Interview mit Kriegsminister Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

Erstveröffentlicht: 
05.12.2010

Bundesverteidigungsminister über die Bedeutung der WikiLeaks-Veröffentlichungen für Militäreinsätze

 

Karl-Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Rolf Clement

 

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg äußert sich Veröffentlichungen bei WikiLeaks und deren Bedeutung für militärische Einsätze. Ferner spricht er über die Wehrpflicht und einen möglichen Freiwilligendienst, bei dem ein Bonussystem denkbar wäre.

 

Rolf Clement: Herr Minister zu Guttenberg, wenn der Verteidigungsminister sich jetzt mit amerikanischen Diplomaten trifft - nach der Veröffentlichung von WikiLeaks - sprechen Sie mit denen eigentlich noch vertraulich und offen?

Karl-Theodor zu Guttenberg: Ich glaube, wir haben in den letzten Jahrzehnten ein so offenes, vertrauliches und auch freundschaftliches Verhältnis zwischen diesen beiden unseren Staaten aufgebaut, dass wir mit einer gewissen Gelassenheit auch an diese Veröffentlichungen herangehen sollten. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Botschafter in ihre Hauptstätte berichten. Und nicht alles, was aufgeschrieben wurde, ist in meinen Augen jetzt, was das deutsch-amerikanische Verhältnis anbelangt, bereits als Skandal zu bezeichnen.

Clement: Aber wenn man nach Afghanistan guckt und sich das eine oder andere durchliest, was über da berichtet wird: Hat das nicht auch irgendwann Auswirkungen auf die Einsätze?

zu Guttenberg: Das ist eine Problematik, die generell mit WikiLeaks zusammenhängt. Ich glaube, dass wir hier schon mit sehr viel Sorge und einer eben solchen Wachsamkeit beobachten sollten, wie sich das weiter entwickelt. Ich halte es für fatal, dass es solche Veröffentlichungen in dieser Form gibt, weil, dass vertrauliche Gespräche stattfinden können, steht außer Frage, aber dass die Vertraulichkeit dann letztlich über solche Instrumente weltweit offengelegt wird, kann ein Gefährdungspotential bedeuten an den unterschiedlichsten Orten dieser Erde. Und da ist nicht nur der Blick nach Afghanistan zu richten, sondern auch in ganz andere Bereiche.

Clement: Aber bleiben wir mal bei Afghanistan und gehen weg von WikiLeaks. Sie planen in der kommenden Woche einen Fortschrittsbericht über die Zustände in Afghanistan und den dortigen Einsatz zu veröffentlichen. Können Sie uns denn schon sagen, was da drin stehen wird?

zu Guttenberg: Wir wollen den ja erst mal veröffentlichen, diesen Fortschrittsbericht. Der ist in der abschließenden Verantwortung des Auswärtigen Amtes, und insofern soll er auch in dieser Federführung vorgestellt werden. Was man allerdings sagen kann und was wichtig ist, ist, dass es sich um einen schnörkellosen Bericht handeln wird in einer Form, dass man nicht nur auf die Erfolge hinweist, sondern dass man auch deutlich macht, in welchen Bereichen noch Verbesserungsbedarf gegeben ist, wo es Defizite gibt. Es werden eben so die Problembereiche Drogenanbau und Korruption aufgeführt - wie die Punkte, wo wir einfach noch Schritte vorangehen müssen. Und ich kann für meinen Teil sagen, den ich mit zu verantworten habe, was die militärische Ausbildung beispielsweise anbelangt, dass wir hier weiter sind, als wir eigentlich avisiert hatten zu diesem Zeitpunkt, aber dass wir noch viele, viele Kräfte auch investieren müssen.

