Hessische Neonazis wegen Mordversuch verurteilt

Erstveröffentlicht: 
02.02.2011

Den „Denkzettel“ lässt Richterin Karin Walter den jungen Neonazis nicht durchgehen. Dafür hätte ihrer Meinung nach ein Farbbeutel gereicht. Sie wertet den Wurf eines Molotowcocktails auf das Haus eines Pastoralreferenten in Wetzlar als Mordversuch. Im Haus schliefen zum Tatzeitpunkt die Ehefrau des Mannes und ihre drei Kinder. „Die Angeklagten haben den Tod der Bewohner zumindest billigend in Kauf genommen“, sagte die Richterin des Limburger Landgerichts am Mittwoch. Sie befand die jungen Männer des versuchten vierfachen Mordes und der schweren Brandstiftung für schuldig. Die Anhänger der rechtsextremen Gruppierung Anti-Antifa Wetzlar müssen mehrere Jahre ins Gefängnis.

 

Der zur Tatzeit 17 Jahre alte Haupttäter wurde zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen drei Jahren und neun Monaten und fünf Jahren. Damit blieb das Urteil leicht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Als die jungen Männer das Strafmaß hörten, machten sie jedoch große Augen. In der Verhandlung hatten sie ausgesagt, sie hätten sich am Engagement des Kirchenmitarbeiters gegen Rechtsextremismus gestört und ihm mit dem Brandanschlag lediglich einen Schrecken einjagen wollen. Die Richterin war anderer Meinung: Mit dem Molotowcocktail hätten die Angeklagten den Aktivitäten "ein Ende setzen" wollen.

Die Anhänger der rechten Szene seien sich sehr wohl bewusst gewesen, welche Gefahr von dem Molotowcocktail mitten in der Nacht für die schlafenden Bewohner ausgegangen sei. Einer von ihnen habe eigener Aussage zufolge vor der Tat Bedenken geäußert, das gesamte Haus könnte abbrennen. Daraufhin hätten die anderen Angeklagten nur gegrinst, berichtete Walter. Auf den Einwand, es könnten dabei auch Menschen zu Schaden kommen, hätten die anderen Männer erwidert, "das sei ihnen scheißegal".

Die Angeklagten hätten heimtückisch und aus niederen Beweggründen gehandelt. "Sie handelten aus purer Rachsucht", sagte die Richterin. Der Pastoralreferent hatte als Teil seiner Jugendarbeit Aktivitäten der rechten Szene gefilmt und im Internet veröffentlicht. So drehte er ein Video von einer Schlauchbootfahrt junger Neonazis auf der Lahn zu Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolph Hess - und unterlegte es mit dem Schlager "Ein knallrotes Gummiboot". "Die Angeklagten wollten es dem Nebenkläger heimzahlen, weil sie sich von ihm provoziert fühlten", sagte Walter. Tatsächlich habe so ein Grund aber nicht vorgelegen.

In der Nacht zum 5. März 2010 klebten die Kumpels die Kennzeichen ihres Autos mit Kreppband ab und fuhren zum Haus des Pastoralreferenten. Der 17-Jährige schleuderte eine mit Benzin gefüllte Glasflasche gegen das Gebäude. Die Holztür fing Feuer und setzte einen Vorhang im Haus in Brand. Die Flammen konnten schnell gelöscht werden, es wurde niemand verletzt. Die Ehefrau leide jedoch seelisch unter den Folgen des Anschlags, sagte die Richterin, lange habe sie aus Angst nur mit voller Kleidung geschlafen.

Beim Anblick der Stichflamme hätten die Neonazis mit einem "Boah" ihre Bewunderung geäußert und seien geflüchtet, berichtete Walter. Im Auto hätten sie gefeixt, sich vorgestellt, wie das Haus abbrennt, und sich darüber lustig gemacht. "Bereits auf der Fahrt feierten die Angeklagten, indem sie lauthals lachten", sagte sie.

Die Richterin hielt den jungen Männern zugute, dass sie alle Geständnisse ablegten. Einem zur Tatzeit 23-Jährigen rechnete sie zudem an, dass er als Kronzeuge zur Aufklärung der Tat beigetragen habe - und einem damals 21-Jährigen, dass er von seinem Lohn im Gefängnis Schmerzensgeld an die Opfer zahle und sich bei einem Aussteigerprogramm angemeldet habe. Allerdings zeigte sich die Richterin darüber besorgt, dass zwei der jungen Männer weiterhin an rechtsradikalem Gedankengut festhielten.

Staatsanwalt Frank Späth hatte in seinem Plädoyer Haftstrafen zwischen fünf und sieben Jahren gefordert. Gleichwohl sagte er nach Ende der Verhandlung: "Das Urteil entspricht den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft." Durch den Prozess sei die Anti-Antifa in Wetzlar derzeit in ihrer Struktur geschwächt, es seien aber weitere Aktionen zu befürchten.

dapd

 


 

siehe auch: Nach Brandanschlag: Neonazis zu Haftstrafen verurteilt. Er drehte unzählige Videos von Neonazi-Demos und Aktivitäten der rechten Szene und stellte sie bei YouTube online. Eine Gruppe junger Neonazis hatte sich dadurch provoziert gefühlt, sie warf einen Molotow-Cocktail auf das Haus des Kirchenmitarbeiters. Nun müssen die Anhänger der Anti-Antifa Wetzlar wegen versuchten Mordes für mehrere Jahre ins Gefängnis.