Mauer mit dunkler Vergangenheit

Blut- und Boden-Romantik mit Rissen: Das Relief am Lärchenwäldchen soll saniert oder sogar abgetragen und eingelagert werden. Foto: Möller
Erstveröffentlicht: 
08.12.2010

Eine Mauer macht der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) ein wenig Kopfzerbrechen. Sie ist Eigentümerin der Bergkaserne, die verkauft werden soll. Rechts neben dem Eingang befindet sich ein Relief aus der NS-Zeit. Das 1938 eingeweihte Werk von Carl Bourcarde ist marode und wäre normalerweise ein Fall für die Abrissbirne. In der Denkmaltopografie des Landesamtes für Denkmalpflege ist es aber als Kulturdenkmal festgehalten, was nichts anderes heißt, als: es ist amtlich anerkannt erhaltenswert. Derzeit wird in der Bima über eine Lösung nachgedacht. Wegen seiner „Blut-und-Boden-Romantik“ in den Motiven kritisieren Antifagruppen die Bemühungen um einen Erhalt, der mehrere tausend Euro kosten wird. Von Oliver Keßler

 

In diesem Jahr hatte die Bima das Relief restaurieren wollen. Geschehen ist nach der im Februar öffentlich gewordenen Ankündigung jedoch nichts. Noch immer ziehen sich lange Risse durch das Mauerwerk. Teile der Abbildungen sind herausgebrochen. Was mit der Mauer geschieht, ist bislang nicht klar. Klar ist nur, dass etwas mit ihr passieren muss. „Wir prüfen da die Möglichkeiten, von Teilsanierung bis zur Einlagerung“, sagt Frank-Michael Kreis, Abteilungsleiter bei der Bima in Koblenz. Schließlich solle die Fläche veräußert werden. „Wir werden dabei natürlich die Vorgaben des Denkmalschutzes beachten.“

 

Die Denkmaltopografie der Stadt Gießen, in der alle denkmalgeschützten Bauwerke aufgeführt sind, erschien im Jahr 1993. „Als historisch wichtiges Dokument für die ideologisierte und instrumentalisierte Kunstauffassung der NS-Zeit ist das Relief Kulturdenkmal“, wird darin festgehalten. Die Mauer dürfte 1935/36 im Zuge der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht entstanden sein, wird vermutet. Antike Reliefkunst stand Pate für das Thema „Arbeit und Familie von Kriegern bewacht“. Oder, wie es in der Topografie steht: „In propagandistischer Absicht wird die Schutzfunktion der Wehrmacht durch vierfach wiederholte, heraldisch angeordnete Kriegergestalten, die in heroischer Nacktheit erscheinen, symbolisiert.“

 

Als Wächter flankieren sie muskelbepackt mit Schwert, Stahlhelm und Schild drei Felder, auf denen Lebens- und Arbeitsbereiche aus dem Industriealltag, Familie und Mutterschaft sowie Landwirtschaft abgehandelt werden, idealtypisch und idyllisierend. „Typisch für die Entstehungszeit ist der Stil, der zwischen Realismus und vereinfachender Monumentalisierung schwankt“, lautet die ästhetische Einordnung. In einem umfangreichen Schreiben fordert die Gießener Antifa-Gruppe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Erinnerungskultur. „Noch immer wird die Opferrolle umgedreht“, ist darin zu lesen. Die Deutschen würden zu Opfern einer Nazi-Clique auf der einen, der Kriegsführung der Alliierten auf der anderen Seite verklärt. „Auch in Gießen wird häufig ein fragwürdiger Umgang mit der Geschichte gepflegt“, heißt es in dem Text, der zahlreiche Beispiele nennt. Hierzu zählt unter anderem ein Denkmal zu Ehren des „Gießener Hausregiments 116“ oder das ursprünglich dem Kampfgeschwader 55 gewidmete Greifendenkmal an der Gabelung von Grünberger und Licher Straße. Auch die Mauer an der Bergkaserne wird kommentiert: „Der Erhalt dieses Reliefs scheint von größerer Bedeutung, als sich um das Füllen einiger Erinnerungslücken zu kümmern.“

 

Joachim Wilhelm Rauch ist Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde im Rathaus am Berliner Platz. „Es gehört zum Geschichtsbewusstsein, dass man sich mit historischen Quellen auseinandersetzt“, ist seine Meinung zur Beschäftigung mit diesem Thema. Er sieht diesen Prozess positiv. „Auf diese Weise kann man sich mit diesem Dokument der NS-Zeit beschäftigen.“ Wäre diese Mauer nicht gewesen, hätte diese Form der Auseinandersetzung nie stattgefunden, so der Diplom-Ingenieur und Architekt. Zur Verdeutlichung der ideologisierten und instrumentalisierten Kunstauffassung der NS-Zeit ist es seiner Meinung „durchaus vorstellbar, eine erläuternde Tafel anzubringen“.