Clement: Wie sehen denn die Bedingungen aus, die erfüllt sein müssen, bis man an einen Abzug denken kann?

zu Guttenberg: Zunächst einmal ist wichtig, dass wir einen weiteren erfolgreichen Aufwuchs afghanischer Sicherheitskräfte haben und dass eine enge erfolgreiche Abstimmung da mit unseren Alltagspartnern und mit der afghanischen Regierung stattfindet. Wir haben eine Zielsetzung, bis Ende 2011 über 300.000 afghanische Sicherheitskräfte ausgebildet zu haben. Hier sind wir, was den militärischen Aspekt anbelangt, auf gutem Wege, um diese so genannte "Übergabe in Verantwortung" darstellen zu können, was heißt, dass man die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen übergibt, um dann schrittweise eben selbst die Abzugsperspektive darstellen zu können. Dass wir gleichzeitig ein gewisses Maß auch an Menschenrechtserfolgen sehen wollen, steht außer Frage. Aber es war wichtig, endlich mal die Ziele auf ein realistisches Maß herunterzuschrauben und sich nicht nur in Illusionen und Traumbildern zu befinden.

Clement: Aber wie verbindlich kann das denn eigentlich heute schon sein, wenn man heute schon sagt: 2011 beginnen, 2014 Ende des Abzugs, zumindest der Kampftruppen - wenn man im Prinzip gar nicht absehen kann, wie die Lage vor Ort sich entwickelt in diesen drei Jahren?

zu Guttenberg: Die Lage in Afghanistan war volatil und wird auch volatil bleiben. Und deswegen ist es eine Zielmarke, die von Präsident Karzai vorgegeben wurde, die die NATO aufgegriffen hat, und wo man aber immer auch anzulegen hat den Ansatz: Es muss verantwortbar sein und es muss letztlich auch den Zielen entsprechen, die man sich gesetzt hat. Alleine mit einer Zahl zu sprechen, würde diesem Anspruch nicht gerecht werden.

Clement: Hat Deutschland, hat die NATO, auch die westlichen Staaten nicht ein elementares geopolitisches Interesse an einer stärkeren, an einer langfristigen Präsenz - gerade in diesen Krisenregionen Afghanistan, Pakistan, Iran?

zu Guttenberg: Nicht nur Europa, sondern ich glaube, die ganze Weltgemeinschaft hat ein Interesse daran, dass die größere Region dort nicht einer dauerhaften Instabilität unterworfen ist. Und das ist ja auch eines der Begründungsmuster, die wir immer heranzuziehen haben, dass ein implodierendes, sich selbst überlassenes Afghanistan absehbar Auswirkungen auf den Nachbarn Pakistan, auf die zentralasiatischen Staaten, möglicherweise auch auf den Iran haben könnten - macht deutlich, welches Gefährdungspotential letztlich in dieser Region gegeben ist und weshalb es so wichtig ist, auch dort und über das Jahr 2014 hinaus mit einer gewissen zivilen, die möglicherweise nicht mit Kampftruppen, aber in der internationalen Gemeinschaft vielleicht auch noch militärischen Präsenz vor Ort zu sein.

Clement: Sehen Sie denn die Defizite im Moment eher im zivilen Bereich, nachdem Sie gesagt haben, die Ausbildung von Soldaten klappt ganz gut, die Sicherheit bekommen Sie zunehmend in Griff?

zu Guttenberg: Ja, das "zunehmend in Griff bekommen" ist natürlich auch unterschiedlich ausgeprägt in ganz Afghanistan. Es gibt Bereiche, wo wir noch vor sehr, sehr großen Herausforderungen stehen, wo sich die Sicherheitslage auch verschärft hat, weil man natürlich auch präsenter mittlerweile an Orten ist, wo die sogenannten Aufständischen sich befinden und man versucht, ihnen die Rückzugsräume zu nehmen. Es sind überall noch Hausaufgaben zu machen, das gilt für den zivilen Bereich ebenso wie für den militärischen, das gilt für die Polizeiausbildung ebenso wie beispielsweise in den Bereichen der Entwicklungshilfe. Aber es ist wichtig, dass man sich eben erreichbare realistische Ziele setzt. Und das ist, glaube ich, etwas, was in diesem Jahr besser vorangekommen ist.

