Am 25. Juni 2011 findet in Wittenberg nun die zweite Freiraumdemo seit der Räumung des ehemals besetzten Gesundheitsamtes im August 2009 statt. Warum Antifaschist_innen und andere alternative Menschen es für notwendig erachten Freiräume in der Provinzstadt zu erkämpfen und dafür nun wieder auf die Straße gehen, soll euch der folgende Artikel näher bringen.
Was sich im Vorfeld der Besetzung und in der Zeit nach der Räumung in Wittenberg abgespielt hat, kann mensch in unzähligen Berichten und Zeitungsartikeln nachlesen.
Doch was spielt sich aktuell in Wittenberg ab?
Sechs Jahre vor dem hiesigen und "herbeigesehnten" Reformationstag welcher 2017 sein 500 jähriges Jubiläum hat und der bereits laufenden Lutherdekade, wird die historische Altstadt langsam auf Hochglanz gebracht. Der Antisemit Martin Luther steht ungebrochen auf Platz eins der lokalen Stadtpolitik sowie deren Interessen. Das aktuelle Stadtbild spiegelt genau diese Interessen wieder. Wo jetzt noch Spielplätze stehen, müssen diese bald für Sehenswürdigkeiten weichen, um Touristen zu bespaßen. Die Arbeiten sind seit dem Jahr 2009 in vollem Gange. Einstige Jugendtreffpunkte mussten nun schon für den Lutherwahn weichen, und Jugendliche, Erwerbslose und kleine Familienunternehmen werden immer mehr aus der Innenstadt vertrieben um Platz für teure Geschäfte und Touristen zu schaffen.
Wenn mensch vor Jahren durch die Wittenberger Innenstadt gelaufen ist, waren die Straßen geprägt von kleinen Geschäften die teilweise seit mehreren Generationen von Familien betrieben worden. Diese werden nun durch teure Boutiquen, Cafés und Luthershops ersetzt oder müssen nun den Weg frei machen für die Umbauarbeiten rundum das geplante Einkaufszentrum welches bis Ende des Jahres 2012 für 42 Mio. € auf dem Arsenalplatz enstehen soll. Die Mieten in der Innenstadt werden bis dahin in einer Art und Weise explodieren, dass sich Menschen mit geringerem Einkommen die schon schwer bezahlbaren Wohnungen in Innenstadtnähe nicht mehr leisten können. So garantiert die aktuelle Stadtpolitik, dass sich auch wirklich nur die sogenannte "Oberschicht" ansiedelt. Daraus resultiert, dass kein Platz für Jugendliche und jungebliebene Menschen sowie unkommerzielle Kultur vorhanden ist, Proberäume Mangelwahre werden und Treffpunkte sowie Konzertmöglichkeiten zunehmend von der Stadtpolitik plattgemacht wurden.
Rassistische Stadtpolitik am Beispiel Möhlau
Seit nun mehr über 15 Jahren leben rund 200 asylsuchende Menschen unter katastrophalen und menschenunwürdigen Bedingungen in diesem Lager isoliert von der Außenwelt, mitten im Wald. Das Gelände und die Gebäude wurden zu DDR-Zeiten von den russischen Streitkräften genutzt. Anfang der 1990er Jahre wurde das Gelände in ein Flüchtlingsheim umgewandelt, zu diesem Zeitpunkt und in den ersten Jahren lebten dort bis zu 1000 Asylsuchende. Heute sind es noch 209 Bewohner_innen, darunter etliche Familien mit Kindern. Das Lager liegt rund 35 kilometer von Wittenberg entfernt, und wird von der KVW Beherberbungsbetriebe unter der Leitung von Marcel Wiedemann betrieben. Der Landkreis Wittenberg zahlt der KVW einen Tagessatz von 7,18 Euro je Bewohner_in. Das entspricht bei 209 Asylsuchenden einer monatlichen Summe von 46.519 Euro.
Wenn mensch das Lager besichtigt, stellt sich die Frage wofür das Geld genutzt wird. Bei den Bewohner_innen offensichtlich nicht, wie diese Fotodokumentation zeigt. Die Bewohner_innen sind von dem kompletten Repertoire der rassistischen Asylpolitik Europas betroffen, wie zum beispiel der Residenzpflicht, dem Gutscheinsystem und müssen Anträge stellen wenn sie zum Arzt müssen, ob diese dann rechtzeitig bearbeitet und bewilligt werden steht meistens außen vor. Im Jahr 2009 formierte sich allerdings Widerstand gegen die rassistische Asylpolitik des Landkreises. Die "Flüchtlingsnitiative Möhlau" rief zusammen mit anderen Antirassistischen Gruppen wie zum beispiel "No Lager Halle" zu verschieden Kundgebungen und Demonstrationen auf. Durch die Zusammenarbeit von der Flüchtlingsinitiative, dem Verein Kultur mit Sahne, der Antifa Wittenberg, der Antiragruppe No Lager Halle und zahlreichen Einzelpersonen enstand so ein Bündnis, welches genug öffentlichen Druck erzeugte, was die Stadt und den Landkreis zwang sich mit dem Problem auseinander zu setzen.
