Eine organisierte Nazi-Struktur wie vor 20 Jahren gibt es heute zumindest in der Stadt Göttingen nicht mehr. Hier sind sich die Göttinger Staatsanwaltschaft, die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und der niedersächsische Verfassungsschutz einig.
Vielmehr, so ein Sprecher der A.L.I., seien viele Leute der rechten Szene in das Umland ausgewichen. Dass es in Göttingen kaum noch Nazi-Aktivitäten gibt, habe neben der strafrechtlichen Verfolgung auch die Präsenz einer starken antifaschistischen Szene bewirkt, sagt Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner. Politisch motivierte Gewalt gebe es fast gar nicht mehr, wohl aber vereinzelte Hakenkreuzschmierereien oder Veranstaltungen, auf denen rechte Musik gespielt wird. Die rechten Aktivitäten hätten sich stattdessen nach Einbeck, Northeim, in den Südharz oder ins Eichsfeld verschoben, so die Beobachtungen der A.L.I. Besonders in Teilen des Südharzes gebe es zahlreiche Nazi-Aktivitäten.
Auch wenn die Szene kaum organisiert ist, gebe es durchaus „durchgedrehte Leute mit Gewaltpotenzial“, sagt der A.L.I.-Sprecher. Als Beleg führt er die Funde scharfer Waffen bei Neonazis an, die bei Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Schießerei im Göttinger Nachtlokal Strip in 2008 gefunden wurden.
Im Landkreis Northeim hat es, nach Auskunft von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), seit 2007 13 Hausdurchsuchungen gegeben, die durch „rechtsextremistische motivierte Straftaten oder Gefahrenlagen“ veranlasst wurden – darunter auch Durchsuchungen in Hardegsen und Nörten-Hardenberg. Nach Angaben des Verfassungsschutzes ist die „Kameradschaftsszene im Kreis Northeim diffus und politisch nicht straff organisiert“, sagt Sprecherin Maren Brandenburger auf Anfrage. Viele Aktivitäten seien nicht „zielgerichtet“.
Nach Schünemanns Ausführungen im Landtag im April 2010 gebe es mit dem Wegzug von Thorsten Heise „kaum strukturierte Aktivitäten der Neonaziszene im Wirkungsbereich der ehemaligen Kameradschaft Northeim“. Mit der Inhaftierung des Führers der Kameradschaft Einbeck seien auch dort „keine Aktivitäten“ festzustellen.“ Gleichwohl gebe es Verbindungen zur Szene in Northeim und Bad Lauterberg und zur NPD. Das Mobilisierungspotenzial der Einbecker Kameradschaft schätzt Schünemann auf etwa 20 Personen. „Das Rekrutierungspotenzial von Thorsten Heise liegt inklusive der Neonazi-Szene im Raum Northeim bei rund 40 Personen.“ Nach Brandenburgers Angaben verfügen die rechtsextremen Parteien NPD und DVU in Göttingen und Northeim keine „nennenswerten Strukturen“.
Allerdings verzeichnet der Verfassungsschutz wiederkehrende Veranstaltungen im Kreis Northeim, zu denen teilweise bis zu 100 Rechtsextremisten kommen. Aufgeführt werden von den Verfassungsschützern Wintersonnenwendfeiern, Balladen- und Liederabende sowie Vatertagswanderungen.