Clement: Ich möchte mal den Begriff der erreichbaren Ziele aufgreifen und auf die Bundeswehrreform kommen, Herr zu Guttenberg. Die Wehrpflicht wird ausgesetzt, de facto - sagen einige - sie wird damit abgeschafft. Ich will auf einen anderen Punkt. Was sagen Sie einem jungen Menschen - männlich oder weiblich -, der gerade sein Abitur hat, einen Studienplatz sicher hat, der gerade seine Ausbildung abgeschlossen hat, einen Arbeitsplatz hat - warum soll er freiwillig für zwölf bis 23 Monate zur Bundeswehr kommen?

zu Guttenberg: Ein freiwilliger Dienst kann sich für den jungen Menschen nur lohnen, wenn es letztlich einen Mehrwert für ihn bringt, wenn es einen Mehrwert für die Gesellschaft bringt, wobei ich dabei voraussetze, dass wir in diesem Land auch noch mal ein gefestigteres Bewusstsein bekommen, dass es sich lohnen kann, einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Und dafür müssen wir natürlich etwas anbieten, dafür müssen wir in dieser Zeit ein attraktiver Arbeitgeber sein. Dafür müssen wir ein Arbeitgeber sein, der einen jungen Menschen, der zu uns kommt, ein Angebot macht, dass er besser ausgebildet und mit einer besseren Chance auch für das weitere Leben eine Bundeswehr verlässt, als zu dem Zeitpunkt, als er in sie eingetreten ist. Und diese Instrumente sind derzeit in der Ausarbeitung. Hier gibt es einige Instrumente, die darzustellen sind, ohne dass man sehr viel Kosten damit verbinden muss. Andere kosten natürlich Geld.

Clement: Können Sie das schon sagen: Womit kann einer rechnen, wenn er denn kommt?

zu Guttenberg: Also was wichtig ist, ist beispielsweise, dass man zunächst einmal in einen Bereich hinein geht, dass man spezifische Angebote zur Berufsförderung gibt, dass man Aus-, Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen anbietet, dass man natürlich auch einen Wehrsold-Zuschlag in den Blick nimmt - vom ersten Monat an, dass man eine beidseitig kündbare Probezeit innerhalb von sechs Monaten hat, so wie dass man einfach insbesondere in den Bereichen, wo man Ausbildungsmöglichkeiten schaffen kann, besser wird.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist der, wenn man ein solches Jahr oder mehr als ein Jahr ableistet, dass man beispielsweise, etwa wenn man dann ein Studium antreten will, einen Bonus haben könnte im Vergleich zu jenen, die das nicht getan haben. Und das gilt ja nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für den Zivildienst - eben für freiwillige Dienste generell. Hier sind aber natürlich auch die Länder gefragt, das kann der Bund nicht alleine machen, weil das Punkte sind, die in der jeweiligen Zuständigkeitshoheit der Länder bestehen.

Clement: Was glauben Sie denn bei den Ländern, wären die bereit, da mitzugehen?

zu Guttenberg: Ich höre sehr positive Stimmen, und Gott lob auch über die Parteigrenzen hinweg. Es gibt Ansätze, wo man darüber nachdenkt, dass man etwa Verifizierungen den jungen Menschen gibt über die Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen, die sie gemacht haben, es gibt Ansätze, wo man dieses Bonussystem tatsächlich auch einrichten will. Und ich finde, wir sollten das mit großem Nachdruck und so zügig wie möglich auch angehen, weil darin besteht wirklich eine große Chance, auch diesen Grundsatz, seinem Land etwas zurückzugeben, seinem Land zu dienen - oder "tue was für das Land" auch gerecht zu werden.

