveranstaltungen. Auch an der Planung des Natogipfel-Einsatzes
wirkte er mit.