Vortrag mit Diskussion: Leiharbeit und „prekäre Beschäftigung“
Das Kapital veranstaltet sie – Der Staat fördert sie – Die Gewerkschaft jammert
Donnerstag, 12. Mai 2011, 19.30 Uhr
Karlsruhe, Planwirtschaft, Werderstraße 28
Veranstalter: Kapital-Lesekreis Karlsruhe
Der DGB zum Tag der Arbeit:
Flexibilisierung und Lohnsenkungen für alle!
Gegen „prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ wie Leiharbeit als „modernen Sklavenhandel“ setzt der DGB das Motto
„Leiharbeit begrenzen – verhindern – gestalten“.
Ist „Verhindern“ nicht das Gegenteil von „Gestalten“? Und „Begrenzen“ nicht ein teilweises „Erlauben“? Was denn nun? Hat die Gewerkschaft etwas gegen Leiharbeit oder nur gegen ihren „Missbrauch“? Ist das die „gute Arbeit“, wenn Leute, die jederzeit gefeuert werden können, für die Tage / Wochen / Monate, in denen sie beschäftigt sind, „equal pay“ erhalten?
Leiharbeit begrenzen
… aber bitte nur auf eine fürs Kapital erträgliche Grenze!
Billige, jederzeit verfügbare Arbeitskräfte, die das Kapital zum Profitmachen will und die es schnell ohne weitere Verpflichtung und Kosten wieder loswerden kann, wenn sie sich fürs Geschäft nicht mehr lohnen – mit der Form der Leiharbeit haben die Unternehmen heutzutage massenhaft prekäre Arbeitsverhältnisse organisiert und so hat „Hire and Fire“ seine moderne Form gefunden.
Dass Arbeiter einen Arbeitsplatz benötigen, ihr Einkommen einzig davon abhängig ist, dass Unternehmen mit ihrer Arbeit Gewinne machen, dass die Löhne deshalb nicht danach berechnet sind, was sie zum Leben brauchen, macht das Leben als „Arbeitnehmer“ hierzulande so ungemütlich und unsicher. Grund genug also sich gegen diese miese Abhängigkeit zu wehren. Unsere gewerkschaftliche Vertretung hält jedoch im Gegenteil schon die bloße Existenz von Arbeitsplätzen für das Höchste. Und weil die vom Gewinn abhängen, ist sie erst mal ganz schwer für den Gewinn. Ob das Einkommen der „Arbeitsplatzbesitzer“ dann auch ein Auskommen sichert, ist daher auch für sie nachrangig. Wenn die Firma für „den Erhalt der Arbeitsplätze“, also für ihren Gewinn, die Einstellung von Leiharbeitern verlangt, will sich die Gewerkschaft auch diesen „prekären“ Arbeitsverhältnissen nicht verschließen. Schließlich sind es erstens „Arbeitsplätze“ und zweitens – wenn sie z. B. bei Umsatzrückgang wieder gestrichen werden – retten sie angeblich „reguläre“ Arbeitsplätze: Die Stammbelegschaften „konnten gehalten werden“, weil erst mal massenhaft Leiharbeiter entlassen wurden. Als wären das keine Entlassungen!
Weil die Unternehmen sich für ihre Kalkulation die Freiheit offen halten wollen, je nach Bedarf einen bestimmten Anteil von Leiharbeitern zu beschäftigen, haben zum Beispiel Betriebsleitung und Betriebsrat von Daimler per Betriebsvereinbarung festgelegt, dass bis zu 8 % der Belegschaft als Leiharbeiter beschäftigt werden können. Und wenn’s mehr sein sollen, hat der Betriebsrat signalisiert, dass man darüber reden könne. Wenn der Betrieb es braucht, stimmt die Gewerkschaft zu. Damit unterschreibt die Gewerkschaft aber auch, dass es in Ordnung geht, wenn ein Teil der Belegschaft in Arbeitsverhältnissen leben muss, die die Gewerkschaft selbst als „prekär“ bezeichnet.
Aber für die Gewerkschaft gibt es eben gute und schlechte Leiharbeit: Wenn der Betriebsrat nämlich der Beschäftigung von Leiharbeitern zugestimmt hat, weil das Unternehmen darauf besteht, diese fürs Gewinnmachen zu benötigen, wird das mit dem „Abarbeiten von Auftragsspitzen“ gerechtfertigt mit der absurden Logik: Ausgerechnet wenn ein Unternehmen Zusatzgewinne macht, sollen dafür „prekäre“, also schlechter bezahlte Arbeitsplätze genau das Richtige sein! Das ist dann gute Leiharbeit, weil ja angeblich mehr Arbeitsplätze entstehen. – Schlechte Leiharbeit ist es, wenn ein Unternehmen feste Arbeitverhältnisse durch Leiharbeiter ersetzen will, ohne die Gewerkschaft zu fragen. Das ist dann ein „unnötiger Abbau der Stammbelegschaft“.
Leiharbeit verhindern
… mit Tarifverträgen, die sie überflüssig machen.
Wenn also das „Begrenzen“ der Leiharbeit ein „Ja“ zu lauter „ausnahmsweisen“ Leiharbeitsplätzen ist, darf man gespannt sein, was die IG Metall dann unter „Verhinderung“ der Leiharbeit versteht.
„Betriebsräte und Gewerkschaften haben über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen den Flexibilisierungsspielraum der Betriebe deutlich erhöht. Leiharbeit ist als Flexibilisierungsinstrument ein Griff in die Mottenkiste. Um auf Auslastungsschwankungen reagieren zu können, brauchen wir keine modernen Tagelöhner.“ (IG Metall Bezirk Baden-Württemberg: Leiharbeit begrenzen – verhindern – gestalten).