Clement: Ein weiterer Punkt, den Sie da anpacken wollen, ist die Frage der Organisation der Ausrüstung der Bundeswehr. Man erfährt nun, dass Sie sich am Freitag getroffen haben mit Vertretern der Rüstungsindustrie. Was haben Sie mit denen vereinbart?

zu Guttenberg: Zunächst einmal ist es unbestreitbar so, dass wir in der Frage der Ausrüstung und der Beschaffungsprozesse sehr viel besser werden müssen als wir es in den letzten Jahrzehnten - wenn man so will - waren. Hier hat sich vieles verhärmt, wir haben teilweise unsäglich lange und sich verlängernde Prozesse. Es wird in der Regel exorbitant teuer und teurer über den Lauf der Zeit hinweg. Und es sind manchmal wirklich absurde Gestaltungen, die Einzug gehalten haben. Und hier hat in der Industrie eine entsprechende Nachbesserung stattzufinden, aber auch bei uns im Hause. Und deswegen werden die strukturellen Überlegungen auch hier angelegt. Und deswegen gilt es auch, sich in der Hinsicht zum Nutzen aller Beteiligten sich abzustimmen. Allerdings ist es dabei auch wichtig, dass man auch hier einen realistischen Blick bewahrt.

Clement: Nun liest man an diesem Wochenende, dass Sie in dem Gespräch der Rüstungsindustrie auch Milliardenzugeständnisse gemacht haben bezüglich des Airbus A400M, des Militärtransporters, wie wegen der europäischen Drohne Talarion.

zu Guttenberg: Also, es ist hochinteressant, was man gelegentlich einem geschriebenen Ansatz entnehmen kann. Faktisch ist es so, dass ich zu dem, insbesondere zu letzterem Ansatz nur sagen kann, dass ich mich zu meinen Entscheidungen niemals durch eine mediale Druckkulisse hinreißen lasse, sondern dass das auf Substanz aufzubauen hat. Und die Substanz in der Darstellung hat zunächst einmal diese Industrie zu liefern. Und deswegen gibt es in der Hinsicht überhaupt keine Vorentscheidung. Es ist fraglos so, dass wir Systeme benötigen, die insbesondere auch im Bereich der unbemannten fliegenden Luftfahrt sich bewegen. Aber hier sind unterschiedliche Wege auch denkbar, beziehungsweise auch Wege denkbar, wo wir kurzfristig zu Ergebnissen kommen. Hier denke ich beispielsweise, dass man sehr viel offener auch Mal von der Industrie abverlangen kann, dass sie über Möglichkeiten des Lizenzbaus mit marktverfügbaren Produkten nachdenkt, damit man gewisse Lücken auch schließen kann. Und wenn es um langfristige Ansätze geht in diesem Bereich, und da sprechen wir dann von Punkten, wo die Industrie ja selbst mit sehr viel Stolz auch sagt, das sind Dinge, die nicht nur militärisch sich auszahlen werden, sondern eben auch im zivilen Bereich, dann, glaube ich, brauchen wir auch einen gesamtstaatlichen Ansatz, beispielsweise mit enger Zusammenarbeit auch mit den anderen Ressorts mit Blick auf diese zivile Nutzung und Technologie.

Clement: Also keine Festlegung bis jetzt auf das System Talarion?

zu Guttenberg: Es gibt von meiner Seite zu keinem Zeitpunkt eine öffentlich geäußerte Festlegung darauf. Es ist auch mit Blick auf den deutsch-französischen Gipfel so, dass wir natürlich - wie mit anderen auch - unsere Rüstungszusammenarbeit intensivieren werden, aber ohne, dass wir uns bezüglich irgendeiner Sache spezifisch geäußert hätten.

Clement: Herr Minister zu Guttenberg, Reformen kosten immer Geld. Es war im Sommer davon die Rede, dass Sie 8,3 Milliarden bis 2014 im Verteidigungshaushalt einsparen müssen. Die Zahl hat man seit dem Sommer eigentlich nicht mehr gehört. Welche Zahl hören Sie denn intern zurzeit? Wie viel müssen Sie denn noch einsparen?

