(rvr) Die drei Fragezeichen und das Phantomhandy: Wenn man den aktuellen Antifa-Prozess vor dem Bochumer Amtsgericht als Hörspiel vertonen wollte, wäre das ein angemessener Titel. Denn nach dem ersten Verhandlungstag bleiben viele Fragen offen – vor allem nach einem Handy, das bei der Polizei niemand gesehen haben will.
Anlass für das Stelldichein vor Gericht ist eigentlich der Vorwurf gegen einen Bochumer Studenten, der bei der Antifaschistischen Jugend Bochum (AJB) aktiv ist. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe sich bei den Protesten gegen einen NPD-Infostand geweigert, seine Personalien anzugeben. Bei einem anschließenden Gerangel auf der Wache habe sich Fernsehpolizist Thomas „Harry“ Weinkauf am kleinen Finger verletzt. Anklage: Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beleidigung. Business as usual? Nicht ganz. Denn es steht ein weiterer Verdacht im Raum: Hat die Bochumer Polizei die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und ohne richterliche Genehmigung die Handydaten aus der SIM-Karte des Angeklagten ausgelesen, um Informationen über die linke Bochumer Szene zu sammeln? Das wäre verfassungswidrig.
Handy? Welches Handy?
Vor Gericht schilderte der 24jährige Student den Vorgang wie folgt: Nachdem er auf die Polizeiwache gebracht worden war, habe man ihn durchsucht. Als ein Beamter mit seinem Handy den Raum verlies, wollte er ihm folgen. Daraufhin habe sich „Harry“ auf ihn gestürzt und ihn geschlagen. Das Brisante an der Geschichte: Das fragliche Handy taucht in den Polizeiprotokollen überhaupt nicht auf. Vor Gericht konnte sich „Harry“ Weinkauf nach eigener Aussage überhaupt nicht daran erinnern, ob bei dem Studenten ein Handy sichergestellt worden sei. Sein Kollege, der sich nach Aussage des Studenten mit dem Handy aus dem Staub machen wollte, ließ sich wegen Krankheit entschuldigen.
Zeuge krankgemeldet
Der Student erklärte vor Gericht, bei seiner Entlassung habe er sein Handy zurückerhalten. An der zurückgesetzten Uhrzeit habe er gemerkt, dass der Akku, unter dem sich die SIM-Karte befindet, herausgenommen wurde. Auch weitere Widersprüchlichkeiten konnte das Gericht bisher nicht klären: So ist in den Polizeiunterlagen notiert, „Harry“ Weinkauf habe die Durchsuchung durchgeführt – und eben kein Handy gefunden. Der betonte allerdings bei seiner Vernehmung, dass sein Kollege, der sich als Zeuge krankmelden ließ, für die Durchsuchung und das Protokoll verantwortlich gewesen sei.
Ermittlungsmethoden auf dem Prüfstand
Das im Durchsuchungsprotokoll fehlende Handy könnte zum Dreh- und Angelpunkt nicht nur des Prozesses gegen den Bochumer Studenten werden. Es wirft auch Fragen nach den Ermittlungsmethoden der Bochumer Polizei auf. Es ist kein Geheimnis, dass der Polizei die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Verbindungs- und Kontaktdaten aus einer Handykarte auszulesen, auch wenn das Gerät ausgeschaltet und mit einer PIN-Nummer gesichert ist. Weil das aber ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte wäre, ist das ohne richterliche Genehmigung illegal – dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2005 entschieden. Selbst wenn „Gefahr in Verzug“ ist, muss die Maßnahme wenigstens von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden.
Wertvolle Daten
Die möglicherweise illegale Überwachung von linken Strukturen durch die Polizei hat zuletzt in Heidelberg Schlagzeilen gemacht. Dort schrieb sich ein verdeckter Ermittler mit gefälschten Unterlagen an der Uni ein und arbeitete unter falscher Identität in studentischen Protestgruppen mit (siehe bsz 856). Ein Interesse an Kontakt- und Verbindungsdaten aus dem Umfeld der AJB darf auch der Bochumer Polizei getrost unterstellt werden – schließlich laufen wegen Vorfällen bei Antifa-Protesten in Bochum weitere Verfahren. Ob sich der Verdacht der illegalen Handydurchsuchung entkräften lässt, wird möglicherweise die Fortsetzung des Prozesses zeigen. Dass die Widersprüche in den Aussagen und den Polizeiprotokollen aufgeklärt werden, ist auch für den TV-Polizisten „Harry“ Weinkauf nicht unwichtig. Schließlich wurde er bereits einmal wegen Falscheides vor Gericht zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro verurteilt. Fortsetzung der Verhandlung: Montag, 7. Februar, 10 Uhr.