Das ist also Verhinderung von Leiharbeit: Die normalen Arbeitsverhältnisse verhindern sie, wenn man diese immer mehr den Konditionen für Leiharbeit anpasst, also die Arbeitsbedingungen und das Einkommen ständig verschlechtert.
So vereinbaren Gewerkschaften und Betriebsräte seit Jahren mit den Unternehmen Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit, generelle Lohnkürzungen, Zwangsurlaub, Wegfall von Weihnachtsgeld und anderen Sonderzahlungen für die Stammbelegschaft. Überstunden und Sonderschichten werden entsprechend der Auftragslage genehmigt – heutzutage auch ohne die früher üblichen Zulagen. All diese Regelungen wurden und werden laufend mit Zustimmung von Gewerkschaften und Betriebsräten angewandt, da sie keinem Unternehmen – nicht einmal vorübergehend – die Bezahlung von Mitarbeitern zumuten wollen, wenn sie gerade keinen Profit bringen. Den von ihr Vertretenen mutet sie aber sehr wohl zu, für den „Erhalt ihrer Arbeitsplätze“ auf einen Teil des Lohns zu verzichten, für den sie diese Plätze überhaupt nur brauchen. Mit dem neuen Metalltarifvertrag wird den Betrieben über die Zeit der gesetzlichen Kurzarbeit hinaus die Möglichkeit eröffnet, bei Bedarf die Stammbelegschaft ähnlich wie Tagelöhner einsetzen zu
können. Die Arbeitszeit kann dann von 35 Stunden auf 24 Stunden abgesenkt werden, bei entsprechender Lohnkürzung – als ob mit der Absenkung von Arbeitszeit und Lohn um ein Drittel auch Miete, Lebensmittel und der sonstige Lebensunterhalt ein Drittel billiger würden.
Leiharbeit gestalten
… indem man Tagelöhnerei zum tarifvertraglich legitimierten Beruf macht.
Unternehmen bezahlen von sich aus nur so viel an Lohn, wie sie es sich in ihrer Konkurrenz selber gegenseitig aufzwingen. So haben sie mit der Ausnutzung der Not der Leute den Niedriglohnsektor Zeitarbeit etabliert. Ob und wie man von den niedrigen Löhnen leben kann, interessiert sie nicht. Unsere Gewerkschaften offensichtlich auch nicht. Sie haben sich bei der „Gestaltung“ der Tarifverträge für Leiharbeiter an den Vorgaben der Leiharbeitsfirmen und damit an den miesesten Löhnen in der Republik orientiert: Ein für alle Branchen gültiger DGB-Tarifvertrag mit gleich wenig Lohn für alle, womit sie mithalfen, die EU-Norm „equal pay“, die bei fehlenden Tarifverträgen automatisch in jedem Unternehmen gälte, auszuhebeln. So sorgt die Gewerkschaft mit dafür, dass auch ja jedes Unternehmen die allerbilligsten Leiharbeiter finden kann und schreibt für die Leiharbeit einen deutlichen Lohnabstand zur regulären Beschäftigung fest: Gerechtigkeit fängt für Leiharbeiter bei den niedrigsten Löhnen an! Schlechte Bezahlung und jederzeit entlassen werden können: Mit der Gewerkschaft ist das tarifvertraglich geregelt! Mit diesen miesen Tarifabschlüssen von 7,50 Euro West bzw. 6,50 Euro Ost für Leiharbeiter schafft die Gewerkschaft genau den Billiglohn, der das Geschäft mit der Leiharbeit für Verleiher und Entleiher so einträglich macht und das Leben für die Leiharbeiter so unerträglich!
Kein Wunder, dass die Unternehmen die Löhne der Stammbelegschaften an den niedrigen Löhnen der Leiharbeiter messen und zu hoch befinden. Diesen Druck auf die Löhne der Normalbeschäftigten merkt die Gewerkschaft auch: Nachdem sie per Tarifvertrag unterschrieben hat, dass Leiharbeiter so ungefähr auf dem Niveau des offiziellen Existenzminimums entlohnt werden, fordert sie jetzt „equal pay“ für die Leiharbeiter, die gerade an einen produzierenden Betrieb ausgeliehen sind. Zumindest in der Stahlindustrie, in der kaum Leiharbeiter eingesetzt und wenn ja, sowieso schon nach Stahltarifvertrag bezahlt werden, hat sie „equal pay“ in den Tarifvertrag schreiben lassen und gibt mächtig damit an. Als ob „equal pay“ gleiche Bezahlung wäre: Die meisten Leiharbeiter kommen über den Einstiegstarif nie hinaus und auch die Lohnbestandteile, die aus betrieblichen Zuschlägen bestehen, erhalten sie nicht in voller Höhe. Darüber hinaus bleibt es für einen Leiharbeiter weiterhin völlig ungewiss, wie lange er diese „gleiche“ Bezahlung überhaupt erhält, welches Einkommen er also über die Jahre und in der Rente überhaupt erzielen kann. Er bleibt Tagelöhner, auch wenn er zeitweise annähernd den gleichen Lohn bekommt wie seine fest angestellten Kollegen. Ausgerechnet diesen Status hat die IGM nun festgeschrieben. Mit „equal pay“ (natürlich nur, solange der Leiharbeiter verliehen ist, in der übrigen Zeit gilt ja die „unterste Haltelinie“!) ist Leiharbeit tarifvertraglich zu einem sauberen, gerechten Arbeitsverhältnis erklärt worden.
Was für ein „Kampf“ gegen den „modernen Sklavenhandel“: Die Gewerkschaft regelt diesen Handel vertraglich und gibt damit nebenbei auch bekannt, „wie viel Luft nach unten“ in den Arbeitsverhältnissen der Normalbeschäftigten noch ist…
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