zu Guttenberg: Das ist jetzt noch abhängig von den Entscheidungen, die wir treffen werden im Kabinett und dann natürlich auch mit Unterstützung der Bundestagsfraktionen, nämlich welche Gesamtzahl wir als Zielmarke der Bundeswehrstruktur ansteuern. Und hier habe ich ja eine Zahl genannt, die auch aus dem Diskussionsverlauf, der Debattenlage der letzten Wochen und Monate entsprungen ist, dass ich mir vorstellen kann, zwischen 180.000 bis 185.000 Soldatinnen und Soldaten am Ende des Tages zu haben. Das unterscheidet sich signifikant von der Minimallinie, die ich mit 163.500 ich glaube einfach verantwortungsvoll aufgezeigt habe, um mal zu sagen, da dürfen wir nicht drunter fallen, aber das ist eine Linie und ich habe die Maximallinie aufgezeichnet, und das muss dann auch substantiell finanziert werden. Und deswegen ist es immer daran gekoppelt, dass wir, sowohl was Attraktivität anbelangt als auch was die künftigen Kosten, die mit einer solchen Zahl verbunden sind, dass auch darstellen können. Die Debatte hat sich ja gedreht in den letzten Wochen und Monaten dahingehend, dass klar geworden ist: Wir wollen keine Bundeswehr nach Kassenlage. Wir wollen auch nicht fragen, was können wir uns künftig noch leisten, sondern es geht darum, was ist uns die Sicherheit in diesem Lande wert. Und dazu müssen wir einen Beitrag leisten.

Clement:Aber Sie müssen doch Signale haben. Sie planen mit 185.000. Die freiwillig Dienenden bekommen mehr Geld. Wie viele freiwillig Dienende haben Sie in Dresden als Zahl auch nicht mehr genannt. Es muss mehr Attraktivität geben. Wo kann das auskommen? Wie viel Einsparvolumen haben Sie denn noch?

zu Guttenberg: Also zunächst einmal, was die freiwillig Dienenden anbelangt, kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass wir hier eine fünfstellige Zahl erreichen können. In dieser Minimalrechnung, die der Generalinspekteur vorgestellt hatte, war von 7500 die Rede. Ich glaube und bin überzeugt davon, dass wir das deutlich überschreiten können, aber dass wir uns auch eine gewisse Flexibilität gönnen und auch darstellen sollten, weil es immer wieder auch nötig sein kann, dass man in dem einen oder anderen Bereich etwas ausgleichen muss.

Dass eine große Reform von diesem Umfang einer Anschubfinanzierung bedarf, steht glaube ich außer Frage. Wir werden aber mittelfristig gerade durch den Abbau von ja immer noch Zehntausenden Soldatinnen und Soldaten künftig auch Effizienzpotential erheben können. Weitere Potentiale stecken darin, dass wir internationale Kooperation suchen. Ich habe gerade eine Initiative im europäischen Rahmen angestoßen in Gent, die wir jetzt durch ein gemeinsames Einbringen mit den schwedischen Kollegen auch noch mal jetzt in den nächsten zwei Wochen intensivieren werden beziehungsweise noch einmal in eine nächste Folge bringen werden. Auch hier sind Potentiale zu erheben. Die 8,4 Milliarden, von denen die Rede war, sind mit einer Zahl von 180.000 bis 185.000 natürlich nicht darstellbar. Ich hatte auf der Grundlage die Rechnung vorgenommen, habe eine Minimalzahl genannt. Und auch damit hätten wir schon Schwierigkeiten gehabt.

Clement: Wäre die Abschaffung des MAD eine wesentliche Einsparung?

zu Guttenberg: Das war ein interessanter Vorschlag, der von wirklich überschaubarer Weisheit getragen war, weil er - wenn man so will - eher mal aus der Hüfte geschossen kam. Ich bin jemand, das hat sich wahrscheinlich mittlerweile auch herumgesprochen, der keine Scheu vor größeren Reformen hat und gerne auch selbstkritisch in die eigenen Bereiche hineinblickt. Wenn wir allerdings über unsere Nachrichtendienste sprechen, müssen wir über alle reden. Und da kann man nicht einfach mal eine Rosine herauspicken und sagen, das ist jetzt ein wunderbarer Aspekt, sondern es geht darum, dass die Dienste insgesamt einer Betrachtung unterworfen werden. Und wenn man da zum Schluss kommt, dass es Verbesserungsbedarf und Verbesserungspotential gibt, dann kann man darüber reden. Wenn man allerdings nur eines herausgreift, ist es am Rande des Populismus.