Am 14. April hat der Wittenberger Kreistag auf Antrag der FDP beschlossen, die Ausschreibung für eine teilweise dezentrale Unterbringung der Bewohner des Lagers Möhlau aufzuheben. Am 2. Mai musste sich der Kreistag wieder mit dem "Thema Möhlau" auseinandersetzen, dabei ging Landrat Jürgen Danneberg ( Die Linke ) überraschend in Widerspruch. Dazu hier ein Abschnitt aus der Onlineausgabe der Magdeburger Nachrichten:
Dem Widerspruch des Landrates wurde mit größerer Mehrheit stattgegeben, das Ausschreibungsverfahren läuft also weiter. Auffällig war hier das sehr uneinheitliche Abstimmungsverhalten der Abgeordneten quer durch alle Fraktionen. Die Bewertung der abgegebenen Angebote nach Beendigung des jetzt wieder laufenden Verfahrens erfolgt in den Ausschüssen. Die Vergabeentscheidung wird somit voraussichtlich am 4. Juli 2011 im Rahmen der nächsten Kreistagssitzung beschlossen. Hierbei lohnt es sich genauer hinzuschauen. Derzeit wird die sogenannte Gemeinschaftsunterkunft von der KVW Beherbungsbetriebe dem Landkreis zur Verfügung gestellt und betrieben. Der Landkreis zahlt an die KVW einen Tagessatz von 7,18 € je Bewohner. Dies ergibt bei 209 Flüchtlingen eine monatliche Summe von 46.519 €. Ein Flüchtling erhält eine Überlebenshilfe von ungefähr 190 € im Monat. Dies liegt weit unter dem Existenzminimum und den Zahlungen für Hartz 4 Empfängern. Oft jedoch wird der Betrag auch nur teilweise ausbezahlt und alternativ Essensgutscheine ausgegeben. Weiterhin kann die zuständige Behörde bei bereits leichten Verstössen gegen erlassene Auflagen die Auszahlungen weiter kürzen oder auch die Aufenthaltgenehmigung örtlich weiter beschränken. Die in Deutschland hilfesuchenden Flüchtlinge werden damit nochmals deutlich schlechter gestellt als es anderen notleidenden Menschen in Deutschland gewährt wird. Quelle
Einen entgültigen Beschluss zu dieser Sache wird am 4. Juli erwartet. Mal abgesehen davon, dass hier mit Menschen gehandelt und über diese bestimmt wird, betreibt der Landreis eine Politik der Ausgrenzung und Vertreibung. Interessant ist auch: Wärend die Stadt von den alternativen Jugendlichen ein enormes Brandschutzkonzept zur Verwirklichung eines alternativen Zentrums, woran dieses letzenendes auch gescheitert ist fordert, steht den asylsuchenden in Möhlau ein "Brandabzug" in Form eines Fensters zur verfügung. Der einzige und humane Ausweg aus dieser Misere wäre eine dezentrale Unterbringung in Wittenberg. Zumal das Geld für Stadt und Landkreis eine große Rolle spielt und es diesen Institutionen billiger kommen würde, die asylsuchenden dezentral leben zu lassen.
Im Zuge voranschreitender kapitalistischer Stadtentwicklung ist es umso wichtiger Freiräume zu schaffen, unkommerzielle Kultur aufzubauen und für ein menschenwürdiges Leben jenseits von kapitalistischer Verwertungslogik, Konsumterror, Lutherwahn und rassistischer Sondergesetze zu kämpfen.
Wir möchten einen Ort schaffen an dem Menschen frei von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Einkommen und "Nationalität" leben und sich verwirklichen können. Einen Ort zur kreativen Entfaltung mit Proberäumen, Konzerten, nicht-kommerzieller Kultur, Infoläden, Umsonstläden, Küchen für Alle und Kreativwerkstätten... Aus diesen und vielen Gründen mehr wird es am 25. Juni 2011 eine bundesweite Freiraumdemo geben. Infos dazu findet ihr hier