Clement: Aber einen Minister, der einen einem eigenen Geschäftsbereich zugehörenden Nachrichtendienst aufgibt, kann ich mir schwer vorstellen.

zu Guttenberg: Wir haben sehr spezifische eigene Interessen, die auf den militärischen Bereich auch zugeschnitten sind. Und diese Interessen müssen zwingend gewahrt bleiben. Und gerade deswegen ist dieser Vorschlag auch so himmelschreiend kurz gedacht. Wenn wir unsere Interessen wahren wollen, dann muss es in einem Gesamtkonzept ebenso aufgehen. Dieses Gesamtkonzept kann ich allerdings an keinem noch so schimmernden Horizont erkennen. Und deswegen kann man diesen Ansatz zunächst einmal in meinen Augen tunlichst beerdigen.

Clement: Wir diskutieren zurzeit vor dem Hintergrund einer Terrorbedrohung, die durch Erkenntnisse der Sicherheitsdienste nach Deutschland gebracht worden ist. Welche Fähigkeiten hat die Bundeswehr, die sie in dieser Situation jetzt einbringen könnte?

zu Guttenberg: National sind wir den Grenzen unterworfen, die das Grundgesetz unserer Verfassung uns setzt. Diese Grenzen sind bekannt und es wird auch nicht so sein, dass unsere Streitkräfte zur Hilfspolizei gemacht werden. Zunächst einmal hat die Bundeswehr ja - nicht nur in Afghanistan, sondern andernorts - ja auch hier schon tätig Hilfe geleistet, dass der Terror unser Land erst gar nicht erreicht. Das ist ein Ansatz, den wir auch künftig nie ausschließen können.

Und das ist eine Grundlage, die wir auch in meinen Augen, wenn es eine entsprechende Fundierung durch die Vereinten Nationen oder durch ein gutes Mandat hat, die wir dann auch ohne Frage rechtfertigen können. Was die Frage Einsatz im Inland anbelangt, hier gibt es eine Verfassungsrechtsprechung, hier gibt es die verfassungsrechtliche Grundlage. Und die zu brechen ist mit Sicherheit nicht mein Ansinnen. Wir können im Bereich der zivilmilitärischen Zusammenarbeit einige Dinge machen. Aber das ist weniger im Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung zu sehen.

Clement: Beim Katastrophenschutz, der ja unterhalb des Terroranschlags ist - aber auch Terroranschläge können ja nachher in den Katastrophenschutz hinein münden - haben Sie im Moment noch ein großes Potential an auch Grundwehrdienstleistenden, die da mitwirken können. Sie haben gesagt, künftig sollen hier die Reservisten stärker herangezogen werden. Wie muss man sich das vorstellen? Werden Sie dann bei einer Schneekatastrophe eine Teilmobilmachung ausrufen müssen?

zu Guttenberg: Wir sind gerade dabei, diese neue Reservistenkonzeption zu entwerfen. Und eine Schneekatastrophe wird ja nicht alleine von Reservisten bewältigt werden, sondern wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir bestens ausgebildete freiwillige Berufs- und Zeitsoldaten auch künftig haben werden und die überwältigende Mehrheit dieser Soldaten auch im Inland sein wird. Und von daher muss jede Gestaltung dieser Szenarien auch mit abgedeckt werden von den professionellen unseren Streitkräften dienenden Soldaten. Aber - und das ist vollkommen richtig - unsere Reservisten brauchen und wünschen mehr Verantwortung, gerade auch für diesen Bereich, auch für andere Bereiche. Und deswegen wollen wir sie in diesen Kontext besser einbinden. Wir wollen ihnen mehr Verantwortung geben und klare Kommandostrukturen in dieser Hinsicht. Es gibt einige, die sich bestens bereits organisiert haben. Es gibt andere, die ein wenig noch von der Lagerfeuermentalität getragen sind, was nicht an der Motivation des Einzelnen liegt, sondern manchmal an der Organisation vor Ort. Und das wollen wir zwingend verbessern. Wir müssen unseren Reservisten eine in dem Sinne neu definierte Rolle geben.

Clement: Und dann können auch mehr Reservisten ihren Dienst absolvieren. Es gibt ja zurzeit sicherlich auch die Diskussion darüber, dass einige, die gerne würden, zurzeit keine Wehrübungsplätze kriegen.

zu Guttenberg: Das ist ein Aspekt, den ich immer wieder höre. Ein anderer, der mir Sorge bereitet und wo wir auch gesellschaftlich einiges tun müssen, ist, dass Reservisten für ihre Wehrübungen oftmals Urlaub nehmen müssen. Ich glaube, es muss in dieser Gesellschaft wieder auch der Gedanke Platz greifen, dass, wenn ein Reserveübender in einem Unternehmen ist, dass er ein Mann oder eine Frau ist, die Team- und Führungsfähigkeiten in besonderer Weise mitbringen und eher eine Bereicherung auch für den Betrieb sind. Und hier wünsche ich mir schlechterdings etwas mehr Entgegenkommen auch seitens der Wirtschaft. Bei Einigen funktioniert das bereits großartig, bei vielen anderen kann es noch besser werden.

Clement: Die öffentliche Präsenz der Bundeswehr wird ja auch abnehmen. Es gibt keine öffentlichen Gelöbnisse mehr. Wir haben gerade auch davon gesprochen, dass Sie auf der anderen Seite aber mehr Reservisten brauchen würden. Wie wollen Sie denn in der Breite der Republik, also dort, wo die Bundeswehr unter Umständen auch nicht mehr stationiert ist, wie wollen Sie denn dort die Bundeswehr noch sozusagen auf die Marktplätze bringen?

zu Guttenberg: Zunächst einmal ist die Zielsetzung nicht die, dass wir ein Stationierungskonzept vorlegen, das uns am Ende des Tages acht bis fünfzehn Großstandorte in Deutschland beschert und das eine Präsenz in der Fläche schon deswegen kaum mehr darstellen lässt, außer, es ist irgendwo ein Notfall eingetreten. Das ist nicht die Zielsetzung und dem müssen wir auch entgegenwirken. Deswegen wird es weiterhin eine klug austarierte Präsenz in der Fläche geben. Die Entscheidung werden wir allerdings nicht vor Mitte nächsten Jahres treffen können, weil das sauber ausgeplant werden muss. Das ist der eine Ansatz.

Der Zweite ist der: Selbst, wenn Gelöbnisse wegfallen, heißt das nicht, dass man beispielsweise Vereidigungen nicht öffentlich stattfinden lassen muss. Das kann man auch an den jeweiligen Plätzen in unserem Lande darstellen. Und ich bin mir sehr sicher, dass das ebenso offen und mit offenem Herzen angenommen wird, wie die Gelöbnisse heute. Und dann hängt es an jedem Einzelnen von uns in der Gesellschaft wie auch an den Soldatinnen und Soldaten, ob man bereit ist, mit einer gewissen Selbstverständlichkeit dieses Leben als Soldat auch nach Außen zu tragen. Das hat etwas damit zu tun, ob man sich scheut davor, eine Uniform auch mal in der Öffentlichkeit zu tragen oder nicht. Es hat etwas damit zu tun, ob man bereit ist, eine Diskussion auch über die Pros und Kontras dieses Berufes zu führen, weil das, was die Soldaten sich wünschen, ist schlechterdings mehr Anerkennung und mehr Rückhalt in der Gesellschaft. Und den haben sie angesichts der Tatsache, dass sie wirklich Leib und Leben für unsere Sicherheit riskieren, auch verdient.

Clement: Herr Minister, für diese Reform, für Ihre Reform, aber auch für die anderen Reformen brauchen Sie Mehrheiten im Parlament, in beiden Kammern, Bundestag wie Bundesrat. Im Bundestag haben Sie die, im Bundesrat stehen nächstes Jahr im Superwahljahr 2011 sieben Landtagswahlen an. Wenn man sich die Umfragen der Ersten anguckt - in Hamburg liegt die CDU zurzeit knapp über 20 Prozent, in Baden-Württemberg ist sie auch nicht so stark, dass sie da unbedingt zur Regierungsbildung gebraucht wird. Was muss die Union tun, um ihre Politik weiterhin durchsetzen zu können?

zu Guttenberg: Zunächst einmal unsere Arbeit. Wir müssen entscheidungs- und durchsetzungsfähig sein. Wir müssen Entscheidungen treffen. Ich glaube, wir sollten eben auch gerade nicht auf ein Superwahljahr schielen und von Wahltag zu Wahltag rechnen und, je näher wir an die Wahltage kommen, dann um so fahriger werden in unseren Grundaussagen. Das sind Punkte, die die Menschen in unserem Lande eigentlich nicht mehr hören können, sondern sie wollen eine Politik, die auch über Wahltage hinaus reicht, die Perspektiven ausbildet. Und dann ist es wichtig, dass man einfach eine Politik versucht zu gestalten, die über kluge Kommunikationen und dann auch entsprechende Führung auf Vertrauensbildung ausgerichtet ist. Sie haben Baden-Württemberg genannt. Ich sehe Stefan Mappus beispielsweise hier auf einem sehr, sehr guten Weg. Er hat auch meine volle Unterstützung. Es ist eben wichtig, dass man kommuniziert, dass man zu den Menschen geht, dass man auch komplexe Entscheidungen immer wieder herunterbricht auf seine Kernelemente. Und ich glaube, in dieser Hinsicht kann man Überzeugungsarbeit leisten. Wir hatten einen schwierigen Beginn dieses Jahr und sind mittlerweile auf sehr viel besserem Weg.

Clement: Hat die Union gewisse gesellschaftliche Entwicklungen verschlafen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem, was sich um Stuttgart 21 und die dortige Vermittlung von Heiner Geißler entwickelt hat?

zu Guttenberg: Wir müssen uns insgesamt in der politischen Szenerie - wenn man das mal so nennen darf - darum bemühen, dass wir gewissen Entscheidungsmuster, die immer komplizierter geworden sind und manchmal über Jahre oder Jahrzehnte ihren Weg nehmen, dass wir die mehr und deutlicher erklären, dass wir, auch wenn das manchmal redundant klingen mag, dass wir uns auch wiederholen, und dass wir auch uns immer wieder selbst überprüfen, ist das noch relevant, ist das noch verantwortbar, ist es noch darstellbar? Und das ist eine Teilaufgabe, die man hat, wenn man eben auch über Wahltage hinaus denkt.

Weil es ist ja tatsächlich so, dass viele von denen, die demonstriert hatten, beispielsweise zu dem Zeitpunkt, wo damals Vorentscheidungen getroffen wurden, noch gar nicht geboren waren. Und daran wird deutlich, welche Aufgabe man auch hat im Bereich der Erklärungen und der Kommunikation.

Clement: Also Sie sind zuversichtlich für 2011?

zu Guttenberg: Ich bin grundsätzlich ein zuversichtlicher und alles andere als pessimistischer Mensch. Und wenn mal irgendwo an irgendeiner Stelle etwas in die Binsen geht, sollte man deswegen nicht in Sack und Asche gehen, sondern sollte einfach wirklich auch klug weiter arbeiten.

Clement: Herr Minister, einen schönen Geburtstagskaffee heute Nachmittag und einen schönen zweiten Advent.

zu Guttenberg:Danke Ihnen sehr. Ihnen auch.